Faktencheck

CDU-Generalsekretär Linnemann hinterlässt falschen Eindruck zur Beschäftigungsquote von Geflüchteten

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann behauptet, seit 2015 seien 6,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen und weniger als die Hälfte sei in Arbeit. Das stimmt nicht.

von Paulina Thom

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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei einer Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus (Foto: Matthias Wehnert / Geisler-Fotopress / Picture Alliance)
Behauptung
Seit 2015 seien 6,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen und weniger als die Hälfte sei in Arbeit.
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Seit 2015 kamen 6,5 Millionen Menschen nach Deutschland, darunter Geflüchtete, Personen, die für eine Ausbildung oder eine Arbeit kamen, oder Kinder – egal woher. Von denjenigen, die darunter im erwerbsfähigen Alter sind, gehen laut Daten des Mikrozensus rund 60 Prozent einer Beschäftigung nach. Linnemann wendet stattdessen offenbar auf die Gruppe der 6,5 Millionen Menschen fälschlich die Beschäftigungsquote von Personen aus einem der acht häufigsten nichteuropäischen Asylherkunftsländern an. Diese Quote liegt zwar bei etwa der Hälfte, allerdings umfasst sie auch Personen, die nicht geflohen oder bereits vor 2015 nach Deutschland gekommen sind.

Zehn Jahre ist es her, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das!“ Damals kamen binnen eines Jahres mehr als eine Million Geflüchtete nach Deutschland, anfangs vorrangig aus dem vom Bürgerkrieg betroffenen Syrien. 

In der Politik ziehen einige aktuell eine kritische Bilanz, darunter auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte er: „Seit 2015 sind 6,5 Millionen Menschen zu uns gekommen und weniger als die Hälfte ist heute in Arbeit. Ich finde das, gelinde gesagt, nicht zufriedenstellend.“ 

Linnemann suggeriert mit seiner Äußerung, dass mehr als drei Millionen Geflüchtete in Deutschland nicht arbeiten würden. Das stimmt nicht. Er bezieht Zahlen zur Beschäftigung und zu eingewanderten Menschen irreführend aufeinander. Sowohl Auswertungen zur Beschäftigung aller seit 2015 nach Deutschland Zugewanderten als auch konkret zu Geflüchteten zeichnen zudem ein anderes Bild. 

Linnemann bezieht sich auf Beschäftigungsquote der acht häufigsten Asylherkunftsländer abseits der EU

Auch wenn Linnemann nicht konkret von Geflüchteten spricht, legen der Kontext des Interviews zu Merkels Flüchtlingspolitik sowie eine Antwort der CDU-Pressestelle dies nahe. Denn auf Nachfrage nach einer Quelle verweist Pressesprecher Armin Peter auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit über „Beschäftigte aus den acht nichteuropäischen Asylherkunftsländern“. Dazu zählen Afghanistan, Syrien, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Eritrea. Aus diesen Ländern gab es zwischen 2012 und 2014 und im ersten Quartal 2015 die meisten Asylerstanträge, daher sind sie Grundlage der Statistik. 

Im Mai 2025 lag die Beschäftigungsquote von erwerbsfähigen Menschen (15 bis unter 65 Jahre alt) aus diesen Ländern bei etwa 47,6 Prozent, das entspricht rund 760.000 Menschen in Arbeit.  Anders als Linnemann behauptet, bezieht sich diese Quote also nicht auf 6,5 Millionen, sondern auf etwa 1,6 Millionen Menschen.  

Zudem gibt die Statistik keine Auskunft darüber, wann die Menschen nach Deutschland kamen und sie umfasst auch Länder, die bei den starken Fluchtbewegungen seit 2015 eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben – zum Beispiel Pakistan. Und in der Statistik werden auch Menschen gezählt, die nicht geflohen sind. 

Unabhängig davon ergibt es keinen Sinn, diese Beschäftigungsquote – wie Linnemann es macht – auf 6,5 Millionen Menschen anzuwenden, die gar nicht alle aus den genannten Ländern stammen. 

6,5 Millionen Menschen sind seit 2015 nach Deutschland eingewandert, nicht alle von ihnen sind Geflüchtete

Woher die Angabe von 6,5 Millionen Menschen seit 2015 stammt, erfuhren wir, trotz mehrfacher Nachfrage bei der CDU-Pressestelle, nicht. Die Zahl findet sich aber beim Statistischen Bundesamt. Demnach sind so viele Menschen seit 2015 nach Deutschland eingewandert. Doch nur etwa ein Drittel (31 Prozent) von ihnen hat als Grund für die Einwanderung Flucht, Asyl oder internationalen Schutz angegeben. Insgesamt 31 Prozent kamen laut eigener Aussage wegen einer Arbeit, einer Beschäftigung, eines Studiums oder einer Ausbildung nach Deutschland und weitere 27 Prozent kamen im Rahmen der Familienzusammenführung oder Familiengründung nach Deutschland. 

Dass es sich bei den 6,5 Millionen Menschen nicht nur um Geflüchtete handelt, zeigen auch die Angaben zu ihren Herkunftsländern. Zwar sind die Ukraine (seit 2022: 843.000) und Syrien (seit 2015: 840.000) laut Statistischem Bundesamt die Hauptherkunftsländer, doch viele Menschen kamen seit 2015 auch aus Rumänien (300.000) oder Polen (230.000). Auch sind nicht alle der 6,5 Millionen Menschen erwerbsfähig: Wie wir mehrfach berichteten, sind etwa ein Viertel der aus der Ukraine Geflohenen unter 18 Jahre alt, auch ein Drittel der Visa im Rahmen des Familiennachzugs gingen 2024 an Minderjährige

Wie viele der seit 6,5 Millionen Zugewanderten arbeiten? Auf Anfrage der DPA-Faktencheckredaktion schlüsselte das Statistische Bundesamt hierfür Zahlen aus dem Mikrozensus (Download, Tabellenblatt 12211-31) auf: Demnach gaben 60 Prozent der seit 2015 eingewanderten Menschen im erwerbsfähigen Alter eine Erwerbstätigkeit an, 7 Prozent waren erwerbslos und 33 Prozent zählten sich als Nichterwerbsperson. Dazu gehören Schüler, Studenten, ältere Menschen oder Personen, die im Haushalt tätig sind. Diese Quote liegt also höher als die von Linnemann genannte. Die CDU-Pressestelle reagierte auf unsere Rechercheergebnisse nicht mehr. 

Wie hoch ist die Beschäftigungsquote der seit 2015 nach Deutschland Geflüchteten? 

Zum Jahresende 2024 lebten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt insgesamt 3,3 Millionen Schutzsuchende, etwa ein Viertel von ihnen sind Minderjährige. Beschäftigungsdaten ausschließlich zu Geflüchteten gibt es laut dem Mediendienst Integration nicht. 

Ein Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Beschäftigungsquote von Geflüchteten, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, höher liegt als von Linnemann angegeben. Das IAB befragt seit 2016 jährlich Menschen, die als Schutzsuchende nach Deutschland gezogen sind und verknüpft die Umfragedaten mit den Sozialversicherungsdaten. 2024 lag die Beschäftigungsquote bei 64 Prozent und damit nur noch leicht unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 70 Prozent. 

Wie wir bereits mehrfach berichtet haben, steigt mit zunehmender Aufenthaltsdauer von Geflüchteten auch deren Beschäftigungsquote. Insbesondere ukrainische Geflüchtete sind erst seit maximal 3,5 Jahren in Deutschland. Ihre Beschäftigungsquote lag laut einem Bericht des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung von Oktober 2024 bei damals 30 Prozent und ist damit nicht ungewöhnlich, wie folgende IAB-Grafik zeigt:

Grafik zur Beschäftigungsquote der 2015 nach Deutschland Geflüchteten
Mit zunehmender Aufenthaltsdauer schutzsuchender Menschen in Deutschland steigt ihre Beschäftigungsquote (Quelle: IAB; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Welche Hindernisse bestehen für Geflüchtete bei der Aufnahme einer Arbeit?

„Staatliche Maßnahmen – von beschleunigten Asylverfahren über Integrations- und Sprachkurse bis hin zu arbeitsmarktpolitischer Unterstützung – haben gewirkt“, schreiben die Autorinnen und Autoren des IAB-Berichts. Allerdings gebe es weiterhin Herausforderungen bei der beruflichen Integration von Frauen und älteren Menschen sowie beim Verdienstniveau, das deutlich unter dem Median aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland liegt. 

Eine Beschäftigungsquote von 64 Prozent unter den 2015 zugezogenen Schutzsuchenden sei „keineswegs selbstverständlich“, heißt es in dem IAB-Bericht. Geflüchtete hätten besondere Herausforderungen beim Einstieg in eine Beschäftigung. 

Hierzu zählen Belastungen, etwa traumatische Erfahrungen durch Krieg, Vertreibung und Flucht, sowie eine fehlende Vorbereitung auf die Migration, die sich etwa in fehlenden Kenntnissen der Sprache des Ziellandes zeige. Hinzukämen geringe oder aufgrund der Unterschiede in den Bildungssystemen schwer übertragbare Ausbildungs- und Bildungsabschlüsse und zuletzt institutionelle Faktoren in den Zielländern, wie die Dauer der Asylverfahren, Beschäftigungsverbote in der ersten Ankunftsphase, Wohnsitzauflagen und Diskriminierung. Laut dem Mediendienst Integration mussten viele Geflüchtete, die 2015 und 2016 eingereist sind, fast ein Jahrzehnt in Flüchtlingsunterkünften leben.

Redigatur: Steffen Kutzner, Kimberly Nicolaus

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung Nummer 181 Statistisches Bundesamt, 22. Mai 2025: Link (archiviert)
  • Statistik der Bundesagentur für Arbeit über „Beschäftigte aus den acht nichteuropäischen Asylherkunftsländern“, abgerufen 28. August 2025: Link
  • Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: „Haben wir es geschafft? Eine Analyse aus Sicht des Arbeitsmarktes“, 25. August 2025: Link (PDF, archviert)