Sommerinterview mit Felix Banaszak: Aussage zu Familiennachzug im Faktencheck
Am 3. August war der Bundesvorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, zu Gast bei der ARD für ein Sommerinterview. Die meisten seiner Aussagen lassen sich mit Fakten belegen. Eine seiner Behauptungen zum subsidiären Schutz von Geflüchteten war ungenau und benötigt weiteren Kontext.

Im Sommerinterview stellte sich Felix Banaszak, Bundesvorsitzender der Grünen, am 3. August den Fragen der ARD. Es ging unter anderem um die Stromsteuer, die Deutsche Bahn und die Migrationspolitik der aktuellen Bundesregierung.
Die meisten seiner Aussagen lassen sich durch Fakten belegen, beim Thema Familiennachzug und subsidiärer Schutz war Banaszak jedoch ungenau. Wir ordnen seine Behauptung ein und geben wichtigen Kontext.
Keine Belege dafür, dass mit dem Familiennachzug zu 80 Prozent Frauen und Kinder nach Deutschland kommen
„Es wurde immer wieder gesagt, wir müssen die ‚irreguläre Migration‘ begrenzen […]. Das erste, was dieser Bundesregierung einfällt, ist, den Familiennachzug auszusetzen. Das heißt dafür zu sorgen, dass alleinstehende Männer aus Bürgerkriegsländern, denn das sind die, die man als subsidiär schutzbedürftig bezeichnet, unter sich bleiben. Und ihre Frauen und Kinder werden wieder auf Schleuserboote gezwungen. 80 Prozent beim Familiennachzug sind Frauen und Kinder.“
Im Laufe des Interviews mit Banaszak befragt der Journalist Matthias Deiß den Parteivorsitzenden unter anderem zum Thema Migration. Banaszak habe Abschiebungen nach Afghanistan als Symbolpolitik kritisiert, doch auch die alte Regierung habe unter Beteiligung der Grünen solche Abschiebungen durchgeführt, so Deiß. Er will von Banaszak daher wissen, ob eine Regierung mit Beteiligung der Grünen so etwas heute nicht mehr tun würde.
Banaszak sagt daraufhin, die aktuelle Migrationspolitik von CDU und SPD sei „irrational“ und führt dafür zwei Gründe an. Zum einen habe die Koalition den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt. Damit bezeichne man „alleinstehende Männer aus Bürgergkriegsländern“. Das sorge aber zum anderen dafür, dass nun Frauen und Kinder „auf Schleuserboote“ gezwungen würden. Denn über den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige kämen zu 80 Prozent Frauen und Kinder nach Deutschland.
Banaszaks erste Aussage ist ungenau, für die zweite konnten wir keine Statistik finden, die seine Behauptung stützt: Sie ist unbelegt.
Fast zwei Drittel der subsidiär Schutzberechtigten in Deutschland sind männlich
Subsidiären Schutz können in Deutschland alle Menschen, nicht nur Männer, bekommen, denen zwar kein Asyl gewährt wird, denen aber in ihrem Herkunftsland schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter drohen, oder deren Leben bedroht ist.
Laut dem Statistischen Bundesamt lebten zum Stichtag 31. Dezember 2024 insgesamt etwas mehr als 381.000 Menschen mit diesem Schutzstatus in Deutschland: Knapp zwei Drittel von ihnen sind männlich. Banaszak drückt sich also ungenau aus, wenn er pauschal behauptet, dass junge Männer diejenigen sind, „die man als subsidiär schutzbedürftig bezeichnet“.
Auf Nachfrage bestätigte ein Sprecher der Grünen, dass sich der Bundesvorsitzende auf die gleichen Zahlen bezog: „Diese Zahlen untermauern die Aussage, dass diese Schutzform überwiegend von ‚alleinstehenden‘ Männern in Anspruch genommen wird“, so der Sprecher.
Weil Bürgerkrieg eine besonders bedrohliche Lage für das Leben darstellt, kann denjenigen, die davor flüchten, subsidiärer Schutz gewährt werden. In Deutschland haben diesen Schutzstatus vor allem Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei Die Linke vom 14. Mai 2025 hervor.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt in seinem Papier „Das Bundesamt in Zahlen“ (PDF, Download) an, im Jahr 2024 in 75.092 Fällen subsidiären Schutz gewährt zu haben. Die Menschen, deren Anträge positiv beschieden wurden, kamen zu 75 Prozent aus Syrien. Wie viele davon Männer waren, ist nicht eindeutig. Aus einer weiteren Statistik geht jedoch hervor, dass mit Blick auf alle gestellten Anträge, darunter auch Anträge auf Asyl oder den Status als UN-Flüchtling, 72,5 Prozent der Antragstellenden aus Syrien Männer waren.
Familiennachzug soll weiterhin für „Härtefälle“ möglich sein
Für diese Menschen hat der Bundestag am 27. Juni 2025 den Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Dafür stimmten mehrheitlich CDU/CSU, SPD und AfD. Seit Jahren ist der Familiennachzug ein Streitpunkt. Zuvor war er auf 1.000 Menschen pro Monat begrenzt, von März 2016 bis Juli 2018 war er schon einmal ausgesetzt worden.
Betroffen sind dabei immer die Familien der subsidiär Schutzberechtigten. Asylberechtigte und anerkannte Geflüchtete dürfen weiterhin ihre Familien nach Deutschland holen, darauf haben sie gesetzlich Anspruch; subsidiär Schutzberechtigte haben diesen Anspruch dagegen nicht.
Für subsidiär Schutzberechtigte gilt nach dem Beschluss des Bundestages, dass sie nur noch in Härtefällen Familienangehörige nach Deutschland holen dürfen. Was das genau heißt, wird in der Gesetzesänderung nicht weiter erläutert. Laut Medienberichten sagte Innenminister Alexander Dobrindt, dass das zum Beispiel Situationen seien könnten, in denen Familienangehörige „dringende medizinische Versorgung brauchen, die ihnen in ihrem Heimatland nicht gewährt werden kann“.
Wer kommt über den Familiennachzug nach Deutschland?
Wer sind die Menschen, die bisher über den Familiennachzug nach Deutschland kamen? Sind es tatsächlich zu 80 Prozent Frauen und Kinder, wie Banaszak behauptet?
Das ist nicht eindeutig zu sagen, denn die statistische Erfassung unterscheidet nicht nach der Schutzform, wegen derer Menschen nach Deutschland kommen dürfen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu auf unsere Anfrage: „Ein Visum zum Familiennachzug – unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Person in Deutschland – wird statistisch als Familiennachzug erfasst. Die statistische Erfassung erfolgt entlang der Rechtsgrundlage des Visums, nicht entlang des Status der Person in Deutschland.“
Das heißt aber nicht, dass diese Menschen in keiner Statistik auftauchen. Wie der Mediendienst Integration berichtet, wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres rund 12.200 Visa zum Familiennachzug für Menschen unter subsidiären Schutz erteilt. Zahlen zu allen erteilten Visa veröffentlicht das Auswärtige Amt auf seiner Homepage, schlüsselt diese jedoch nicht nach erteilen Schutzformen, sondern zum Beispiel nach „Ehegattennachzug“, „Elternnachzug“, „Kindernachzug“ und „Sonstiger Familiennachzug“ auf.
Nach Geschlechtern differenziert diese Statistik nicht. Das Auswärtige Amt bestätigte uns auf Nachfrage auch, dass bei vergebenen Visa Geschlechter gar nicht statistisch erfasst werden.
Ein Grünen-Sprecher verweist uns auf Anfrage auf den Migrationsbericht der Bundesregierung von 2023. In dem Bericht werden Daten zu den Menschen ausgewertet, die 2023 im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kamen. Daten zum subsidiären Schutz werden darin nicht explizit ausgewiesen. Mit Blick auf die Gesamtzahlen heißt es in dem Bericht, dass etwa 55 Prozent ein Visum als Ehepartner oder -partnerin erhielten, etwa 33 Prozent der Visa gingen an Kinder. Die Pressestelle der Partei bezeichnet Banaszaks Behauptung als „konservative, realistische Näherung“.
Ist die Aussage tatsächlich realistisch? Um uns der Antwort anzunähern, haben wir uns die Visa-Zahlen für die drei Haupt-Herkunftsländer für subsidiär Schutzberechtigte angeschaut: Syrien, Afghanistan und Irak. 2024 erhielten insgesamt etwa 15.800 Menschen aus diesen Ländern ein Visum zum Familiennachzug.
Wichtig dabei: Nicht jeder Syrer oder jede Syrerin in Deutschland ist subsidiär Schutzberechtigt, einige haben Flüchtlings- oder Asylstatus. Außerdem können auch etwa Syrerinnen, die mit einem oder einer Deutschen verheiratet sind, bei der deutschen Botschaft in ihrem Heimatland ein Visum zum Ehegattennachzug beantragen. Das machten im ersten Halbjahr 2024 allein 1380 Personen.
Für das ganze Jahr 2024 gilt: 53 Prozent der Visa erhielten Eheleute, zehn Prozent Eltern. 3631 Kinder durften aus Syrien nach Deutschland einreisen. Das sind allein 37 Prozent der ausgestellten Visa für das Land. Angesichts der Geschlechterverteilung unter den syrischen Menschen, die in Deutschland subsidiären Schutz bekommen (75 Prozent sind männlich) liegt es nahe, dass ein Großteil der 5260 Ehegatten-Visa Frauen erteilt wurden.
Mit dieser spekulativen Rechnung und der Zahl der Kinder-Visa erscheint Banaszaks Aussage, es würden zu 80 Prozent Frauen und Kinder über den Familiennachzug nach Deutschland kommen zwar möglich – klare Belege gibt es dafür aber nicht.
Weitere Faktenchecks zu den Sommerinterviews 2025 finden Sie hier, hier, hier und hier.
Mitarbeit: Matthias Bau
Redigatur: Matthias Bau, Steffen Kutzner