Faktencheck

Bürgergeld: Erneut führen Grafiken zum Bezug von Geflüchteten in die Irre

Immer wieder wird mit Grafiken zum Bürgergeld Stimmung gegen Geflüchtete gemacht. Aktuell kursieren Darstellungen, die ähnlich schon 2023 in Umlauf waren und Nutzerinnen und Nutzer in die Irre führen.

von Sara Pichireddu

Symbolfoto zu steigenden Lebensmittelpreisen / Inflation / Supermarkt
Nach wie vor sind mehr als die Hälfte der Bürgergeld beziehenden Menschen Deutsche (Quelle: Micha Korb / pressefoto_korb / Picture Alliance)
Behauptung
Grafiken würden Bürgergeld-Empfangende nach Staatsangehörigkeit zeigen, 59 Prozent werden Ukrainerinnen und Ukrainern zugeordnet, 5,3 Prozent Deutschen.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Die Daten in den Grafiken zeigen nicht, wie viele Menschen unter den Bürgergeld-Empfangenden die jeweilige Staatsbürgerschaft haben, sondern beziehen sich auf eine Quote der Bürgergeld-Beziehenden an der entsprechenden Staatsbürgerschaft. Die genauen Quoten an der Staatsbürgerschaft sind nicht nachvollziehbar. Der Großteil der Menschen, die Bürgergeld beziehen, sind Deutsche.

Immer wieder kursieren online angebliche Aufschlüsselungen dazu, welche Staatsbürgerschaft Bürgergeld-Empfangende in Deutschland haben. Aktuell verbreiten etwa Petr Bystron und Nicole Höchst, beide AfD, Auflistungen unter dem Titel „Bürgergeld-Empfänger nach Staatsangehörigkeit“. Zur Ukraine sind dabei 59 Prozent angeführt, zu Deutschland nur 5,3 Prozent. Beide Beiträge wurden tausendfach geteilt.

In den Kommentaren nehmen manche an, das bedeute, dass 94,7 Prozent der Bürgergeld-Empfangende keine Deutschen seien. Andere stellen richtig: Die gut fünf Prozent mit deutscher Staatsangehörigkeit seien in Summe mehr Personen als alle anderen zusammen. Wieder andere wundern sich, wie in der Grafik in Summe weit über 100 Prozent herauskommen könnten.

Bystron liefert in seinem X-Post Kontext zur Grafik, seine Darstellung verbreitet sich jedoch ohne diesen Kontext weiter. Höchst ergänzt zu Ihrer Grafik mit der Aussage „Deutsche zahlen, andere kassieren“ noch eine weitere irreführende Aussage.

Wir ordnen die Zahlen ein.

Screenshot eines Tweets von Petr Bystron, der eine Grafik zeigt, die Bürgergeldbeziehende beschreiben soll.
Diese Grafik von AfD-Politiker Petr Bystron wurde tausendfach geteilt (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

In Bystrons Diagramm sind in absteigender Reihenfolge Balken mit Flaggen und Ländernamen zu sehen, dazu Prozentzahlen. Der größte Balken mit 59 Prozent gehört zur Ukraine, der kleinste mit 5,3 Prozent zu Deutschland. Die deutsche Flagge, die den Balken markiert, steht auf dem Kopf – eine unter Rechtsextremisten verwendete Symbolik.

In Höchsts Grafik sind keine Balken zu sehen, sondern nur Flaggen und Prozentangaben – sie stimmen mit denen bei Bystron überein. Beide geben die gleiche Quelle an: den Migrationsmonitor der Agentur für Arbeit aus dem Monat Mai 2025.

Screenshot einer Grafik, die AfD-Politikerin Nicole Höchst auf X gepostet hat.
„Deutsche zahlen, andere kassieren“, behauptet Höchst in ihrer Auflistung der Bürgergeldempfangenden (Quellen: Whatsapp, X; Screenshots: CORRECTIV.Faktencheck)

Grafiken zu Bürgergeld von Bystron und Höchst sind irreführend

Beide Grafiken haben das gleiche Problem wie auch schon Beiträge aus dem Jahr 2023 mit sehr ähnlichen Zahlen: Sie nehmen eine falsche Interpretation in Kauf, weil sie suggerieren, Deutsche bezögen nur 5,3 Prozent des Bürgergeldes, Ukrainerinnen und Ukrainer aber etwa 59 Prozent. Das stimmt nicht.

Der als Quelle angegebene Migrationsmonitor der Arbeitsagentur von Mai 2025 – ein monatlicher Bericht mit diversen Zahlen zur Situation von Ausländerinnen und Ausländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt – liefert absolute Zahlen zu den Menschen, die in Deutschland Bürgergeld beziehen, und deren Staatsangehörigkeiten. Nach wie vor sind mehr als die Hälfte der Beziehenden von Bürgergeld Deutsche, nämlich etwa 2,8 Millionen Menschen. Ukrainerinnen und Ukrainer machen 13 Prozent aus, Syrerinnen und Syrer 9 Prozent.

Das Bürgergeld soll ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sichern und wird Menschen gezahlt, die ein zu geringes Einkommen haben. Durchschnittlich hatten Regelleistungsberechtigte im März 2025 einen Anspruch auf 728 Euro. Für Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit war diese Summe ein bisschen höher: Sie bekamen im Durchschnitt 735 Euro, Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Schnitt 719 Euro.

Prozentangaben in den Grafiken von Bystron und Höchst zum Bürgergeld sind nicht nachvollziehbar 

Die genauen Prozentzahlen aus den ursprünglichen Grafiken konnten wir nicht nachvollziehen. Auf Nachfrage, wie ihre Zahlen zustande kommen, antworten weder Bystron noch Höchst bis zur Veröffentlichung.

Mit den Zahlen aus dem Migrationsmonitor der Arbeitsagentur von Mai 2025 in Verbindung mit dem Bevölkerungsstand laut Statistischem Bundesamt (Stand: 27. Juni 2025) haben wir Quoten für die Bürgergeldbeziehenden an der jeweiligen Gruppe berechnet. Damit ergeben sich folgende Quoten:

Demnach sind rund 65 Prozent der in Deutschland lebenden Ukrainerinnen und Ukrainern auf die Grundsicherung angewiesen, genauso wie fast vier Prozent der Deutschen.

Diese Zahlen decken sich nicht mit denen von Bystron und Höchst. Möglich ist, dass sie mit anderen Grundwerten für die Bevölkerungsgruppen in Deutschland gerechnet haben. Vergleicht man beispielsweise die Zahl der Bürgergeldbeziehenden mit den Bevölkerungszahlen ohne Menschen, die älter sind als 65 – Personen im Rentenalter erhalten statt Bürgergeld eine andere Grundsicherung – ergeben sich deutlich andere Zahlen.

Auch diese Parameter scheinen nicht die zu sein, die Bystron und Höchst angewendet haben, aber in dieser Rechnung nähern wir uns dem zitierten Wert von 5,3 Prozent der deutschen Bürgergeldbeziehenden an.

Von den rund 5,4 Millionen Leistungsberechtigten sind etwa 1,4 Millionen nicht erwerbsfähig, wie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Dazu gehören Menschen, die unter 15 Jahre alt sind oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten können.

In einem weiteren Versuch, die Ergebnisse der AfD-Abgeordneten nachzuvollziehen, betrachteten wir also nur die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB) und die Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren. Kinder und Menschen im Rentenalter gelten kategorisch nicht als ELB. Es gibt darüber hinaus weitere Kriterien wie Krankheit oder Behinderung, die entscheidend für die Erwerbsfähigkeit sind, die hier gezeigte Rechnung stellt also nur eine Annäherung dar.

In keiner unserer Betrachtungen sahen wir die Quoten, die mit den Bildern der Politikschaffenden verbreitet wurden. Höchst und Bystron beziehen sich offenbar auf andere Zahlen, als den angegebenen Migrationsmonitor der Agentur für Arbeit und die aktuellsten Zensus-Daten oder betrachten nur ausgewählte Gruppen, die wir nicht nachvollziehen konnten.

„Deutsche zahlen“ ist falsch: Auch Menschen mit anderer Staatsbürgerschaft zahlen Steuern

Dass Höchst behauptet, ausländische Menschen würden in Deutschland „kassieren“ ohne soziale Abgaben zu zahlen, ist irreführend: Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren in Deutschland im vierten Quartal 2024 etwa 5,7 Millionen Ausländer steuer- und sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind etwa 16 Prozent aller Beschäftigten und entspricht damit auch ziemlich genau dem Bevölkerungsanteil von ausländischen Menschen an der Gesamtbevölkerung. Als Existenzminimum ist das Bürgergeld darüber hinaus keine Leistung der Sozialversicherung, sondern wird aus Steuern finanziert.

Menschen mit Staatsbürgerschaften außerhalb der EU dürfen in Deutschland nur dann arbeiten, wenn ihr Aufenthaltstitel es erlaubt. Sobald sie aber bei einem deutschen Unternehmen angestellt sind, gelten für sie die gleichen Rechte und Pflichten wie für Angestellte mit deutscher Staatsbürgerschaft. Die Steuer- und Sozialversicherungspflicht greift also ab dem ersten Tag der Beschäftigung, genau wie die damit verbundenen Beiträge.

Laut Fachleuten ist es nicht schlüssig, in den oben betrachteten Quoten der Bürgergeldbeziehenden einen politischen Skandal oder ein Scheitern der Integration zu sehen.

Je länger Menschen aus dem Ausland in Deutschland sind, desto besser integrieren sie sich in den Arbeitsmarkt

Die Beiträge im Netz suggerieren, Ausländerinnen und Ausländer sowie Geflüchtete seien zu faul zum Arbeiten. Was aber sagen Fachleute zu der Frage, wieso deren Bürgergeldquoten im Vergleich zu der von Deutschen höher sind?

Wir haben schon 2023 unter anderem mit Moritz Kuhn, Professor für Arbeitsökonomie, über die Zahlen und deren Bedeutung gesprochen. Er sagte, dass es vor allem wichtig sei, wie lange sich Menschen bereits in Deutschland befänden: „Menschen arbeiten sich in den Arbeitsmarkt rein“, sagt Kuhn. Mit zunehmender Dauer steige daher auch die Beschäftigungsquote.

Das zeigten zum Beispiel die Veröffentlichungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). So schrieb das Institut: „Die Erwerbstätigenquoten der Geflüchteten sind unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland gering, […] sie steigen dann aber mit zunehmender Aufenthaltsdauer.“ In der dazugehörigen Grafik zeigt sich, dass die Erwerbstätigenquote – also das Verhältnis der Personen, die eine bezahlte Tätigkeit ausüben zur Gesamtzahl dieser Personen – sieben Jahre nach dem Zuzug nach Deutschland im Schnitt bei 62 Prozent liegt.

Eine Verlaufsgrafik, die die Entwicklung der Erwerbstätigenquote von ukrainischen Geflüchteten in Deutschland zeigt.
In der Veröffentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung heißt es, dass sich Geflüchtete mit zunehmender Aufenthaltsdauer immer besser in den Arbeitsmarkt integrieren (Quelle: IAB; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Außerdem verpflichtet die sogenannte Wohnsitzauflage Geflüchtete zum Teil dazu, in dem Bundesland zu wohnen, dem sie zur Durchführung des Asylverfahrens nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel zugewiesen wurden. Eine Veröffentlichung des IAB zeigt, dass Geflüchtete überdurchschnittlich auf Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit verteilt würden und so schwerer einen Job finden. Über dieses Problem berichtete auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Großteil ukrainischer Geflüchteter erst seit 3,5 Jahren in Deutschland

Die Zahlen für Geflüchtete aus der Ukraine passen zu diesen Auswertungen: Wie Daten des Statistischen Bundesamtes bis November 2024 zeigen, kamen die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer vor 3,5 Jahren nach Deutschland – eine Folge des russischen Angriffskrieges. Im März 2025 beziehen etwa 67 Prozent von ihnen Bürgergeld, 33 Prozent nicht. Das entspricht ungefähr den IAB-Daten in der Grafik oben.

EIn Liniendiagramm, dass die demografische Entwicklung der ukrainischen Geflüchteten im Hinblick auf Geschlecht und Alter in Deutschland zeigt.
Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind mehr als die Hälfte Frauen (Quelle: Destatis; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Alleinerziehende haben oft schlechtere Chancen auf einen Job

Mehr als die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten sind Frauen und mehr als ein Viertel unter 18 Jahren alt. Laut Katrin Menke, Soziologin an der Ruhr-Universität Bochum, handelt es sich dabei vielfach um Mütter mit minderjährigen Kindern, wie sie uns erklärte, als wir uns 2023 mit ähnlichen Aussagen beschäftigt hatten. Für Alleinerziehende sei ein Jobbeginn immer eine Herausforderung.

Für Geflüchtete käme dann noch hinzu, dass sie sich zunächst einmal in ihrem neuen Umfeld zurechtfinden müssten. Dazu gehöre es nicht nur, Deutsch zu lernen, sondern auch eine Wohnung und Betreuungsplätze für die Kinder zu finden. Eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt werde aber auch häufig dadurch behindert, dass Geflüchtete in Deutschland keine Netzwerke hätten, die Institutionen nicht kennen würden und ihre Kenntnisse aus Berufen oder Ausbildungen nicht oder nur schwer anerkannt würden.

Ihre Forschung zeige auch, erklärte Soziologin Menke weiter, dass vor allem Frauen aus dem arabischen Raum häufig mit rassistischen Stereotypen in den Jobcentern zu kämpfen hätten. Eines davon: Sie seien nicht oder unzureichend gebildet und primär auf Sorgearbeit fokussiert. So würden viele Frauen nur eingeschränkt als potenzielle Arbeits- oder Fachkraft für die deutsche Wirtschaft betrachtet und primär in prekäre Arbeitssegmente wie dem Reinigungswesen vermittelt.

Geflüchtete verschlechtern sich zunächst beruflich 

„Mit der Flucht verschlechtert sich die berufliche Stellung immer deutlich“, sagte die Forscherin auch, „Lehrerinnen aus Syrien sind jetzt Erzieherinnen oder Alltagshelferinnen in Kitas“.

Ökonom Kuhn sagte uns, dass das auch daran liege, dass Geflüchtete ihre Auswanderung, anders als andere Migrantinnen und Migranten, nicht lange vorbereiten können. Sie hätten nicht die Gelegenheit, erst Deutsch zu lernen, ihre Zeugnisse einzupacken oder sich bestimmte Berufserfahrungen bescheinigen zu lassen.

Wie gut sich Menschen integrieren, hängt auch davon ab, ob sie in einem Land bleiben können und wollen

Martin Lange, Arbeitsmarktforscher am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, sah zudem bei der Bleibeperspektive der Geflüchteten Unterschiede. Aus der Forschung wisse man, dass Zugewanderte „ungefähr nach 15 Jahren auf dem Beschäftigungsniveau“ der einheimischen Bevölkerung seien.

„Migration braucht immer ein bisschen Zeit“, sagte uns auch Kuhn. „Die Deutschen sollten bei Vertreibung durch Krieg eine besondere Sensibilität haben“, sagte er und gab zu bedenken: „Asyl lässt sich nicht auf ein Kosten-Nutzen-Verhältnis reduzieren, denn es handelt sich dabei um ein Menschenrecht.“

Redigatur: Paulina Thom, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Migrationsmonitor der Bundesagentur für Arbeit: Link (Download)
  • Fortschreibung des Bevölkerungsstandes, Statistisches Bundesamt, 17. Juli 2025: Link
  • Kurzbericht des IAB, „Entwicklung der Arbeitsmarktintegration seit Ankunft in Deutschland“, 27. Juli 2023: Link ( PDF, archiviert)
  • Artikel des Statistischen Bundesamtes über Zugewanderte aus der Ukraine: Link (archiviert)

 

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