Nach Anschlägen in Sri Lanka: Wie Politikern wegen ihren Beileidsbekundungen unterstellt wird, sie würden das Christentum „verhöhnen“
Weil in den öffentlichen Stellungnahmen einiger Politiker zu Sri Lanka „Christen“ nicht explizit als Opfer genannt werden, wird ihnen in Blog-Artikeln vorgeworfen, sie würden das Christentum „verhöhnen“, anderen werden Worte in den Mund gelegt.
Bei einer Anschlagsserie auf mehrere Kirchen und Hotels in Sri Lanka am 21. April sind laut Tagesschau mindestens 359 Menschen getötet worden, etwa 500 Menschen wurden verletzt. Unmittelbar nach den ersten Meldungen äußerten sich Politiker zu den Vorfällen, so schickte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Kondolenztelegramm an den Präsidenten Sri Lankas, Maithripala Sirisena. Sie schreibt darin: „Religiöser Hass und Intoleranz, die sich heute auf so schreckliche Weise manifestiert haben, dürfen nicht siegen.“
Ähnlich äußerten sich weitere Politiker verschiedener Parteien, darunter Frank-Walter Steinmeier, Heiko Maas, Andrea Nahles und Katrin Göring-Eckardt.
Diese vier Politiker erregten mit ihren Beileidsbekundungen die Aufmerksamkeit verschiedener Blogs und Kommentatoren. Sie werden für ihre Aussagen zu Sri Lanka kritisiert, genauer: Ihnen wird direkt oder suggestiv vorgeworfen, sie würden vorsätzlich das Wort „Christen“ vermeiden.
Verhöhnen Politiker das Christentum, wenn sie nicht „Christen“ sagen?
Der Blog Journalistenwatch fragt in Bezug auf die Aussagen von Steinmeier und Maas in der Überschrift eines Artikels vom 22. April: „Haben Steinmeier und Maas das Wort ‘Christen’ aus ihrem Wortschatz gestrichen?“ Im Text wird den beiden Politikern vorgeworfen, sie würden das Christentum „verhöhnen“.
Nicht nur deutsche Politiker erhielten solche Vorwürfe. Der österreichische Blog Unzensuriert betitelte einen Artikel vom 22. April: „Nach Terror: Politiker in Österreich und der Welt vermeiden Wort ‘Christen’ in Beileidsschreiben“. Darin geht es um Tweets von Barack Obama, Hillary Clinton und dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Auch der Blog MMNews schreibt über die Tweets von Obama und Clinton und unterstellt, sie würden den Begriff „Christen“ bewusst vermeiden und stattdessen von „Osteranbetern“ sprechen.
Im Umfeld rechter Blogs und Gruppen wird das Thema teilweise zynisch kommentiert. So nimmt etwa Henryk Broder in einem Beitrag für die Webseite Achse des Guten vom 22. April die Aussage von Katrin Göring-Eckardt zum Anlass, ihr anhand dieser den Satz „Christen, hört auf, Moscheen und Synagogen anzuzünden!“ in den Mund zu legen.
Dafür wird ein beliebtes Werkzeug verwendet, um mit der Facebook-Vorschau ein falsches Bild zu erzeugen: Zusammen mit dem Vorschaubild – ein Foto von Göring-Eckardt – wirkt der Satz wie ein Zitat.
Dieser Artikel wurde 3.412 Mal auf Facebook geteilt. Die prominentesten Verbreiter: AfD-Chefin Alice Weidel und der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier. Neun AfD-Kreis- und Ortsverbände teilten ihn ebenfalls auf ihren Seiten.
„Absurde Unterstellung“
Jeder dieser Texte suggeriert, die Politiker würden das Wort „Christen“ aus politischem Kalkül nicht in ihren Beileidsbekundungen verwenden. Als Beleg dafür wird ein Tweet von Maas herangezogen, in dem er nach dem Anschlag in Christchurch schrieb, dieser träfe „friedliche betende Muslime“.
Trifft Terror Muslime, wird das so benannt, trifft er Christen, dann wird nicht darauf aufmerksam gemacht – so offenbar die zugrundeliegende Annahme. Tatsächlich wurde das Wort in diesen Beispielen nicht genannt und sich eher allgemein ausgedrückt – doch wird damit das gesamte Christentum verhöhnt?
CORRECTIV hat die Politiker mit diesem Vorwurf konfrontiert. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten Steinmeier sagt: „Die Formulierung hat im konkreten Fall dem Umstand Rechnung getragen, dass neben Kirchen auch Hotels Ziel der Angriffe waren und Opfer unter Christen wie Nichtchristen zu beklagen sind.“ Zudem habe Steinmeier in seinem Schreiben Ostergottesdienste ausdrücklich genannt und in seiner Kondolenz an Neuseeland die Anschläge auf Moscheen in Christchurch in ähnlichen Worten verurteilt.
Ein Sprecher der SPD-Vorsitzenden Nahles teilt CORRECTIV mit: „Frau Nahles nutzt in Ihrem Tweet zu Sri Lanka den Begriff Christinnen und Christen, wenn auch im Zusammenhang mit der Empfehlung, auf die Anschläge nicht mit Hass zu reagieren.“ Die Vorwürfe, wenn sie denn gegen Frau Nahles gerichtet seien, entbehrten jeder Grundlage und seien absurd. „Frau Nahles ist gläubige Katholikin und macht daraus auch keinen Hehl.“
Von einem Sprecher der Grünen-Vorsitzenden Göring-Eckardt erhielt CORRECTIV folgende Antwort: „Die Unterstellung ist absurd. Frau Göring-Eckardt ist bekanntermaßen eine bekennende und überzeugte Christin. In ihrem Tweet hatte die Fraktionsvorsitzende ausdrücklich betont, dass Terror und religiöser Hass in dieser Welt nichts zu suchen hat. In diesem Fall war damit selbstverständlich die christliche Gemeinschaft adressiert.“ Im Übrigen habe Göring-Eckardt gemeinsam mit anderen Repräsentanten der Grünen „ein Kondolenzschreiben an die Christinnen und Christen in Deutschland sowie die Vertreterinnen und Vertreter der christlichen Kirchen verfasst“.
Das Auswärtige Amt verweist gegenüber CORRECTIV auf die Pressemitteilung von Außenminister Maas zu den Anschlägen in Sri Lanka und teilt mit: „Der vollständige Wortlaut der Äußerung von Außenminister Maas (‘…Menschen, die sich am Ostersonntag in den Kirchen dem Gebet und der Besinnung widmeten…’) macht unmissverständlich klar, dass es sich um Christen handelt.“