Militär

„Bisher nichts investiert“: Aussage von AfD-Chef Chrupalla zu Sondervermögen der Bundeswehr ist falsch

AfD-Vorsitzender Tino Chrupalla behauptet im ZDF, vom 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen sei noch nichts in die Bundeswehr investiert worden. Doch laut Verteidigungsministerium ist fast das gesamte Geld gebunden.

von Paulina Thom

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Tino Chrupalla, AfD Co-Vorsitzender, im Oktober 2025 bei einer Pressekonferenz (Foto: Metodi Popow / Picture Alliance)
Behauptung
Aus dem 2022 beschlossenen Sondervermögen sei bislang nichts in die Bundeswehr investiert worden.
Bewertung
Falsch. Fast das gesamte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ist laut Beschaffungsamt der Bundeswehr und Verteidigungsministerium in Verträgen gebunden, mehrere Vorhaben seien vollumfänglich finanziert. Die größten Posten sind teure Geräte, Waffensysteme und Raketen.

Am 26. Oktober war der Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion, Tino Chrupalla, zu Gast beim ZDF. Thema der Sendung „Berlin Direkt“ war unter anderem die außen- und verteidigungspolitische Linie der Partei.

Die AfD-Fraktion teilte einen etwa zweiminütigen Ausschnitt des Interviews auf ihren Social-Media-Kanälen, die Clips haben teils hunderttausende Aufrufe und zehntausende Likes. Neben vielen Meinungsäußerungen fällt darin ein Satz, der stutzig macht. Über das 2022 beschlossene 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr sagt der AfD-Politiker: „Bislang ist kein einziger Pfennig in die Bundeswehr investiert worden aus diesem Sondervermögen.“ Damit liegt Chrupalla falsch.

Screenshot des Facebook-Posts der AfD-Fraktion
Die AfD-Fraktion im Bundestag verbreitete einen Ausschnitt des ZDF-Interviews in Sozialen Netzwerken, wie hier auf Facebook (Quelle: Facebook / ZDF; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Sondervermögen für die Bundeswehr ist fast vollständig investiert

Ende 2024 meldete das Beschaffungsamt der Bundeswehr, dass die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen „praktisch vollständig in Verträge mit der wehrtechnischen Industrie gebunden“ seien. Das Sondervermögen war nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine von Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner „Zeitenwende-Rede“ angekündigt worden. Im Juli 2022 wurde das Gesetz zum Sondervermögen beschlossen, es darf demnach nur für Rüstungsvorhaben verwendet werden.

Eine offizielle Liste zu den Investitionen aus dem Sondervermögen veröffentlicht das Verteidigungsministerium nicht – auch nicht auf unsere Nachfrage. Eine Sprecherin schreibt uns: „Das Sondervermögen Bundeswehr ist aktuell zu rund 87 Prozent gebunden. Die noch offenen rund 13 Milliarden Euro werden schnellstmöglich für weitere, bereits geplante anstehende Vertragsabschlüsse verwendet. Das Sondervermögen Bundeswehr ist also zu 100 Prozent verplant.“ Das Ministerium gehe davon aus, dass das Sondervermögen im Jahr 2027 nahezu vollständig verausgabt sein werde.

Ein Faktor für den zeitlichen Aufwand: Kostet eine Beschaffung mehr als 25 Millionen Euro, muss sie vom Haushaltsausschuss des Bundestags gebilligt werden – das legt Paragraph 5 des Gesetzes fest. Recherchen des MDR von Januar 2025 zeigen: Fast die Hälfte des Sondervermögens wurde für Geräte, Waffensysteme und Raketen ausgegeben, darunter etwa 10 Milliarden Euro für F-35 Kampfjets sowie fast 7 Milliarden Euro für Chinook-Transporthubschrauber. Weitere fünf Milliarden flossen zudem in Ausrüstungsgegenstände, wie Kleidung, Geländewagen oder Funkgeräte. Seit Januar 2025  genehmigte der Bundestag weitere Beschaffungen.

Chrupalla reagierte bis zur Veröffentlichung nicht auf unsere Anfrage.

Sondervermögen investiert, aber bislang nicht alles bei den Truppen angekommen

Nicht alle Investitionen sind aber bei den Bundeswehrtruppen schon angekommen. Daran gab es in der Vergangenheit Kritik. 2023 bemängelte die damalige Wehrbeauftragte des Bundestags, Dr. Eva Högl (SPD), in einer Pressemitteilung zum Wehrbericht 2022 einen langsamen Beschaffungsprozess. Geld müsste schneller in Gerät, Material und persönliche Ausrüstung fließen. Im Interview mit dem Parlamentsfernsehen sagte sie: „Von den 100 Milliarden ist im Jahr 2022 noch gar kein Euro und Cent bei der Bundeswehr angekommen“.

Das scheint nun aber nicht mehr der Fall zu sein, wie die Pressemitteilung zum Wehrbericht 2024 zeigt: „Deutliche Fortschritte brachte die Umsetzung der vorgezogenen Vollausstattung bei der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten, insbesondere bei Schutzwesten und Helmen.“

Die Fortschritte bei der Ausrüstung betont auch Vizeadmiral Carsten Stawitzki in einem Interview der Bundeswehr im Juni 2025. Er ist Abteilungsleiter für Rüstung im Verteidigungsministerium. Materialien seien ausgeliefert, die Beschaffung der Ausrüstung damit eine „Erfolgsgeschichte“, so Stawitzki. Bei anderen Beschaffungen dauert es länger: Die bestellten Geräte und Waffen, wie die F-35 oder die Transporthubschrauber, stünden „nicht beim Rüstungs-Amazon in Regal“, sondern müssten erst produziert werden. Die Verzögerungen bei den Bestellungen erklärt Stawitzki mit einer nur schwach vorhandenen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Kapazitäten und Kompetenzen müssten daher erst wieder aufgebaut werden.

Chrupalla bezeichnet Russland-Spionagevorwürfe als „Kampagne“ 

Im ZDF-Interview ging es auch um Russland-Spionage-Vorwürfe einiger Politiker gegen die AfD. Gegenüber dem Handelsblatt sagte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD): „Schon seit geraumer Zeit beobachten wir mit zunehmender Sorge, dass die AfD das parlamentarische Fragerecht dazu missbraucht, gezielt unsere kritische Infrastruktur auszuforschen.“ Chrupalla bezeichnete solche Vorwürfe im ZDF-Interview als „Kampagne der CDU und SPD“. Über die Russland-Nähe der AfD hat CORRECTIV bereits 2023 ausführlich berichtet.

Mehreren AfD-Politikern wurden in der Vergangenheit verdächtige Russland-Verbindungen vorgeworfen: Petr Bystron soll von dem russischen Desinformationsnetzwerk „Voice of Europe“ Geldzahlungen erhalten zu haben. Laut einer Recherche von T-Online soll er außerdem einen mutmaßlichen russischen Spion in den Bundestag gebracht haben. Auch gegen Maximilian Krah werden in dem Fall Ermittlungen geprüft, zudem soll ihn die US-Bundespolizei FBI zu möglichen Zahlen von russischer Seite befragt haben. Bystron und Krah bestreiten die Vorwürfe. Im Februar 2024 berichtete der Spiegel zudem über einen AfD-Mitarbeiter, der in Kontakt mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB gestanden haben soll.

Redigatur: Sara Pichireddu, Max Bernhard

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung des Beschaffungsamtes der Bundeswehr, 20. Dezember 2024: Link (archiviert)
  • Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“, 1. Juli 2022: Link (archiviert)
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