Kein Wahlbetrug: Stimmzettel im Müll stammen von Wahlsimulation an Schulen
Ein Tiktok-Video, das Stimmzettel in einer Mülltonne zeigt, sorgt nach der Europawahl 2024 für Vorwürfe des Wahlbetrugs. Doch auf den Zetteln im Müll steht „Juniorwahl“ – sie stammen von einer Wahlsimulation an Schulen in Nordrhein-Westfalen.
„So Jungs, hier haben wir den Beweis: Stimmzettelvernichtung“, heißt es in einem Tiktok-Video, das zahlreiche Stimmzettel in einer Mülltonne zeigt. Das Video erreichte über 250.000 Aufrufe und verbreitete sich wenige Tage nach der Europawahl 2024 gleich auf mehreren Tiktok-Kanälen sowie auf Instagram, X und Youtube weiter. Manche fordern deshalb eine Neuwahl, andere wollen die Polizei einschalten und sprechen von einem möglichen Wahlbetrug.
Video zeigt Stimmzettel einer Juniorwahl bei einer Wahlsimulation
Doch ein genauer Blick zeigt, dass auf einem der Stimmzettel „Juniorwahl“ und ein längerer Name für ein Bundesland stehen. Die Juniorwahl ist ein Projekt des Berliner Vereins Kumulus e.V., bei dem eine „realitätsgetreue Wahlsimulation“ organisiert wird. Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen können im Rahmen von Landtags-, Bundestags- und Europawahlen daran teilnehmen, heißt es auf der Projektwebseite des Vereins. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck schreibt die Pressestelle von Kumulus e.V.: „Es handelt sich bei den gezeigten Stimmzetteln um Juniorwahl-Stimmzettel.“
Ein Abgleich mit den auf der Webseite verfügbaren Stimmzetteln zeigt: Die Zettel in der Mülltonne sind Stimmzettel der Juniorwahl zur Europawahl 2024 in Nordrhein-Westfalen. In dem Video sind die auf den Plätzen 1, 19 und 21 gelisteten Parteien erkennbar: CDU, Bündnis C und Menschliche Welt. Diese Parteien-Reihenfolge passt zu keinem anderen Juniorwahl-Stimmzettel außer dem für Nordrhein-Westfalen.
Amtlichen Europawahl-Stimmzetteln fehlt die obere rechte Ecke oder sie sind gelocht
Zusätzlich im Video erkennbar: Die oberen rechten Ecken der Stimmzettel sind nicht abgeschnitten und auch nicht gelocht. Das ist aber laut Europawahlordnung für die Europawahl Pflicht, damit blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen mithilfe einer Stimmzettelschablone wählen können. Einige Stimmzettel im Tiktok-Video scheinen zudem blau zu sein – auch das ein Hinweis, dass es sich nicht um amtliche Stimmzettel handelt.
Das Büro der Bundeswahlleiterin schreibt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck: „Bei dem im Video gezeigten Stimmzetteln handelt es sich nach unserer Einschätzung augenscheinlich nicht um amtlich hergestellte Stimmzettel.“ Stimmzettel für die Europawahl müssten zudem aus weißem oder weißlichem Papier bestehen.
Die Landeswahlleitung in NRW schreibt auf Nachfrage zu dem Video, es gebe keine Hinweise auf Wahlmanipulation oder Stimmzettel-Vernichtung in dem Bundesland. Anders als behauptet, ist das Video also kein Beleg für eine Stimmzettelvernichtung bei der Europawahl.
Stimmzettel einer Wahlsimulation für Schüler dürfen eigenständig entsorgt werden
Die Stimmzettel müssen nach der Europawahl laut Europawahlordnung in Paketen verpackt und den Gemeinden zur Aufbewahrung übergeben werden, bis die Vernichtung angeordnet wird. Die Stimmzettel der Juniorwahl dürfen laut Kumulus e.V. hingegen nach eigener Entscheidung entsorgt werden.
Der Tiktok-Nutzer, der das Video veröffentlichte, reagierte auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck nicht. Inzwischen veröffentlichte er ein weiteres Video, in dem es heißt: „Das sollen die Jugendwahlen sein!“
Alle Faktenchecks zur Europawahl 2024 finden Sie hier.
Redigatur: Sophie Timmermann, Matthias Bau