Wirtschaft und Umwelt

Keine öffentlichen Informationen über unfaire Verlagsrabatte für Amazon

Im Netz kursiert seit Jahren ein Foto einer Zettelbotschaft. Darauf behauptet ein Buchhändler, Amazon verlange beim Bücher-Einkauf bei Verlagen 60 Prozent Rabatt. Ob das stimmt, ist nicht zu belegen.

von Alice Echtermann

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Bei seiner Gründung in den 90er-Jahren war Amazon ein reiner Onlinemarkt für Bücher. Oft wird kritisiert, das Unternehmen schade lokalen Buchhändler. (Foto: Jonas Jacobsson / Unsplash)
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Nicht belegbar. Zu den Vertragskonditionen zwischen Amazon und den Buchverlagen gibt es keine öffentlichen Informationen. Ein Rabatt von 60 Prozent wäre nach Einschätzung von Experten jedoch rechtswidrig.

„Amazon will die Welt beherrschen“, steht auf einem Zettel, der offenbar an der Tür eines Buchladens hängt. Der Nutzer Enrico Piccin veröffentlichte am 10. Januar 2019 ein Foto davon auf Twitter, woraufhin der Beitrag mehr als 3100 Mal geteilt und 370 Mal kommentiert wurde. Die Seite „The best social media“ von Vice Digital griff die Diskussion auf, so verbreitete sie sich auf Facebook weiter. Mehr als 34.000 Mal wurde der Artikel dort geteilt.

Im Text auf dem Zettel wird behauptet, Amazon verlange von Verlagen beim Einkauf von Büchern 60 Prozent Rabatt. Buchhändler dagegen müssten sich „zwischen 20 und 30 Prozent des Nettopreises“ (schreibt Piccin) beziehungsweise mit einer „durchschnittlichen 25 % Spanne“ (handschriftliche Notiz) zufrieden geben.

Tweet vom 10. Januar 2019. (Screenshot: CORRECTIV)

Der Buchhandelsrabatt ist ein Preisnachlass, den Verlage Buchhändlern gewähren. Die Händler kaufen die Bücher bei den Verlagen ein und erhalten einen Rabatt auf den Nettopreis. Für den Verkauf an den Kunden müssen sie sich an den Endpreis halten, den der Verlag vorschreibt. Laut der gesetzlichen Preisbindung für deutsche Bücher muss ein neues Buch überall gleich viel kosten – auch auf Amazon. Das heißt, der Einkauf zum Nettopreis bestimmt, wie viel Gewinn der Händler beim Verkauf eines Buches macht. Der Verfasser der handschriftlichen Notiz wirft Amazon vor, der Buchbranche mit zu hohen Rabattforderungen beim Einkauf zu schaden.

In den Kommentaren auf Twitter werden die Zahlen allerdings von anderen Nutzern angezweifelt. CORRECTIV hat die Angaben überprüft.

Die Geschichte des Fotos

Zum Ursprung des Fotos lohnt sich ein kleiner Exkurs. Fotos mit ähnlichen Zettelbotschaften kursieren schon seit mindestens vier Jahren im Netz. Im Juli 2015 veröffentlichte die Facebook-Seite „Buch & Cafe Lentner“ das Bild eines Zettels mit derselben Botschaft. Er hing im Schaufenster einer Münchener Buchhandlung. Das Bild ging später viral, mehrere Medien berichteten. Der Inhaber der Buchhandlung, Thomas Felber, schrieb 2018 einen Gastbeitrag für den Münchner Merkur, in dem er erklärt, der Text hänge in allen drei Filialen seines Geschäfts.

Dieses Foto eines Schaufensters der Buchhandlung Lentner wurde auf Facebook im Juli 2015 hochgeladen. (Screenshot: CORRECTIV)

60 Prozent Rabatt für Amazon?

Die Aussage, Amazon verlange 60 Prozent Preisnachlass von Verlagen, lässt sich nur schwer überprüfen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels teilte auf Nachfrage von CORRECTIV mit, man könne die Richtigkeit der Behauptung nicht prüfen, da der Verein keinen Einblick in die Geschäftsbeziehungen von Amazon und den Verlagen habe. „Gemäß § 6 Abs. 3 des Buchpreisbindungsgesetzes dürfen Verlage Händlern, die sie direkt beliefern, keine höheren Preise oder besseren Konditionen gewähren als dem Buchgroßhandel“, erklärt Justiziar Christian Sprang.

Dem Börsenverein seien allerdings Klagen von Mitgliedsverlagen bekannt, wonach diese von Amazon zu deutlich besseren Konditionen genötigt würden. „Sollte es Fälle geben, in denen ein Verlag Amazon 60 Prozent Rabatt gewährt, wäre dies sowohl von Seiten Amazons als auch von Seiten des Verlags ein rechtswidriges Handeln.“

Wie die Vertragsbeziehung von Amazon und deutschen Verlagen aktuell aussehen, ist für die Öffentlichkeit nicht nachzuvollziehen. Der Börsenverein kann dazu keine Auskunft geben, und auch vier große Verlagshäuser in Deutschland wollten auf Nachfrage von CORRECTIV keinen Einblick geben, wie sie mit Amazon Geschäfte machen. Bonnier Media und Random House reagierten nicht auf unsere Anfrage, Cornelsen und die Westermann-Gruppe antworteten, sie könnten dazu keine Auskunft geben. Auch Amazons Sprecherin Ina Steinbach erteilte uns eine Absage: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zu Vertragsvereinbarungen grundsätzlich keine Angaben machen.“

25 Prozent für Buchhändler?

Bleiben noch die Buchhändler, die dem Tweet zufolge zwischen 20 und 30 Prozent bekommen sollen. Laut Börsenverein hängt der Handelsrabatt von Buchgenre, Preis und Bezugsweg ab. „Generell und über all die genannten Faktoren hinweg sind 30 bis 40 Prozent Buchhandelsrabatt Usus. Die genannten 25 Prozent können aber je nach Ausrichtung der Buchhandlung und der Art der bezogenen Bücher auch einem normalen Rabatt entsprechen“, so Sprang. Die Angabe zu den Preisrabatten für Buchhändler in dem Tweet ist also nicht falsch, aber relativ niedrig angesetzt.

EU-Kommission ermittelte gegen Amazon

„Im Bereich des E-Book-Handels wissen wir, dass Amazon seine Marktstellung in der Vergangenheit eindeutig missbraucht hat“, sagt Sprang. Im Jahr 2014 habe der Onlinehändler nach Medienberichten Verlage wie die Bonnier-Gruppe unter Druck gesetzt, starke Nachlässe auf E-Books zu geben. Zu Bonnier gehören deutsche Verlage wie Carlsen, Piper oder Ullstein. „Der Online-Händler forderte (…) eine Erhöhung der Rabatte beim E-Book-Einkauf von rund 30 Prozent auf 40 bis 50 Prozent“, so Sprang. „Damit hätte Amazon ohne sachlich gerechtfertigten Grund deutliche Vorteile gegenüber anderen Abnehmern elektronischer Bücher erhalten.“

Amazon habe seine Forderungen gegen die Verlage damals aggressiv vorangetrieben, unter anderem durch Lieferverzögerungen, mit denen Druck auf die Verlage aufgebaut wurde. Dieses Vorgehen sei publik geworden, nachdem Medien bereits zuvor über ähnliche Fälle bei der Verlagsgruppe Hachette in den USA berichtet hätten. Der US-Konzern wies die Vorwürfe damals zurück. Die Streitigkeiten mit Bonnier wurden Ende 2014 beigelegt, wie Meedia berichtete. Die deutsche Tochterfirma traf dem Bericht zufolge eine langfristige Vereinbarung mit Amazon. Über die genauen Konditionen wurde nichts bekannt.

Amazon verbesserte Vertragskonditionen

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hatte jedoch bereits Mitte 2014 Beschwerde gegen Amazons Vertragsklauseln für E-Book-Händler eingelegt. Zunächst beim Bundeskartellamt, das den Fall an die EU-Kommission weiterleitete. Diese leitete im Juni 2015 Ermittlungen ein.

Der Druck zeigte Wirkung, wenn auch erst fast drei Jahre später: Im Januar 2017 teilte die EU-Kommission Bedenken gegen die sogenannten Paritätsklauseln von Amazon mit, und verkündete gleichzeitig, das Unternehmen habe angeboten, die Vertragsbedingungen für die Verlage zu verbessern. Die Paritätsklauseln besagten, dass Verlage Amazon informieren und ebenso gute Konditionen einräumen müssten, wenn sie anderen Händlern bessere Konditionen anbieten, erklärte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2017 in seiner Pressemitteilung zu dem Fall.