Doch, auch deutsche Wohnungslose haben ein Anrecht auf Unterbringung
Geflüchtete bekommen in Deutschland Wohnraum gestellt, deutsche Obdachlose hingegen müssen auf der Straße schlafen – das ist ein häufiges Vorurteil in der Debatte um Flucht und Migration. Stimmt es, dass deutsche Wohnungslose kein Anrecht auf eine Unterkunft haben? Stehen sie in Konkurrenz mit Geflüchteten? Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir mit der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. gesprochen.
Die Facebookseite BLACKLIST. teilte am 4. März 2018 ein Bild, das ein Obdachlosenlager unter der Kerstin-Miles-Brücke in Hamburg zeigt. „Asylanten bekomm (sic!) eine warme Unterkunft gestellt. Nur der deutsche Obdachlose muss draußen bei 13 Grad minus schlafen“, heißt es in der Bildbeschreibung auf Facebook. BLACKLIST. fordert auf: Wer der Meinung sei, Obdachlose sollten auch eine Unterkunft gestellt bekommen, soll das Bild teilen.
Der Aufruf zum Verbreiten des Bildes war erfolgreich: Es wurde seit März über 230.000 Mal geteilt. Jetzt, zur kalten Jahreszeit, findet der Facebook-Post erneut Aufmerksamkeit.
BLACKLIST. suggeriert, in Deutschland hätten Geflüchtete Anspruch auf eine Unterkunft – deutsche Staatsangehörige hingegen nicht.
CORRECTIV wollte herausfinden, ob das stimmt. Dafür haben wir mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG-W) gesprochen, einer bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der sozialen Dienste und Einrichtungen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten.
Haben deutsche Wohnungslose Anspruch auf eine Unterkunft?
„Nach vorherrschender Rechtsauffassung besteht in Deutschland ein Recht auf Unterbringung nach Polizei- bzw. Ordnungsrecht der Länder“, heißt es in einem Schreiben der BAG-W an CORRECTIV. Sollte eine betroffene Person keine Unterkunft haben und auch kein Geld, um Miete zu zahlen, hat die Person einen rechtlichen Anspruch auf eine Unterkunft. Die Begründung: Unfreiwillige Obdachlosigkeit gefährdet die Grund- und Menschenrechte.
Diese Not-Wohnungen sehen in jeder Stadt anders aus. „Manche Kommunen halten eigenen Wohnraum für diesen Zweck vor – entweder in Form einzelner ‘echter’ Wohnungen oder als Notunterkunft“, so die BAG-W. Andere Kommunen würden beispielsweise mit freien Trägern zusammenarbeiten, oder unter Umständen sogar Unterkünfte in Pensionen anmieten.
Welche Nationalität eine betroffene Person hat und in welcher Kommune die letzte Wohnung war, in der die obdachlose Person gelebt hat, ist dabei egal.
Wieso wird dieses Recht nicht immer umgesetzt?
Es gibt der BAG-W zufolge verschiedene Gründe dafür, wieso das Recht auf Unterbringung nicht immer umgesetzt wird. Die BAG-W sagt: Viele Kommunen wissen einfach nicht, dass es dieses Recht gibt und dass sie dafür sorgen müssen, dass Menschen in Not eine Wohnung bekommen. Betroffene würden nicht informiert, zuständige Behörden würden wohnungslos gewordene Menschen wegschicken – mit Busticket in die nächstgrößere Stadt und der Begründung, vor Ort könne nicht geholfen werden. „Diese Praxis ist unzulässig“, betont die BAG-W.
Oftmals würde auch argumentiert, die kommunale Notunterkunft sei ausgelastet. Das sei eigentlich kein Kriterium. Obdachlose Menschen, denen es häufig an den notwendigen Ressourcen und dem Wissen fehle, um ihr Recht einzuklagen, ließen sich dann aber häufig „abwimmeln“.
Ein weiteres Problem: die Zustände in einigen Unterkünften seien schlecht. Häufig seien es Mehrbettzimmer, einige Räume seien schlecht ausgestattet, es sei dreckig. Auch Gewalt und Diebstahl seien ein Problem. Wohnungslose Menschen würden es daher oft vorziehen, auf der Straße zu schlafen. „Ein Problem ist auch, dass vielerorts Hunde oder Alkoholkonsum verboten sind“ – für viele Wohnungslose ein Ausschlusskriterium. Ein Anrecht für Betroffene, sich eine Unterkunft aussuchen zu können, bestehe nicht.
Stehen wohnungslose Flüchtlinge und Migranten mit deutschen Obdachlosen in Konkurrenz?
Nach Schätzungen der BAG-W waren im Jahr 2016 etwa 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, davon würden 52.000 Betroffene auf der Straße leben. 440.000 Menschen ohne Wohnung sind Flüchtlinge – das sind mehr als 50 Prozent. Sie würden im Regelfall jedoch weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete geduldet.
„Geflüchtete im laufenden Verfahren werden nach Asylbewerberleistungsgesetz untergebracht und stehen kaum in direkter Konkurrenz zu Wohnungslosen”, teilte die BAG-W gegenüber CORRECTIV mit. „Sie leben vornehmlich in den eigens für Flüchtlinge eingerichteten Unterkünften.“ Nur die wenigsten würden über eigene finanzielle Mittel verfügen, um sich auf dem Wohnungsmarkt durchzuschlagen. Staatliche Hilfe für Geflüchtete gebe es dafür nicht.
Anerkannte Flüchtlinge können sich hingegen eine Wohnung suchen – stehen dann aber in Konkurrenz zu anderen unvermögenden wohnungslosen Gruppen, beispielsweise deutschen Wohnungslosen, Arbeitslosen oder Alleinerziehenden. Denn günstiger Wohnraum ist knapp. „Die Versorgungslage auf dem Wohnungsmarkt war schon vor der Zuwanderung der Flüchtlinge problematisch.“
Werden Flüchtlinge und Migranten auf dem Wohnungsmarkt bevorzugt?
So sei es nicht, sagt die BAG-W. In Berlin hätten Geflüchtete etwa ein Anrecht auf einen Dringlichkeits-Wohnberechtigungsschein (WBS) mit dem sie sich auf geförderten Wohnraum bewerben können – dieser steht aber auch anderen Wohnungslosen zu.
„Im Übrigen gibt es für Geflüchtete zusätzliche Hürden bei der Erlangung des eigenen Wohnraums, die deutsche Wohnungslose nicht fürchten müssen“, schreibt die BAG-W. Flüchtlingen wird oftmals ein kurzer subsidiärer Schutz ausgesprochen, Vermieter fordern aber oft Nachweise über einen längeren Zeitraum. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt außerdem, dass eine Vielzahl rassistischer Vorurteile und Stereotypen zu Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Wohnungsmarkt führt.
In Deutschland erlagen in diesem Winter laut Medienberichten bereits drei Obdachlose dem Kältetod, in Köln, Düsseldorf und Hamburg. Alle drei kamen aus Osteuropa.
Etwa zwölf Prozent der Wohnungslosen – ohne Einbezug der wohnungslosen Flüchtlinge – kommen nach Schätzungen der BAG-W aus EU-Staaten nach Deutschland. Das seien über 50.000 Menschen, viele leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Vor allem in den Metropolen würde ihr Anteil an den Personen auf der Straße bis zu 50 Prozent betragen. „Die Gruppe der wohnungslosen, nicht-deutschen EU-Migrantinnen ist die, der es – vereinfacht gesagt – derzeit am schlechtesten geht.“ Umso perfider sei es, Menschen aufgrund ihrer Herkunft gegeneinander auszuspielen, so die BAG-W.