Politik

Merz bei Trump: Welche Falschbehauptungen Trump über Deutschland und Europa aufstellte

Bundeskanzler Friedrich Merz besuchte US-Präsident Donald Trump – und ließ Trumps falsche und irreführende Behauptungen zum Ukrainekrieg unwidersprochen.

von Kimberly Nicolaus , Gabriele Scherndl

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In dem etwa 40-minütigen Gespräch zwischen Merz und Trump stellte der US-Präsident mehrere Falschbehauptungen auf (Quelle: Evan Vucci / Associated Press / Picture Alliance)

Nach dem Gespräch von Friedrich Merz und US-Präsident Donald Trump zog Merz ein positives Fazit: Es seien „sehr gute persönliche, aber auch politisch zielführende Gespräche“ gewesen, sagte er der ARD

Doch: Merz ließ mehrere falsche Behauptungen, die Trump aufgestellt hat, unwidersprochen. CORRECTIV.Faktencheck ordnet einige, die Deutschland und Europa betreffen, ein.

Trump nennt zu hohe Zahlen zu Kriegstoten in der Ukraine

Gleich mehrfach spricht der US-Präsident über Todesopfer in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Er sagt: 5.000 bis 6.000 Soldaten pro Woche würden getötet werden. Dem entgegnet Merz zumindest, er kenne die Zahlen dazu nicht.

Zahlen zu Todesopfern in Kriegen sind stets mit Vorsicht zu betrachten. Unter anderem, weil Kriegsparteien Interesse daran haben, ihre eigenen Opferzahlen zu unter- und die des Gegners zu übertreiben, wie wir hier erklären.

Es gibt jedoch mehrere Organisationen, die versuchen, die Zahlen realistisch zu schätzen. Eine aktuelle Analyse des US-amerikanischen Center for Strategic and International Studies (CSIS) geht von 60.000 bis 100.000 getöteten ukrainischen Soldatinnen und Soldaten aus. Das Projekt UA Losses veröffentlicht Zahlen ukrainischer Verluste, die aus Todesmeldungen hervorgehen, aktuell sind das 147.000. 

Bei den russischen Streitkräften schätzt das CSIS die Zahl der Toten auf 200.000 bis 250.000. Das russische kremlkritische Medium Mediazona untersuchte in Zusammenarbeit mit der BBC Zahlen zu getöteten russischen Militärangehörigen. Sie schätzen sie bis Januar 2025 auf 138.500 bis 200.000. Die BBC geht in einem aktuellen Bericht davon aus, dass zwischen 164.000 und 237.000 russische Soldatinnen und Soldaten im Verlauf des Krieges starben.

Unter Annahme der höchsten Zahlen starben wöchentlich bis zu etwa 2.300 Streitkräfte in den über 170 Wochen, die der Krieg gegen die Ukraine bislang andauert.

Später sagt Trump weiter: Ein neuer Report zeige, dass Millionen Menschen sterben würden. Welchen Report er meint und ob es um Streitkräfte oder auch um Zivilbevölkerung geht, ist unklar. Naheliegend ist, dass er den CSIS-Bericht meint, in dem von fast einer Million „casualties“ bei den russischen und 400.000 bei den ukrainischen Streitkräften die Rede ist. Das Wort „casualties“ beschreibt in diesem Zusammenhang Getötete und Verwundete.

Trump übertreibt bei Größe von Nord Stream 2 und seiner Rolle beim Stopp des Projekts

Trump behauptet an mehreren Stellen, er habe die Gas-Pipeline Nord Stream 2 gestoppt. Die politischen Entscheidungen rund um die Pipeline nahmen einige Wendungen, fest steht aber: Trump ist nicht allein dafür verantwortlich, dass die Pipeline, die Gas von Russland nach Europa bringen sollte, nie in Betrieb ging. 

Trump unterzeichnete im Dezember 2019 ein Sanktionspaket gegen beteiligte Firmen. Im November 2021 setzte die deutsche Bundesnetzagentur das Zertifizierungsverfahren von Nord Stream 2 vorläufig aus, weil der Betreiber nicht in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert war. Nach dem Großangriff Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 erklärte der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, die Zertifizierung werde gestoppt. Im September 2022 wurden die Pipelines Nord Stream 1 und 2 bei Sprengstoffanschlägen beschädigt. 

Zuletzt hatten laut Medienberichten US-Investoren Interesse an der teils zerstörten Pipeline gezeigt, der Spiegel berichtet, dass die deutsche Bundesregierung ihren Betrieb in Zukunft aber verhindern wolle.

Trump sagt außerdem, Nord Stream 2 sei die größte Pipeline der Welt. Laut Bundestag ist die Pipeline 1.230 Kilometer lang und damit nur einen Bruchteil so lang wie etwa die fast 9.000 Kilometer lange West-East Gas Pipeline in China. Laut einem Medienbericht von Januar 2024 hatte die West-East-Pipeline damals eine Kapazität von 77 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich, Nord Stream 2 sollte eine jährliche Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas haben.

Anders als von Trump behauptet, haben die USA nicht mehr Hilfsgelder an die Ukraine gegeben als Europa

Dass der Ukrainekrieg beendet werden soll, darin sind sich Trump und Merz einig. Doch die Summen der Hilfsgelder an die Ukraine unterscheiden sich mit Blick auf die USA und Europa. Laut Trump, hätten die USA bereits 350 Milliarden Dollar „ausgegeben“. Das sei viel mehr als Europa ausgegeben habe. Das behauptet Trump nicht zum ersten Mal. Seine Behauptung wurde schon mehrfach widerlegt und bleibt auch im Juni 2025 falsch. 

Der aktuellste Bericht der zuständigen Generalinspekteure zeigt, dass der US-Kongress deutlich weniger Gelder bewilligte. Seit Beginn des Ukrainekriegs sind das insgesamt rund 185 Milliarden Dollar. Die Gelder stehen der sogenannten „Operation Atlantic Resolve“ zur Verfügung. Das ist ein umfassendes Programm, das die USA ursprünglich 2014 einrichtete. Es soll der „Abschreckung gegen die russische Aggression gegen die NATO“ und der „Stärkung des Bündnisses“ dienen und beinhaltet auch die Unterstützung für die Ukraine. 

Den größten Anteil der rund 185 Milliarden Dollar nutzen die USA selbst, heißt es in dem Bericht. Damit soll der US-Rüstungsbestand um die Materialien aufgestockt werden, die zuvor an die Ukraine geliefert wurden. Von den 185 Milliarden Dollar wurden bislang aber nur 89 Milliarden tatsächlich ausgezahlt.

Der „Ukraine Support Tracker“ des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) schaut genauer hin. Das Institut erfasst militärische, finanzielle und humanitäre Hilfsgelder, die der Ukraine direkt zugewiesen oder als Zusage vorgemerkt sind. „Zugewiesen“ bedeutet, dass die Gelder bereits ausgezahlt wurden oder zur Auszahlung vorgesehen sind, zum Beispiel in Form von Beschaffungsverträgen. Nicht berücksichtigt werden aber zum Beispiel Gelder, die zur Wiederauffüllung von US-Waffenbeständen verwendet wurden. 

Eine Grafik zeigt, dass Europa 137,9 Milliarden Euro Hilfeleistungen an die Ukraine zugewiesen hat, die Vereinigten Staaten 114,6 Milliarden.
Die Daten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigen, dass die tatsächlich bis Ende Februar 2025 ausgezahlten Hilfsgelder der USA geringer sind als die Hilfsgelder europäischer Regierungen zusammengerechnet. (Quelle: Institut für Weltwirtschaft Kiel; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Laut IfW-Daten zahlte die USA an die Ukraine bis Ende Februar 2025 rund 114,6 Milliarden Euro Hilfsgelder (umgerechnet aktuell etwa 130 Milliarden US-Dollar). Europas ausgezahlte Unterstützung beläuft sich dagegen auf etwa 138 Milliarden Euro (umgerechnet aktuell etwa 157 Milliarden US-Dollar).

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Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, ob Merz Trump abseits der Kameras auf dessen Falschbehauptungen ansprach, schreibt eine Regierungssprecherin: Man bewerte den Gesprächsverlauf im Oval Office im Nachgang nicht weiter, die anschließenden Gespräche seien vertraulich gewesen.

Update, 6. Juni 2025: Wir haben das Statement einer Regierungssprecherin ergänzt.

Redigatur: Steffen Kutzner, Paulina Thom

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