Nein, Rosenheim wird nicht „mit Migranten geflutet“
In einem Artikel und auf Facebook wird behauptet, es kämen aktuell sehr viele Menschen illegal über die Grenze nach Bayern, in die Stadt Rosenheim. Kürzlich sei es zu einem sexuellen Übergriff gekommen. Dafür gibt es keine Belege – und die Zahlen zeigen, dass es keinen starken Anstieg der Zuwanderung gibt.
In einem Artikel auf der Webseite „DDB-News“ vom 20. September wird behauptet, die Stadt Rosenheim in Bayern werde „gerade mit Migranten geflutet“. Der Text enthält eine Sprachnachricht, in der eine unbekannte Frau behauptet, es kämen immer mehr Flüchtlinge und Migranten über die Grenze, mit Reisebussen, Güterzügen, der Bahn oder auch zu Fuß. Zudem habe es „vor einigen Tagen“ einen sexuellen Übergriff von Ausländern auf eine Frau in der Fußgängerzone von Rosenheim gegeben. Und das solle „laut Gespräch mit Bundespolizisten erst der Anfang“ sein.
Der Artikel wurde auf Facebook laut dem Analysetool Crowdtangle bereit mehr als 2.100 Mal geteilt. Zudem gibt es einen Facebook-Beitrag, den eine Nutzerin am 21. September in der Gruppe „Völker dieser Welt erheben sich“ veröffentlichte – er enthält die gleichen Aussagen wie die Sprachnachricht. Der Beitrag ist überschrieben mit „Es geht los! Aufgepasst!“ und wurde ebenfalls schon mehr als 1.200 Mal geteilt.
CORRECTIV hat geprüft, ob die Behauptungen stimmen. Unsere Recherche zeigt, dass die Bundespolizei Rosenheim zwar dieses Jahr im Vergleich zu 2018 durchschnittlich einen leichten Anstieg illegaler Einreiseversuche verzeichnet – dass die Stadt „mit Migranten geflutet“ werde, ist jedoch falsch. Die Zahl der Asylbewerber in städtischen Unterkünften sinkt sogar leicht. Für den angeblichen sexuellen Übergriff gibt es zudem keine Belege.
Die Fotos in den Beiträgen sind nicht aktuell
Alle Fotos, die verwendet wurden, um den Artikel und den Facebook-Beitrag zu illustrieren, sind schon älter – teilweise mehrere Jahre. Sie sollen vermutlich den Eindruck von Menschenmassen vermitteln, zeigen aber keine aktuellen Situationen in Rosenheim.
Das Foto aus dem Facebook-Beitrag findet sich über die Google-Bilder-Rückwärtssuche in einem Artikel von Vice von Juli 2015. Darin steht, Text und Fotos stammten von einem Reporter, der mit dem Zug gemeinsam mit Migranten und Flüchtlingen über die Grenze bis nach Rosenheim gefahren sei.
Der Artikel von „DDB-News“ zeigt drei Fotos und bezeichnet diese als „Beispielbilder aus Rosenheim“. Über die Bilder-Rückwärtssuche bei Google lässt sich jeweils die Herkunft ermitteln. Die Fotos stammen aus Pressemitteilungen der Bundespolizeidirektion München und haben einen Bezug zu Rosenheim, sind aber nicht aktuell.
Das erste Foto ist aus einer Mitteilung vom 5. Dezember 2017. Damals wurden 23 Menschen in einem Güterzug entdeckt, sie hatten damit die Grenze nach Deutschland illegal überquert.
Das zweite Foto stammt aus einer Pressemitteilung vom 2. Januar 2019, in der eine Bilanz der Grenzpolizei für das Jahr 2018 gezogen wird. Mehrere Bilder wurden dabei an die Medien herausgegeben, darunter auch das von mehreren Menschen in einem Transporter. Wann genau es aufgenommen wurde, steht nicht dabei.
Das dritte und unterste Bild ist das aktuellste, es ist aus einer Mitteilung vom 30. Juli 2019 – dabei handelt es sich um eine Bilanz der Grenzkontrollen des ersten Halbjahres 2019. Auch hier fehlt ein genaues Aufnahmedatum des Fotos.
Bundespolizei Rosenheim: Illegale Einreisen im Vergleich zu 2018 leicht gestiegen
In der aktuellsten Pressemitteilung wird erklärt, die Bundespolizeiinspektion Rosenheim liege „an der Schnittstelle zweier Hauptschleuserrouten, der Balkan- und der Brennerroute“. Sie sei zuständig für einen rund 200 Kilometer langen Abschnitt der deutsch-österreichischen Grenze und gehe dort gegen „illegale Migration“ und „Schleusungskriminalität“ vor.
Im ersten Halbjahr 2019 habe die Bundespolizei Rosenheim pro Monat „durchschnittlich rund 230 illegale Einreiseversuche im Rahmen der Grenzkontrollen zwischen Chiemsee und Zugspitze registriert“. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (Januar bis Juni 2018) seien die Zahlen „leicht gestiegen“ – damals seien es im Schnitt 220 Menschen pro Monat gewesen.
Auf Nachfrage bestätigte die Sprecherin der Bundespolizeiinspektion Rosenheim, Yvonne Oppermann, diese Zahlen noch einmal per E-Mail: „Diese Durchschnittszahl unterliegt natürlich monatlichen Schwankungen. Im Juli hat sie sich nicht wesentlich verändert, aber im August konnten wir einen Anstieg auf rund 330 unerlaubte Einreisen verzeichnen. Die Tendenz für September ist jedoch wieder gegenläufig, so dass wir mit einer Feststellungszahl im Rahmen des Durchschnitts rechnen.“
Die meisten dieser Personen bleiben jedoch laut Bundespolizei nicht in Deutschland: Etwa 70 Prozent der in Gewahrsam genommenen Personen hätten das Land bereits wieder verlassen müssen, heißt es in der Pressemitteilung. 2018 seien 60 Prozent zurückgeführt worden. Die meisten Personen – „rund 50 Prozent“ – seien bei Grenzkontrollen in Reisebussen festgestellt worden. Rund ein Viertel der illegal eingereisten Personen kam 2019 mit Autos, ein weiteres Viertel im Zug.
Dass Rosenheim „mit Migranten geflutet“ wird, lässt sich aus diesen Informationen nicht ableiten.
Zahl der Menschen in Asylunterkünften in Rosenheim sinkt
Auch die Zahl der Asylbewerber, die in Unterkünften der Stadt Rosenheim leben, ist nicht stark gestiegen – sie ist leicht gesunken. Wie Christian Schwalm, ein Pressesprecher der Stadt, CORRECTIV auf Anfrage per E-Mail mitteilte, lebten im August 2018 insgesamt 557 Personen in Flüchtlingsunterkünften in Rosenheim. Im August 2019 waren es 520. Und auch im Vergleich der vergangenen Monate ist kein Anstieg zu beobachten.
Auch die Zahl der neu registrierten Asylbewerber in ganz Oberbayern steigt nicht an. Wie eine Sprecherin der Regierung von Oberbayern auf Anfrage von CORRECTIV per E-Mail erklärt, werden alle ankommenden Personen im Ankunftszentrum in München registriert. Die Daten der monatlichen Zugänge, die sie uns schickte, belegen, dass es keine starke Zunahme gibt. Ende 2018 und Anfang 2019 waren die Zahlen insgesamt etwas höher (mehr als 800 pro Monat). Sie sanken von März bis Juni leicht (mehr als 500 pro Monat) und stiegen dann im Juli wieder leicht an. Im Juli kamen 625 Menschen, im August 799 und im September bisher 625 (Stand 24.9.). Die Zahl der pro Jahr ankommenden Asylbewerber ist seit 2015 stark gesunken.
Kein „Run“ auf Deutschland – auch Ankünfte in Europa sinken
In dem Facebook-Beitrag und der Sprachnachricht wird zudem behauptet, es würden verstärkt Menschen nach Deutschland reisen, die über die Balkanroute oder Lampedusa nach Europa gekommen seien. Dies wird deutlich mit Formulierungen wie „Es geht los!“ oder „Das ist alles ein Run im Moment“ oder „Das, was von der Balkanroute, alles, was in Lampedusa angelandet ist, die kommen jetzt alle an“.
Das ist reine Spekulation, und die Statistiken widersprechen der Behauptung. Bundesweit sinkt die Zahl der neuen Asylanträge laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Insgesamt wurden von Januar bis August 2019 in Deutschland 98.428 Erstanträge gestellt. Im selben Zeitraum 2018 waren es 111.685 (Seite 3).
Die Internationale Organisation für Migration teilte zudem am 13. September mit, dass die Zahl der Ankünfte in Europa – auf verschiedenen Land- und Seerouten – von Januar bis Juli 2019 um etwa 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken sei. Seit 2016 gebe es jährlich einen Abwärtstrend.
Für einen angeblichen sexuellen Übergriff gibt es keine Belege
CORRECTIV hat auch geprüft, ob es den angeblichen sexuellen Übergriff von drei Männern auf eine Frau „vor ein paar Tagen“ in der Rosenheimer Innenstadt gegeben hat. In der Sprachnachricht erzählt die unbekannte Frau von einer Bekannten, die angeblich „vor ein paar Tagen in der Fußgängerzone – […] im Zentrum von Rosenheim – […] von zweien oder dreien sogar angegangen worden“ sei. Zwei Männer hätten sie festgehalten, der dritte habe sie sexuell bedrängt und angefasst.
Auf unsere Nachfrage beim zuständigen Polizeipräsidium Oberbayern-Süd teilt die Pressestelle per E-Mail mit: „Im Recherchezeitraum seit dem 5. September bis heute wurde in Rosenheim (Fußgängerzone / Innenstadt) kein solches Delikt angezeigt oder von der Polizei festgestellt.“ Wir konnten im Laufe unserer Recherche keine Belege für den Vorfall finden.