Nein, Mitte Dezember 2024 wurde kein AfD-Parteitag von Grünen gestürmt
Szenen aus einem Tiktok-Video zeigen angeblich, wie die Grünen einen Parteitag der AfD am 15. Dezember 2024 stürmten. Doch der Hintergrund des Videos ist ein anderer.
Eine Veranstaltung der AfD ist sichtlich außer Kontrolle geraten. Mehrere Personen versuchen das Podium zu stürmen, Polizeikräfte wehren sie ab. Diese Szenen sind in einem Tiktok-Beitrag zu sehen, der nach nur 48 Stunden knapp 50.000 Aufrufe erzielte und über 1.000 Mal geteilt wurde.
Angeblich stammen die Szenen von einem Parteitag der AfD vom 15. Dezember 2024. „Grüne“ hätten den Parteitag gestürmt und ein AfD-Verbot gefordert, heißt es weiter. Ein Nutzer kommentierte: „Wer ist jetzt eine extreme Partei?“
Einen Parteitag der AfD hat es an dem Tag nicht gegeben, was also steckt hinter dem Video?
Video zeigt Auseinandersetzung bei AfD-Bürgerdialog in Köln im Dezember 2018
Um herauszufinden, wann das Video aufgenommen wurde, nutzen wir zunächst die Hinweise im Video: Die Polizeikräfte tragen die Kennzeichnung NRW für Nordrhein-Westfalen. Zudem wird der Name „Internetzeitung Köln“ eingeblendet. Darüber finden wir einen Facebook-Beitrag des AfD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, veröffentlicht am 20. Dezember 2018.
Darin sind ähnliche Szenen auf Fotos und in einem Video zu sehen. Dazu heißt es: „AfD-Bürgerdialog am 20.12. in Köln Forum VHS.“ Dass die AfD an diesem Tag einen Bürgerdialog veranstaltete, geht auch aus einem Dokument der NRW-Landesregierung hervor. Die Veranstaltung war demnach im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln.
Diese Hinweise führen auf Youtube zum Originalvideo der „Internetzeitung Köln“, das am 22. Dezember 2018 veröffentlicht wurde. Darin ist ab Minute 1:41 dieselbe Szene zu sehen wie am Anfang des Videos auf Tiktok. Der Vorfall ereignete sich also nicht, wie behauptet, am 15. Dezember 2024, sondern fünf Jahre früher.
Im Tiktok-Beitrag werden neben den Szenen vom Bürgerdialog anschließend auch mehrere Sprecher eingeblendet, darunter eine Aussage von Tino Chrupalla, Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion. Sie hatte aber keinen Bezug zu dem Vorfall in Köln und stammt vom 29. Juni 2024 aus einem Interview mit dem TV-Sender Welt. Chrupalla kommentierte die Proteste gegen den damaligen AfD-Parteitag in Essen. Nach Sitzblockaden und Störaktionen hatte der Parteitag verspätet begonnen.
Unsere Fragen dazu, warum in dem Video fälschlich vom „AfD-Parteitag“ oder ohne Belege von „Grünen“ gesprochen wird, ignorierte der Tiktok-Nutzer. Das Datum 15.12.2024, das als Text im Video eingebunden ist, solle nur das Veröffentlichungsdatum kennzeichnen.
Aus dem Standbild, das zu Beginn des Videos sichtbar ist, geht hervor, dass das Tiktok-Video offenbar auf einem Youtube-Beitrag eines Satire-Profils basiert. Der Youtuber veröffentlichte die Szenen ebenfalls am 15. Dezember 2024. Sein Video erreichte über 170.000 Aufrufe. Im Titel steht „ANGRIFF auf AFD BÜRGERDIALOG!“, doch erst im Laufe des Videos wird durch eine Einblendung eines Artikels aus 2018 klar, dass der Vorfall nicht aktuell ist.
AfD sprach von „Linksextremisten“ – Staatsanwaltschaft Köln liegen keine Informationen zu Parteizugehörigkeiten vor
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist eine Aktion des Bündnis „Köln stellt sich quer“, das einen Protest vor dem Rautenstrauch-Joest-Museum organisierte. Um die 40 Gegendemonstranten sollen später ins Gebäude gestürmt sein. Beim Einschreiten der Polizei verletzte sich ein Beamter demnach schwer am Bein. Gegenüber dem Spiegel distanzierte sich das Bündnis von den Ereignissen im Gebäude.
Die AfD-Bundestagsfraktion und die AfD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen sprachen anschließend von Menschen aus der „linken und linksextremen Szene“, die den Bürgerdialog stürmten. In einer entsprechenden Pressemitteilung der AfD und einem Antrag gegenüber der Landesregierung in NRW ist kein Verweis auf die Grünen zu finden. Weshalb im Tiktok-Video also von Grünen die Rede ist, bleibt unklar.
Das Polizeipräsidium Köln verwies uns auf Nachfrage an die Staatsanwaltschaft Köln. Dort schrieb uns eine Sprecherin, in Zusammenhang mit dem AfD-Bürgerdialog habe es ein Verfahren gegen dreißig Beschuldigte wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Versammlungsgesetz gegeben. Mangels hinreichenden Tatverdachts sei es Anfang 2019 eingestellt worden. „Ob daneben weitere Verfahren in diesem Zusammenhang anhängig geworden sind, lässt sich mangels statistischer Erfassung nicht feststellen“, so die Sprecherin. Sie könne zudem „Aussagen zu etwaigen politischen Haltungen oder Parteizugehörigkeiten der Beschuldigten“ nicht treffen, da diese Informationen nicht erfasst würden.
Ob Unterstützerinnen und Unterstützer der Grünen oder der Linken unter den Personen waren, die den AfD-Bürgerdialog 2018 stürmten, lässt sich nicht feststellen. Hinweise dafür gibt es nicht.
Mehrheit der Grünen unterstützt AfD-Verbotsverfahren
Dafür, dass die Personen bei den Ausschreitungen im Video ein AfD-Verbot gefordert hätten, gibt es auch keine Hinweise. Die Personen im Video rufen nichts dergleichen, zu hören ist eine antifaschistische Parole.
Generell befürworten die Grünen aber momentan ein AfD-Verbot. Die Mehrheit der Partei sprach sich beim Grünen-Parteitag Anfang Dezember 2024 für ein Verbotsverfahren gegen die AfD aus. 113 Abgeordnete aus den Rängen der CDU, SPD, Grünen, Linken und des Bündnis Sahra Wagenknecht stellten im November einen Antrag, die AfD als verfassungswidrig festzustellen. Etwas weniger als die Hälfte der Grünen-Bundestagsfraktion hat einen weiteren Antrag zur Prüfung der Erfolgsaussichten des Verbotsverfahrens gestellt.
Der Verfassungsschutz wertet die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall, in Teilen als gesichert rechtsextrem. Wie CORRECTIV am 2. Dezember 2024 berichtete, soll der Verfassungsschutz ein neues Gutachten über die AfD fertiggestellt haben, das er erstmal aber nicht veröffentlichen wolle.
Laut Verfassungsschutzgesetz muss die Behörde die Öffentlichkeit aber grundsätzlich über verfassungsfeindliche Bestrebungen von Parteien informieren. CORRECTIV hat deshalb einen Eilantrag gegen die Behörde gestellt, um zu erfahren, ob das Gutachten fertiggestellt und die AfD hochgestuft wurde oder nicht.
Redigatur: Sophie Timmermann, Steffen Kutzner