Justiz

Doch, Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland haben ein Versammlungsrecht

Tausende feierten in mehreren deutschen Städten den Jahrestag des Sturzes des Assad-Regimes in Syrien. Eine neurechte Influencerin behauptet, Menschen aus dem Ausland hätten hierzulande kein Versammlungsrecht. Warum das nicht stimmt.

von Paulina Thom

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Am Sonntag, den 7. Dezember 2025, versammelten sich etwa 2.000 Menschen auf dem Alexanderplatz in Berlin im Vorfeld des Jahrestags des Sturzes des ehemaligen Assad-Regimes in Syrien (Foto: Michael Kuenne / Zumapress / Picture Alliance)
Behauptung
Ausländer hätten in Deutschland kein Versammlungsrecht.
Bewertung
Falsch. Zwar bezieht sich Artikel 8 im Grundgesetz zur Versammlungsfreiheit ausschließlich auf Deutsche, ein Versammlungsrecht haben aber auch Ausländerinnen und Ausländer durch das Versammlungsgesetz des Bundes und die Versammlungsgesetze der Länder.

„Ich möchte nochmal drauf hinweisen, dass Ausländer in Deutschland kein Versammlungsrecht haben“, behauptet Anabel Schunke am 7. Dezember auf X. Schunke ist neurechte Influencerin und schreibt unter anderem für die rechtspopulistischen Magazine Tichys Einblick und die Schweizer Weltwoche.

Kontext ihrer Behauptung ist der Jahrestag des Sturzes des Assad-Regimes in Syrien, den tausende Menschen in mehreren deutschen Städten feierten. In Berlin am Alexanderplatz waren es etwa 2.000, in Essen rund 10.000. Schunke behauptet, man könne diese Kundgebungen „sofort auflösen“, wenn die Syrer und Syrerinnen nicht alle eingebürgert seien. Die Behauptung zum Versammlungsrecht verbreitet sich auch auf Facebook.

Ein Blick auf die Rechtslage zeigt jedoch, dass Ausländer in Deutschland sehr wohl ein Recht auf Versammlung haben.

Post auf X von Anabel Schunke
Die neurechte Influencerin Anabel Schunke erreichte mit ihrem Post tausende Likes. Anders als behauptet, haben Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland jedoch durchaus ein Versammlungsrecht. (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gilt nur Deutschen, Ausländer haben trotzdem Versammlungsrecht

Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Sachstandsbericht aus 2018 schreibt, sind für die Versammlungsfreiheit in Deutschland drei Rechtsebenen relevant: das Verfassungsrecht, also das Grundgesetz, das Völkerrecht und das sogenannte einfache Recht, also etwa Bundes- oder Landesgesetze.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit​​ findet sich in Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags erklärt, unterscheidet das Grundgesetz zwischen sogenannten Jedermann-Grundrechten (auch: Menschenrechte) und Deutschen-Grundrechten (auch: Bürgerrechte). Wer unter letzteres fällt, ist in Artikel 116 des Grundgesetzes festgelegt.

Auf Nachfrage schreibt und Anabel Schunke, sie habe sich auf dieses Grundrecht in der Verfassung bezogen. Das stehe tatsächlich nur deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu, erklärt uns Christoph Enders, emeritierter Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig. Es stimmt aber nicht, wie Schunke schreibt, dass man deswegen die Versammlungen einfach hätte auflösen können. Wegen anderer Gesetze sei „allen natürlichen Personen, also auch Ausländern“ das Recht auf Versammlung in Deutschland eingeräumt, so Enders. „Im Ergebnis gibt es kaum relevante Unterschiede bei der Anwendung des Versammlungsrechts auf Deutsche oder Nicht-Deutsche.“

Gesetze des Bundes und der Länder gewähren jeder Person in Deutschland Recht auf Versammlungsfreiheit

Festgelegt ist das auf der einfachen Rechtsebene durch das Versammlungsgesetz des Bundes von 1953 oder durch die Versammlungsgesetze der Länder, die das auf Bundesebene, seit der Föderalismusreform 2006, teilweise ersetzen. So heißt es etwa im Bundesgesetz: „Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.“

Die Regelung erfolgte laut der Bundeszentrale für politische Bildung mit Rücksicht auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). In Artikel 11 heißt es darin: „Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen“.

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hebt die Bestimmungen der EMRK hervor: Zwar gelte sie – wie auch andere völkerrechtliche Verträge – nach Artikel 59 des Grundgesetzes formal nur im Range eines einfachen Gesetzes. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 2004 auf die „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ verwiesen. Demnach sei die EMRK bei der Interpretation der gesamten deutschen Rechtsordnung – auch der Grundrechte – zu berücksichtigen.

Das Versammlungsrecht, so heißt es weiter, habe nicht nur den Anforderungen des Grundgesetzes, sondern auch den völkerrechtlichen Verpflichtungen zu genügen. „Daher ist die Versammlungsfreiheit in sämtlichen Versammlungsgesetzen als ‚Jedermannsrecht‘ ausgestaltet.“ Hierauf können sich laut Wissenschaftlichem Dienst neben Deutschen auch EU-Ausländer, Ausländer aus Drittstaaten sowie Staatenlose berufen.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Sachstand: Zum Versammlungsrecht von Ausländern, 23. August 2018: Link (archiviert)
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Link (archiviert)
  • Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz): Link (archiviert)
  • Hartmut Vogel, „Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen: Ein Beitrag zu Fragen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit“, Aus Politik und Zeitgeschichte, 26. Juni 1968: Link (archiviert)
  • Europäische Menschenrechtskonvention: Link (archiviert)
  • Entscheidung Bundesverfassungsgericht, 14. Oktober 2004: Link (archiviert)
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