Arzt aus Österreich macht mit fehlerhaften Angaben Stimmung gegen die Masernimpfung
Andreas Sönnichsen, Arzt in Österreich und Ex-Mitglied der Partei Die Basis, behauptet, dass bei einer Masernimpfung das Risiko eines Impfschadens größer sei als der Nutzen der Impfung. Doch seine Argumente belegen diese Behauptung nicht. Das Gegenteil ist der Fall.

In diesem Jahr registrierten Behörden in den USA bislang rund 1.000 Maserninfektionen. Das sind dreimal so viele Fälle wie 2024. Fast alle der Infizierten waren nicht geimpft oder wiesen einen unbekannten Impfstatus auf. Die Ansteckungsgefahr ist vor allem für Ungeimpfte hoch. Studien belegen, dass die Masernimpfung wirksam vor einer Ansteckung schützt.
Doch der Mediziner Andreas Sönnichsen behauptet, das Risiko, einen Schaden durch die Masernimpfung zu erleiden, sei größer als der Nutzen der Impfung. Sönnichsen ist ein sogenannter Wahlarzt in Österreich, also ein Privatarzt mit einer Praxis. Laut Eigenangaben war er früher Mitglied der Basis. 2024 gab die Impfskeptiker-Partei „Menschen Freiheit Grundrechte“ an, Sönnichsen sei Mitglied der Partei.
Über die angeblich negative Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung spricht er bei einer Parteiveranstaltung der Basis im Dezember 2024. Sein Vortrag und Ausschnitte davon verbreiten sich seitdem in Sozialen Netzwerken.
Doch in seinem Vortrag stecken einige Ungenauigkeiten und fehlerhafte Formulierungen. Zudem klärt er weder über die Wirksamkeit der Impfung noch über die Komplikationen auf, zu denen eine Masernerkrankung führen kann. Seine angeführten Belege stützen seine Behauptung nicht und seine Schlussfolgerung zur Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung ist falsch – die ist laut Fachleuten positiv, nicht negativ.
Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck relativiert Sönnichsen manche der genannten Punkte, bleibt aber im Grunde bei seinem Schluss. Die Partei Die Basis distanziert sich auf Nachfrage ebenfalls nicht von den fehlerhaften Behauptungen. Im Folgenden schauen wir uns die Behauptungen von Sönnichsen im Detail an und ordnen sie ein.

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- Entwicklung der Sterberate bei Maserninfektionen in den USA nach Impfeinführung
- Verdachtsmeldungen zu Masernimpfungen in Deutschland und was sie bedeuten
- Bewertung des Paul-Ehrlich-Instituts von gemeldeten Reaktionen nach Masernimpfung in Deutschland
- Aussagekraft von Angaben der Vaers-Datenbank zu Impfreaktionen in den USA
- Warum Fachleute die Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung als positiv bewerten
USA: Sterberate bei Maserninfektion sank aufgrund besserer Lebensumstände – und nach Impfstoff-Einführung
Zu Beginn seines Masern-Vortrags erklärt Sönnichsen anhand einer Grafik, dass die „krankheitsspezifische Mortalität von Masern“ bereits vor Einführung der Masernimpfung bei unter 1 pro 100.000 Einwohner in den USA lag. Und dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Masern-Sterbefälle deutlich abnahmen, weil sich die Lebensumstände besserten. Das sei „unstrittig“, schreibt uns dazu Christian Bogdan, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsimmunologie am Universitätsklinikum Erlangen, dazu hätten etwa ein verbesserter Ernährungszustand der Bevölkerung, bessere Lebensverhältnisse und Gesundheitsversorgung und weniger Vorerkrankungen beigetragen.
Doch Sönnichsen behauptet zu der Grafik auch, die Masern-Sterbefälle in den USA hätten schon 1960 „quasi die Nulllinie“ erreicht, noch bevor der Masernimpfstoff eingeführt worden sei. Das ist auch der Eindruck, den die von ihm gezeigte Grafik hinterlässt.
Seine Beschreibung greift aber zu kurz, da er nicht weiter erklärt, wie sich die Kurve nach der Impfstoffeinführung entwickelt hat. Deutlich erkennbar ist das, wenn man einen engeren Zeitraum betrachtet und sich nicht die Sterberate pro 100.000 Einwohner anschaut, sondern die Sterbefälle in den USA insgesamt. Die Gesamtzahl der Todesfälle nach der Einführung des Impfstoffs 1963 ging nochmals deutlich zurück.

Konkret zeigen Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass zwischen 1950 und 1963 insgesamt 6.536 Personen in den USA infolge einer Maserninfektion starben. In den 14 Jahren nach Einführung des Masernimpfstoffs verstarben insgesamt 1.397 Menschen an Masern, also Tausende weniger als im selben Zeitraum vor der Impfung.
Auf Nachfrage konkretisiert Sönnichsen, dass im Zeitraum zwischen 1950 und 1957 die Zahl der Todesfälle nicht im Bereich der „Quasi-Nulllinie“ gelegen seien, sondern „deutlich sichtbar darüber“. Man müsse deshalb als Vergleichsbasis die Zahlen zwischen 1957 und 1963 heranziehen. Doch selbst diese Betrachtung zeigt, dass die Sterbefälle nach der Impf-Einführung weiter zurückgingen: In den von Sönnichsen vorgeschlagenen sieben Jahren gab es in den USA rund 2.900 Masern-Sterbefälle. In den sieben Jahren nach der Impfstoffeinführung gab es rund 1.200 Masern-Sterbefälle, also nicht einmal halb so viele.
Zusätzlich unterlaufen Sönnichsen mehrere kleinere Fehler: So zeigt er etwa auf die Kurve der Diphtherie-Sterbefälle und nicht auf jene der Masern-Stebefälle, außerdem behauptet er, die Masernimpfung sei 1965 in den USA eingeführt worden, tatsächlich war das 1963 der Fall. Diese und andere kleine Fehler beschreibt er in seiner Antwort an CORRECTIV.Faktencheck als „unerheblich“ oder Verwechslungen.
Verdachtsmeldungen an Paul-Ehrlich-Institut sind keine bestätigten Nebenwirkungen
Als nächsten vermeintlichen Beleg für die angeblich negative Schaden-Nutzen-Bilanz des Masernimpfstoffs präsentiert Sönnichsen „Impfschäden“. Zwar nimmt er das Wort bei seinem Vortrag nicht in den Mund – das betont er im Nachgang auch per E-Mail – und schreibt auf einer Folie von „Verdachtsfällen“, der Begriff „Impfschäden“ steht aber auf der Präsentationsfolie, die den Abschnitt des Vortrags einleitet.
Bei den präsentierten Zahlen handelt es sich um sogenannte Verdachtsmeldungen des PEI. Diese liegen in den Jahren 2001 bis 2012 bei rund 1.700 Meldungen von etwa 5.300 Impfreaktionen. Das PEI schreibt uns auf Anfrage: „Bei diesen Meldungen handelt es sich um Verdachtsfälle von Impfkomplikationen und Impfnebenwirkungen, nicht um bestätigte Nebenwirkungen. In diesen Verdachtsfällen werden unerwünschte Reaktionen gemeldet, die meist in zeitlicher Nähe zu einer Impfung aufgetreten sind, jedoch nicht notwendigerweise durch den Impfstoff ausgelöst wurden.“ Die mit Abstand am häufigsten als Verdacht gemeldete Impfreaktion ist Fieber.

Klar ist, dass die Verdachtsmeldungen keine „Impfschäden“ belegen. Sie sind damit auch kein Beleg für Sönnichsens Behauptung einer negativen Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung.
Schäden und Todesfälle beziehen sich nicht auf alle Geimpften, sondern auf gemeldete Verdachtsfälle
Im weiteren Vortrag fokussiert sich Sönnichsen auf zwei bestimmte Kennzahlen und behauptet: „Bei 3,4 Prozent der Geimpften kommt es zu einem bleibenden Schaden und bei 0,9 Prozent zu einem tödlichen Ausgang. Das waren immerhin 15 Kinder in diesen zehn Jahren.“ Hier unterlaufen ihm weitere kleine Fehler: Es geht um einen Zeitraum von zwölf Jahren und nicht um 15 Kinder, sondern um 13 Kinder und 2 Frauen – eine „Spitzfindigkeit”, wie er später schreibt.
Viel relevanter ist: Die Prozentangaben, die Sönnichsen nennt, beziehen sich nicht auf die Gesamtzahl aller Geimpften, sondern auf die gemeldeten Verdachtsfälle, wie uns das PEI bestätigt. Die Pressestelle räumt aber ein, dass eine entsprechende Formulierung in dem PEI-Bericht „leider missverständlich gewählt“ worden sei.
Folglich wurde in den Jahren 2001 bis 2012 ein bleibender Schaden in 3,4 Prozent von 1.696 Verdachtsfällen gemeldet, das entspricht 58 Fällen. Ein tödlicher Ausgang wurde in 0,9 Prozent von 1.696 Verdachtsfällen gemeldet, das entspricht den von Sönnichsen genannten 15 Todesfällen.
Auf Nachfrage rudert Sönnichsen zurück: „Die Überschrift und auch der Duktus meiner mündlichen Ausführungen machen deutlich, dass sich alle Zahlen auf die gemeldeten Fälle beziehen, nicht auf die Gesamtzahl der Geimpften.“ Das stimmt so nicht, im Vortrag sagt er explizit, es gehe um den Anteil der Geimpften.
Schwere Impfreaktionen in Zusammenhang mit der Masernimpfung möglich, aber laut PEI in keinem Fall wahrscheinlich
Doch lässt sich bei den rund 1.700 Verdachtsfällen tatsächlich auch der Verdacht erhärten, dass die Impfung die Ursache der Beschwerden war?
In seinem Vortrag beantwortet Sönnichsen diese Frage nicht. Im Bericht des PEI heißt es, dass in nur sechs Prozent der Verdachtsfälle ein ursächlicher Zusammenhang „wahrscheinlich“ sei. Das bedeutet laut WHO-Kriterien, dass die Fälle in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stünden und es unwahrscheinlich sei, dass die Fälle auf eine gleichzeitige Erkrankung, andere Medikamente oder Chemikalien zurückzuführen seien.
In rund 42 Prozent der Verdachtsfälle bewertete das PEI den ursächlichen Zusammenhang zur Masernimpfung als „möglich“. Das heißt, der zeitliche Zusammenhang würde zur Impfung passen, die Reaktion könnte aber auch durch andere Faktoren erklärt werden.
In keinem der 58 Fälle (3,4 Prozent der Verdachtsmeldungen) mit bleibendem Schaden, auf die sich Sönnichsen bezieht, wurde laut PEI der Zusammenhang als „gesichert“ oder „wahrscheinlich“ bewertet.
Zusammenhang von 15 Todesfällen mit Masernimpfung teils ausgeschlossen, teils nicht abschließbar bewertbar
Sönnichsen erweckt im Vortrag den Eindruck, dass innerhalb von zehn Jahren 15 Kinder an der Masernimpfung verstorben seien. Doch das ist nicht zutreffend.
Im PEI-Bericht heißt es: Bei keiner der 15 Verdachtsmeldungen wurde ein „gesicherter“, „wahrscheinlicher“ oder „möglicher“ Zusammenhang zwischen Tod und Impfung gesehen, bei sechs davon wurde ein Zusammenhang explizit ausgeschlossen. Richtig ist, dass, wie Sönnichsen sagt, in mehreren Fällen keine konkrete Todesursache festgestellt werden konnte. Dazu, warum das PEI in diesen neun Fällen trotzdem keinen „möglichen“ Zusammenhang zur Impfung gesehen hat, antwortete das Institut: Man würde damit einen Zusammenhang auch nicht ausschließen. Eine abschließende Bewertung sei nicht möglich gewesen.
Die von Sönnichsen angeführten Verdachtsfälle mit bleibendem Schaden oder tödlichem Ausgang sind folglich kein Beleg für eine negative Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung.
Das RKI schreibt über die Masernimpfung: „Schwerere unerwünschte Wirkungen der Impfung sind selten“. Dazu zählen etwa eine allergische Reaktion, wie sie bei ein bis vier Fällen von einer Million Geimpften auftreten könne, oder ein Abfall der Blutplättchen, das könne etwa 3 von 100.000 Geimpften betreffen. „Das Risiko nach der Impfung ist jedoch geringer als bei einer natürlichen Infektion mit Masernviren“, so das RKI.

Unverifizierte Angaben der Vaers-Datenbank belegen keine negative Schaden-Nutzen-Bilanz
Als nächstes blickt Sönnichsen wieder in die USA. Er präsentiert eine Studie, die sich auf Daten aus der US-Datenbank des Vaccine Adverse Event Reporting Systems (Vaers) stützt. Die Studie analysiert, wie viele der an Vaers gemeldeten Todesfälle und „plötzliche Kindstode“ von Säuglingen (unter einem Jahr alt) innerhalb von 60 Tagen nach einer Impfung auftraten. Die Daten umfassen den Zeitraum 1990 bis 2019.
Sönnichsen erklärt, die Studie zeige eine auffällige Häufung von Todesfällen im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen, das gleiche gelte für den plötzlichen Kindstod. Es entsteht der Eindruck, dass zwischen 700 und 800 Säuglinge am zweiten Tag nach ihrer Impfung starben. Doch das ist ein Trugschluss.
Bei diesen Zahlen geht es nicht um Masernimpfungen, sondern um sämtliche in der Datenbank abrufbaren Impfungen. Das sagt Sönnichsen im Vortrag nicht explizit dazu, im Nachgang betont er per Mail aber, dass er an dieser Stelle des Masern-Vortrags lediglich von „Impfungen“ spreche. Für seine Behauptung zur Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung sind die Zahlen also ohnehin nicht aussagekräftig.
Zudem handelt es sich bei den Einträgen in der Vaers-Datenbank der US-Regierung um „unvollständige, ungenaue, zufällige und nicht verifizierte Informationen“. Es ließen sich deshalb „keine kausalen Zusammenhänge zwischen Impfungen und möglichen Nebenwirkungen“ anhand der Daten ableiten, heißt es auf der Webseite von Vaers. Bereits während der Corona-Pandemie wurde die Datenbank von Impfgegnern genutzt, um die Impfstoffe gegen Covid-19 zu diskreditieren.
Außerdem tritt der plötzliche Kindstod (Englisch: Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) fast ausschließlich in den ersten sechs Monaten nach der Geburt auf. Fälle nach dem ersten Lebensjahr können vorkommen, sind aber äußerst selten. Sowohl in Deutschland als auch in den USA wird die Masernimpfung hingegen erst nach dem 11. Monat empfohlen.
Aktuell wenige Masernfälle in Deutschland, doch das Ansteckungsrisiko unter Ungeschützten ist hoch
Abschließend präsentiert Sönnichsen eine Rechnung, wonach das Risiko an Masern zu sterben bei 0,0000007 Prozent pro Jahr liege. Für dieses „Zahlenspiel“, „ohne Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit“, so erklärt er auf Nachfrage, teilte er die Anzahl der Infektionen in einem Jahr durch die Gesamtbevölkerung und multiplizierte das Ergebnis mit dem von ihm angenommenen Risiko, an den Masern zu sterben.
Er lässt dabei außer Acht, dass 87 Prozent der Kinder in Deutschland eine Grundimmunisierung durch eine Masernimpfung haben und vor allem Ungeimpfte an Masern erkranken. Das zeigen Daten der WHO sowie Daten des RKI, wonach beispielsweise 2019 rund 78 Prozent und Anfang 2024 rund 85 Prozent der Erkrankten ungeimpft waren. Eine mit Masern infizierte Person kann in einer ungeschützten Bevölkerungsgruppe 12 bis 18 weitere Personen anstecken.
Wenige Masernfälle sind kein Argument gegen den Nutzen der Impfung
Soweit zu den einzelnen Argumenten, die Sönnichsen anführt. In seinem etwa sechsminütigen Vortrag zu Masern nennt er keinen einzigen Beleg, der seine Behauptung einer negativen Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung stützt. Über die Folgen einer Masernerkrankung klärt er nicht auf.
Mit unseren Recherchen konfrontiert, bleibt Sönnichsen dabei: „Masern in unserem Land“ würden „keine epidemiologisch relevante Bedrohung“ darstellen. Auch die Basis sieht in einer Mail an uns, die sie auch veröffentlichte, keinen Grund zur Korrektur. Einzelne Fehler Sönnichsens tut sie ab, auf andere geht sie nicht näher ein. Ihr Hauptargument: Wenn bei einer Masernerkrankung ein so geringes Sterberisiko da sei, gebe es keinen Nutzen der Impfung.
Sönnichsen verweist in seiner Mail an uns unter anderem darauf, dass es 2024 in Deutschland 645 Masernfälle gab, darunter keine Todesfälle oder Fälle von Gehirnentzündungen. Das greift zu kurz. Daten aus anderen Jahren zeigen: Von 2007 bis einschließlich 2023 gab es laut der Todesursachenstatistik insgesamt 46 Todesfälle aufgrund von Masern beziehungsweise SSPE in Deutschland. SSPE ist eine bestimmte Form der Gehirnentzündung, die Jahre später infolge einer Maserninfektion auftreten kann.
Dass sich aktuell wenig Menschen in Deutschland mit Masern anstecken, belegt nicht, dass die Impfung nichts bringt – im Gegenteil. Und: Nur auf die geringen Sterbezahlen zu achten, greift zu kurz.
Fachleute verweisen auf Gefahr der Virenverbreitung und Hospitalisierungsraten von Masern-Erkrankten
Wir haben mehrere Fachleute um ihre Einschätzung zur Masernimpfung gebeten. Wir haben mit ihnen auch über jene Aspekte gesprochen, die Sönnichsen außer Acht lässt. Ihre Einordnungen zeigen ein völlig anderes Bild, als Sönnichsen es zeichnet.
Christian Bogdan, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsimmunologie am Universitätsklinikum Erlangen, schreibt: Es sei zwar richtig, dass die Zahl der Maserninfektionen in Deutschland derzeit auf einem niedrigen Niveau liege und dementsprechend das Risiko, sich als ungeimpfte Person mit Masern anzustecken, sehr gering sei. „Daraus kann man aber nicht ableiten, dass eine Masernimpfung unnötig oder gar gefährlich ist“, so Bodgan. Da Masernviren weltweit nicht ausgestorben sind, könnten sie in ungeimpften Bevölkerungsgruppen immer wieder Ausbrüche verursachen, die mit Hospitalisierungen und auch mit Todesfällen einhergingen.
Ähnlich argumentiert Wegene Borena, Fachärztin für Virologie und Leiterin der klinischen Diagnostik an der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie schreibt uns, dass auch in reichen Industrieländern die Gefahr bestehe, dass Masernviren ständig eingeführt würden und sich ausbreiteten.
Masern können auch abseits von Todesfällen schwere Folgen haben
Andrea Grisold, Leiterin des Bereichs Klinische Mikrobiologie, Krankenhaushygiene und Impfungen an der Medizinischen Universität Graz, schreibt uns: „Die Sterberate ist zwar ein wichtiger Aspekt, gibt aber kein vollständiges Bild vom Nutzen-Risiko-Verhältnis der Masernimpfung. Häufige und durchaus schwere Komplikationen durch Masern sind: Mittelohrentzündungen, Lungenentzündungen, Krampfanfälle und Durchfall.“ Laut dem RKI kann das Immunsystem langanhaltend nach einer Masernerkrankung geschwächt sein. Weitere Komplikationen trete wie folgt auf:
- Mittelohrentzündung (bei 7 bis 9 Prozent der an Masern-Erkrankten)
- Durchfälle (ca. 8 Prozent der an Masern-Erkrankten)
- Lungenentzündungen (1 bis 6 Prozent der an Masern-Erkrankten)
- Gehirnentzündung (etwa bei 1 von 1.000 der an Masern-Erkrankten)
- SSPE (bei durchschnittlich 4 bis 11 pro 100.000 an Masern-Erkrankten)
Christoph Berger, Chefarzt der Infektiologie am Kinderspital Zürich, verweist auf Nachfrage auf Angaben des CDC in den USA, wonach Maserninfektionen zu schweren Erkrankungen, zur Hospitalisation bei etwa 20 Prozent der ungeimpften Personen und zu Todesfällen bei mindestens einem von 1.000 erkrankten Kindern führen.
Wie das RKI berichtet, wurden im Jahr 2023 34 von insgesamt 78 Masernfällen in einem Krankenhaus behandelt.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung vergleicht in einer Patienteninformation das Risiko von Masern und Impfung: „Etwa 100 von 100.000 Erkrankten sterben an Masern, etwa 3.000 bekommen eine Lungenentzündung. Schwere Nebenwirkungen der Impfung betreffen etwa 2 von 100.000 Geimpften.“
Bewertung des Impfstoffs: Sönnichsen ignoriert dessen Wirksamkeit, eine Masernerkrankung vorzubeugen
In seiner Bewertung der Schaden-Nutzen-Bilanz ignoriert Sönnichsen während seines Vortrags nicht nur die Folgen einer Masernerkrankung, sondern auch die Wirksamkeit der Masernimpfung.
Laut WHO verhinderte die Masernimpfung zwischen 2000 und 2023 mehr als 60 Millionen Todesfälle. Das RKI schreibt zudem auf Nachfrage: „Regelmäßig werden Daten in systematischen Reviews zum Beispiel von der Cochrane Gesellschaft und von der WHO zusammengestellt und bewertet. Der weltweite Einsatz im Rahmen dieser Risiko-Nutzen-Analysen wird für angemessen eingeschätzt.“
So zeigt zum Beispiel eine Studie aus 2021, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs zur Vorbeugung von Masern nach einer Dosis bei 95 Prozent und nach zwei Dosen bei 96 Prozent lag. Grundlage der Ergebnisse sind einmal sieben Kohortenstudien mit rund 12.000 Kindern und einmal fünf Kohortstudien mit rund 21.600 Kindern. Die Beweisstärke der Ergebnisse gilt als „moderat“.
Grisold von der Medizinischen Universität Graz schreibt außerdem: „Durch die Impfung schützt man auch Menschen, die nicht geimpft werden können. Zum Beispiel Säuglinge oder immungeschwächte Personen.“
Fazit: Das Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung ist laut PEI und mehreren Fachleuten positiv
Vor diesem Hintergrund bewerten alle von uns begfragten Fachleute die Schaden-Nutzen-Bilanz der Masernimpfung als „eindeutig positiv“. Grisold schreibt: „Die Impfung schützt in über 95 Prozent der Fälle zuverlässig vor Masern. Die Nebenwirkungen der Impfung sind gut erforscht und überwiegend mild und vorübergehend. Masern können tödlich verlaufen oder zu schweren Folgeschäden führen – die Impfung verhindert das.“
Das PEI schreibt: „Ein Impfstoff mit einem negativen Verhältnis von Nutzen und Risiko würde keine Zulassung erhalten oder behalten.“
Redigatur: Matthias Bau, Gabriele Scherndl
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Jährliche Todesfälle in den USA infolge einer Maserninfektion, Weltgesundheitsorganisation: Link
- Bericht aus 2013: Sicherheit und Verträglichkeit von monovalenten Masern- und kombinierten Masern-, Mumps-, Röteln- und Varizellenimpfstoffen, Paul-Ehrlich-Institut: Link (archiviert)
- Masernsymptome und Komplikationen, Center for Disease Control and Prevention: Link (archiviert)
- Masern, Weltgesundheitsorganisation: Link (archiviert)
- Impfquoten in Deutschland, RKI, April 2025: Link (archiviert)
- Todesursachenstatistik, Statsitisches Bundesamt, abgerufen am 11. Juni 2025: Link
- Vaccines for measles, mumps, rubella, and varicella in children, Cochrane Library, November 2021: Link (archiviert)
- Patienteninformation, Kassenärztliche Bundesvereinigung, März 2020: Link (PDF, archiviert)