Faktencheck

Rassistische Rede: Nein, dieses Video zeigt keinen Wittenberger Pfarrer

Zum Video einer rassistischen Rede heißt es, der Redner sei Pfarrer der „Lutherkirche Wittenberg“. Die evangelische Stadtkirchengemeinde Wittenberg dementiert. Die Aufnahme stammt von einer rechten Demonstration in Sondershausen in Thüringen.

von Gabriele Scherndl

pfarrer-titel-wittenberg
Dieser Mann ist nicht Pfarrer in Wittenberg, sondern Redner bei einer Demonstration in Sondershausen (Quelle: Tiktok; Screenshot, Unkenntlichmachung und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Video zeige den Pfarrer der „Lutherkirche in Wittenberg“ bei einer Rede.
Bewertung
Falscher Kontext
Über diese Bewertung
Falscher Kontext. Eine Lutherkirche gibt es in Wittenberg nicht, aber eine evangelische Schloss- und Stadtkirche. Laut der Stadtkirchengemeinde ist der Mann im Video kein Pfarrer in Wittenberg. Das Video stammt von einer rechten Demonstration im thüringischen Sondershausen.

Auf mehreren Kanälen in Sozialen Netzwerken kursiert aktuell ein Video von einer Rede voller rassistischer Inhalte. Ein Mann mit weißen Haaren und weißem Bart liest sie von einem Blatt ab. Er sagt etwa, das Land werde mit „kulturfremden Menschen“ geflutet. Bald würden sich Migranten an nichts mehr halten, Frauen überall belästigen und Kinder in den Schulen mobben. 

Vielfach wird dazu behauptet, der Mann sei Pfarrer der „Lutherkirche Wittenberg“ in Sachsen-Anhalt. Doch das stimmt nicht – die Aufnahme stammt von einer rechten Demonstration in Sondershausen, Thüringen. Der Mann aus dem Video spricht dort regelmäßig bei Demonstrationen. Er ist kein Pfarrer aus Wittenberg.

Noch einmal das Bild von dem Mann mit dem Zettel, darüber steht auf Tiktok: Pfarrer der Lutherkirche Wittenberg.
Dieser Mann ist nicht Pfarrer in Wittenberg – die dortige evangelische Kirchengemeinde stellte das klar (Quelle: Tiktok; Screenshot, Schwärzung und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Evangelische Stadtkirchengemeinde Wittenberg dementiert, dass der Pfarrer zu ihr gehört

Eine Lutherkirche gibt es in Wittenberg nicht. Auf Anfrage schrieb Doreen Raewel, Pressesprecherin der Stadt Wittenberg, auch sie wisse nicht mit Sicherheit, was mit dem Begriff „Lutherkirche“ gemeint sei. Die Stadtkirche St. Marien gelte aber als Mutterkirche der Reformation, da Martin Luther seine Lehren dort gepredigt habe. „Seine 95 Thesen wiederum hat er 1517 jedoch an die Tür der Schlosskirche angebracht“.

Die evangelische Stadtkirchengemeinde dementierte am 7. November 2023 auf ihrer Webseite, dass das Video einen ihrer Pfarrer zeige. Die Person habe „ keinerlei Ähnlichkeit mit Wittenberger Pfarrern“ – auch nicht mit jenen der katholischen Gemeinde oder der Freikirchen in Wittenberg. Und: Das Gebäude im Hintergrund des Videos sei weder die Schloss- noch die Stadtkirche. Das lässt sich auch online nachvollziehen: Auf der Webseite der evangelischen Stadtkirchengemeinde sind Fotos der dortigen Pfarrer, keiner von ihnen sieht aus wie der Mann aus dem Video. Auch der Pfarrer der katholischen Pfarrei Sankt Marien Wittenberg sieht anders aus.

Am Telefon sagt Friedemann Kahl, Sprecher der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, zu deren Gebiet Wittenberg zählt, auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck, es sei auch ausgeschlossen, dass der Mann ein Wittenberger Pfarrer im Ruhestand sei.

Die evangelische Stadtkirchengemeinde distanzierte sich auch klar vom Inhalt des Videos. In der Rede würden „sanft und vorgeblich fürsorglich und demokratisch verpackt“ falsche Aussagen angeführt, sie sei „fremdenfeindlich, populistisch und demokratiefeindlich“, heißt es in der Stellungnahme. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland bezeichnete die Videoinhalte auf Facebook als „menschenverachtende Ressentiments“. 

Video entstand auf einer Demonstration in Sondershausen, Thüringen

Aufschluss darüber, was das Video wirklich zeigt, gibt die Diskussion unter einem der Facebook-Beiträge. Im Beitrag hieß es zunächst ebenfalls, das Video zeige den Pfarrer der Lutherkirche Wittenberg. Doch nachdem eine Person kommentierte, das Video zeige keinen Pfarrer, sondern einen „standhaften Patriot“ aus Thüringen, änderte der Verfasser den Beitrag.

Der Nutzer, der den Beitrag kommentierte, teilte auch den Link zu weiteren Aufnahmen vom 9. Oktober 2023. Darin sind mehrere Reden aus demselben Ort zu sehen, eine davon jene des weißhaarigen Mannes. Laut dem Beitrag zeigen die Aufnahmen einen „Spaziergang“ in Sondershausen. Die Stadt liegt in Thüringen und ist mehr als zwei Stunden Autofahrt von Wittenberg entfernt. In der Telegram-Gruppe, die im Facebook-Beitrag verlinkt wurde, wurden die Aufnahmen ebenfalls veröffentlicht.

Die Rede des Mannes ist in diesen Aufnahmen länger als der Ausschnitt, der aktuell verbreitet wird. In 17 Minuten spricht er über sich und andere als „wir, die wir hier diese Demos organisieren“ (Minute zehn). Er sagt mit Blick auf die Ergebnisse der Landtagswahl in Hessen am 8.Oktober auch, es gefalle ihm, dass die „Rechtsradikalität“ im Westen angekommen sei. Die Veranstaltung, auf der er spricht, ist offenbar Teil einer wiederkehrenden Demonstration – das geht auch aus dem Telegram-Kanal hervor. Der Mann aus dem Video hat in der Vergangenheit regelmäßig auf diesen Demonstrationen gesprochen.

Gruppe rund um den Redner verbreitet Corona-Desinformation und rassistische Inhalte

Martin Pollack, Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit des für Sondershausen zuständigen Landratsamts Kyffhäuserkreis, schreibt auf Anfrage: Am 9. Oktober 2023 habe eine Demonstration zum Thema „Frieden, Freiheit, Souveränität“ auf dem Marktplatz in Sondershausen stattgefunden. Dieser Marktplatz sei auch in dem Video zu sehen. Das zeigt auch der Vergleich von Bildern aus dem Telegram-Kanal mit Fotos des Marktplatzes Sondershausen und der dortigen alten Wache.

Mehrere Bilder aus Telegram und von öffentlichen Quellen machen deutlich: Die Rede fand am Marktplatz in Sondershausen statt.
Das Video der Rede (oben rechts) war Teil einer Demonstration (oben links). Diese fand am Marktplatz Sondershausen (unten links) vor der Alten Wache (unten rechts) statt. (Quellen: Telegram / Wikipedia / Eva Maria Wiegand / Kyffhäuser Nachrichten; Screenshot, Collage, Markierungen und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Telegram-Gruppe der Demo-Veranstalter teilt Beiträge von Akteuren, die uns immer wieder mit der Verbreitung von Desinformation auffallen. Häufig geht es um Corona, auch rassistische Beiträge werden geteilt. Auf den Demonstrationen sprach auch mehrfach ein Funktionär der rechtsextremen Partei NPD, die sich seit Juni 2023 Die Heimat nennt.

Auch der Redner mit dem weißen Bart teilt rechte Ideologien und zweifelhafte Quellen. Welchen Beruf er ausübt, konnten wir nicht klären. Er ist jedenfalls nicht Pfarrer in Wittenberg.

Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemeldung der evangelischen Sadtkirchengemeinde Wittenberg, 7. November 2023: Link (archiviert)
  • Facebook-Beitrag der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, 9. November 2023: Link (archiviert)