Faktencheck

Was an Behauptungen zum hohen Anteil ungültiger Stimmen in Thüringen dran ist

Im Netz kursiert eine wilde Theorie: Es gebe eine Anordnung, Stimmen für die AfD für ungültig zu erklären, wenn das Kreuz über den Rand gemalt wurde. Das erkläre den hohen Anteil ungültiger Stimmen bei einer vorangegangenen Wahl. Doch für keine der Behauptungen gibt es Belege.

von Alice Echtermann

kommunalwahl
In Sozialen Netzwerken wurden vor der Europawahl Warnungen vor Wahlbetrug verbreitet, sie basieren jedoch auf falsch interpretierten Zahlen von der Kommunalwahl in Thüringen (Symbolbild: pics_kartub / Pixabay)
Behauptung
Vor der Wahl am 9. Juni 2024 habe es eine Anweisung gegeben, AfD-Stimmen mit zu großem Kreuz als ungültig zu zählen. Das erkläre, warum es bei einer vorangegangenen Wahl in Thüringen zum Teil ungewöhnlich viele ungültige Stimmen gegeben habe.
Bewertung
Unbelegt. Stimmen mit zu groß gemalten Kreuzen sind gültig. Für eine derartige Anweisung gibt es keine Belege. Im Netz kursierende Zahlen zu dieser Behauptung beziehen sich wohl auf die Stimmen in Erfurt bei der Ortschaftsbürgermeisterwahlen in Thüringen, bei denen aufgrund komplizierter Wahlregeln stets mehr ungültige Stimmen anfallen – im konkreten Fall 16 Prozent. Bei den vergangenen Kommunalwahlen im Mai lag der Anteil ungültiger Stimmen thüringenweit zwischen gut zwei und knapp neun Prozent.

Kurz vor der Europawahl am Sonntag, 9. Juni 2024, kursierte auf Facebook und Instagram ein Text, in dem vor einem angeblichen Wahlbetrug gewarnt wird. Man habe von einer „Anordnung“ gehört, laut der Stimmen für die AfD für ungültig erklärt werden sollten, wenn das Kreuz „auch nur ansatzweise außerhalb des Feldes gesetzt ist“, schreiben Nutzende. Dies erkläre die „zum Teil 20 Prozent ungültigen Stimmen in Teilen Thüringens“. 

Erst kürzlich haben wir in einem Faktencheck aufgeklärt: Das Kreuz darf ruhig über den Rand des Kästchens oder Kreises reichen, die Stimme ist dann gültig. Wichtig ist, dass der Wählerwille eindeutig erkennbar ist.

Für die Behauptung, Wahlleiter würden angewiesen, AfD-Stimmen für ungültig zu erklären, wenn die Kreuze den Kreis überschrieben, fanden wir keine Belege. Auf Nachfrage dementiert die Pressestelle der Bundeswahlleiterin die Behauptung: „Eine solche ‘Anweisung’ wurde und wird nicht an die Wahlvorstände erteilt.“ 

Auf Facebook ist von einem angeblichen Wahlbetrug die Rede.
Dieser Text kursiert auf Facebook und Instagram und warnt vor einem angeblichen Wahlbetrug zu Ungunsten der AfD (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

16 Prozent ungültige Stimmen bei Bürgermeisterwahl in Erfurt nicht ungewöhnlich

Für die Aussage, in Thüringen habe es ungewöhnlich viele ungültige Stimmen gegeben, gibt es keine Grundlage. Die Behauptung bezieht sich vermutlich auf Kommunalwahlen in Thüringen, die schon am 26. Mai 2024 stattfanden

Kurz danach kursierten Behauptungen zu der angeblich hohen Anzahl ungültiger Stimmen,  zum Beispiel am 27. Mai auf X. Der Post zeigte eine Tabelle mit Wahlergebnissen aus Thüringen und wurde unter anderem von Politikern wie Albert Weiler von der Werteunion geteilt und von Frauke Petry kommentiert. Hervorgehoben werden die Stimmen in Thüringens Hauptstadt Erfurt, von denen laut der Tabelle rund 16 Prozent ungültig waren. Dieselbe Tabelle wurde am 28. Mai auch in einem Video auf Facebook verbreitet.

Auf X teilt jemand eine Liste von ungültigen Stimmen bei einer Wahl in Thüringen.
Diese Tabelle wird in Sozialen Netzwerken nach der Kommunalwahl in Thüringen im Mai 2024 verbreitet. Sie ist ohne Kontext irreführend, da sie sich nur auf die Ortschaftsbürgermeisterwahlen bezieht (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Woher stammen die Zahlen in der Tabelle, die auf X und Facebook verbreitet wird? 

Die Tabelle zeigt die Ergebnisse der Ortsteil- beziehungsweise Ortschaftsbürgermeisterwahlen in Thüringen am 26. Mai 2024. Hier gab es in Erfurt tatsächlich 6.848 ungültige Stimmen und 36.229 gültige Stimmen (rund 16 Prozent ungültig). Das scheint jedoch entgegen der Darstellung auf Facebook und Instagram nicht sonderlich ungewöhnlich zu sein.

Bei den Ortschaftsbürgermeisterwahlen 2019 in Erfurt gab es 4.679 ungültigen und 37.981 gültige Stimmen. Das entspricht  11 Prozent ungültigen Stimmen.

In einem Faktencheck hat die Tagesschau bereits den Landeswahlleiter Holger Poppenhäger hierzu befragt. Er vermutet folgenden Hintergrund: Es stehe bei vielen Ortschaftsbürgermeisterwahlen nur eine einzige Person auf dem Stimmzettel zur Wahl. Es gebe keine Option, gegen diese Person zu stimmen, deshalb würden viele Menschen ihren Stimmzettel unausgefüllt abgeben – was die Stimme ungültig macht. Denn der Wählerwille sei bei einem leeren Stimmzettel nicht eindeutig erkennbar. Richtig wäre es in einem solchen Fall, den Namen des unerwünschten Kandidaten durchzustreichen und einen oder mehrere andere Namen auf den Stimmzettel zu schreiben. So steht es im Landeswahlgesetz Thüringens

Ein hoher Anteil ungültiger Stimmen sei bei Ortsteilbürgermeisterwahlen nicht ungewöhnlich, schrieb auch der MDR. Es gebe mehrere Fallstricke. Die Person, deren Name auf den Stimmzettel geschrieben wurde, müsse zum Beispiel eindeutig identifizierbar sein – für den Fall, dass mehrere Personen mit demselben Namen in einer Stadt leben, müsse der Beruf noch dazu geschrieben werden. Es erscheint plausibel, dass diese Regeln nicht allen Wählenden bekannt sind.

Landesweite Ergebnisse der Kommunalwahlen im Mai  zeigen ungültige Stimmen zwischen zwei und neun Prozent

Woher die konkrete Angabe von rund 20 Prozent kommt und auf welchen Zeitpunkt oder welche Wahl sie sich beziehen soll, ist unklar. 

Ein Blick auf die Ergebnisse vom 26. Mai 2024 zeigt jedoch keine Hinweise auf ungültige Stimmanteilen in der behaupteten Höhe: 

Bei der Europawahl und den Stichwahlen am 9. Juni gab es keine ungewöhnlich hohen Anteile ungültiger Stimmen

Bei der EU-Wahl am 9. Juni waren übrigens laut dem vorläufigen Ergebnis nur rund 0,8 Prozent ungültig (Stand 14. Juni 2024, 13:00 Uhr). 

Gleichzeitig mit der Europawahl am 9. Juni fanden auch Stichwahlen einiger Kommunalwahlen statt. Wir haben uns auch diese Ergebnisse angesehen: 

  • Im Rahmen der Bürgermeisterwahlen gab es in 12 Gemeinden eine Stichwahl. 83.668 gültige Stimmen wurden hier insgesamt abgegeben, 3.388 ungültige – das macht einen Anteil von rund 3,9 Prozent ungültigen Stimmen. 
  • Bei den Ortsteil- und Oberbürgermeisterwahlen gab es Stichwahlen in 93 Ortsteilen. Insgesamt gab es hier 73.484 gültige und 2.892 ungültige Stimmen – der Anteil ungültiger Stimmen lag hier also bei rund 3,8 Prozent
  • Bei der Stichwahl der Landräte und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte gab es Stichwahlen in 15 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten. Auf 760.054 gültige kamen 15.905 ungültige Stimmen – das entspricht einem Anteil von rund zwei Prozent.

Alle Faktenchecks zur Europawahl finden Sie hier.

Mitarbeit: Uschi Jonas

Redigatur: Matthias Bau, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Check
  • Endgültiges Ergebnis der Kommunalwahl in Thüringen 2024 auf wahlen.thueringen.de: Link 
  • Thüringer Kommunalwahlgesetz: Link