Faktencheck

Ein wachsender Gletscher auf Grönland bedeutet nicht, dass es keinen Klimawandel gibt

Eine Webseite streut Zweifel am Klimawandel, weil angeblich laut Nasa-Daten ein Gletscher in Grönland wachse und das Eis in der Antarktis zunehme. Letzteres stimmt nicht – und aus dem Gletscher-Wachstum zieht der Artikel falsche Schlüsse. 

von Alice Echtermann

antarctica_tmo_2015095_lrg
Meereis vor der Küste der Antarktis. (Foto: NASA/Jeff Schmaltz, LANCE/EOSDIS Rapid Response)
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Der Gletscher in Grönland wächst seit ein paar Jahren, das lässt jedoch keine Schlüsse über den Klimawandel zu. Insgesamt nehmen sowohl die Eismengen in Grönland als auch der Antarktis ab.

Ein Gletscher auf Grönland wächst wieder. Gibt es also doch keinen Klimawandel? Das behauptet die Seite Happy Times in einem Artikel, der laut dem Analysetool Crowdtangle bereits mehr als 13.200 Mal auf Facebook geteilt wurde. Es geht darin um den Jakobshavn-Gletscher auf Grönland und um die Eismenge am Südpol, die angeblich zu- statt abgenommen habe. 

Die Seite beruft sich für beide Behauptungen auf die US-Weltraumbehörde Nasa und schreibt von der „neuesten Fehlprognose der Klimawissenschaft“. Mit dieser Einschätzung liegt sie falsch. Zwar wächst der Gletscher auf Grönland tatsächlich – dies lässt aber keine Schlüsse über den Klimawandel zu. Die Ausdehnung des Meereises sowie die Eismasse der Antarktis schrumpfen.

Gletscher wächst seit 2016, weil ihn durch Meeresströmung kaltes Wasser erreichte 

Tatsächlich teilte die Nasa im März 2019 mit, der Jakobshavn-Gletscher auf Grönland werde dicker und bewege sich langsamer. Der Gletscher mündet ins Meer. Die Nasa erklärte den Grund für das Wachstum mit seit 2016 deutlich kühler gewordenem Wasser, das durch Meeresströmungen zu ihm gelangt sei. 

Die Ursache für das kalte Wasser sei ein bekanntes Klimaphänomen namens Nordatlantische Oszillation (North Atlantic Oscillation, NAO). Wenn es sich verändere, werde der Gletscher wieder stärker schmelzen. 

Die Veränderung des Jakobshavn-Gletschers. Rot bedeutet Ausdünnung, Blau eine Zunahme. Die Bilder wurden laut Nasa mit GLISTIN-A Radardaten erstellt. (Bildquelle: NASA/JPL-Caltech / NASA Earth Observatory)

Ähnliches führte die Nasa auch in einem Blogartikel von Oktober 2019 aus. Das Wachstum des Gletschers klinge nur auf den ersten Blick nach guten Nachrichten für die globale Erwärmung. „Die NAO ist ein ozeanisches Klimaphänomen, das die Wassertemperaturen im Nordatlantik alle fünf bis 20 Jahre zwischen Warm und Kalt wechseln lässt.“ Es sei nicht von Dauer – der Klimawandel jedoch passiere langfristig.

Auf Nachfrage bekräftigt einer der verantwortlichen Forscher der Nasa-Studie, Josh Willis, dies per E-Mail an CORRECTIV: „Obwohl dieser Gletscher gewachsen ist, hat Grönland insgesamt an Eis verloren; 2019 verlor es die zweitgrößte Menge in den letzten zwei Dekaden.“ Die Forschung zeige, wie empfindlich Gletscher auf Veränderungen des Ozeans reagieren. Langfristig werde sich dieser unvermeidlich durch den Klimawandel erwärmen. Und an der Ursache der globalen Erwärmung gebe es keinen Zweifel: „Wir sind es.“

Antwort des Forschers Josh Willis auf eine Anfrage von CORRECTIV. (Screenshot: CORRECTIV)

Erst kürzlich, Anfang Februar, teilte das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung mit, der Eispanzer Grönlands schmelze insgesamt immer schneller: „Zum einen taut der Eispanzer an der Oberseite, weil er der Sonne und den steigenden Temperaturen ausgesetzt ist. Doch schmilzt das Eis inzwischen auch von unten – und zwar auch im Nordosten Grönlands, wo sogenannte Gletscherzungen zu finden sind.“

Wir haben die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts um eine Einschätzung zum Wachstum des Jakobshavn-Gletschers im Westen Grönlands gebeten. Die Antwort des Glaziologen Veit Helm: „Der Artikel zeigt in keinster Weise die von Klimaskeptikern gern gesehene Fehlprognose der Klimawissenschaft, sondern verdeutlicht vielmehr den großen Einfluss von geringen Ozeantemperaturschwankungen auf das dynamische Verhalten der Gletscher, umso mehr im Hinblick auf sich gobal erwärmenden Ozeane!“

Das Meereis am Südpol nahm laut Nasa lange leicht zu, inzwischen schrumpft es jedoch

Die zweite Behauptung des Artikels von Happy Times lautet, die Eisfläche am Südpol nehme angeblich zu, sie habe sich um 17.000 Quadratkilometer vergrößert. Als Quelle wird die Nasa genannt, wir konnten diese Daten jedoch nicht finden. Auf unsere Nachfrage sagen die Forscher des Alfred-Wegener-Instituts, ihnen sei keine Studie bekannt, die diese konkrete Aussage stützt. 

Es gebe lediglich eine Nasa-Studie von 2015 des Forschers Jay Zwally: Darin ist von einem Zuwachs der Eismasse im Osten der Antarktis die Rede. Dieser sei so groß, dass er den Verlust durch die schmelzenden Gletscher im Westen aufwiege. Die Studie sei jedoch umstritten, schreibt uns Veit Helm vom Alfred-Wegener-Institut. „Alle anderen Wissenschaftler, die mit derselben Datengrundlage gearbeitet haben, kommen auf eine nur geringe Massenzunahme oder sich im Gleichgewicht befindende Ostantarktis. Eine Vergleichsstudie (IMBIE), die Massenbilanzen verschiedener Wissenschaftler Teams und Methoden zusammenfasst, zeigt sehr deutlich, dass die Werte von Zwally in keinster Weise bestätigt werden konnten.“

Josh Willis, der die Nasa-Studie über den Jakobshavn-Gletscher verfasste, schreibt uns auf Nachfrage zu der Antarktis: „Das Eis auf dem Land in der Antarktis schrumpft seit 20 Jahren.“ Bei dem schwimmenden Eis – dem Meereis – rund um den Kontinent gebe es keinen eindeutigen Trend, aber in den vergangenen Jahren sei es ebenfalls auf einem Rekord-Minimum gewesen.

Die Nasa schrieb im April 2019 in einem Blogartikel, die schwimmende Eisfläche rund um die Antarktis nehme ab, nachdem sie die Jahre zuvor eher zugenommen habe. Der Grund sei, dass sich „langfristige, großflächige Windphänomene“ umgekehrt hätten, die zuvor das Eis von der Antarktis weggeschoben hatten. Globale Klimamodelle hätten dieses Verhalten vorhergesagt.

Darstellung der Entwicklung des Meereises in der Arktis (blau) und Antarktis (rot). (Quelle: Nasa. Screenshot: CORRECTIV)

Auch aus den Daten auf der Webseite der Nasa (bis 2017) geht hervor, dass die Masse des Land-Eises in der Antarktis seit 2002 insgesamt abnimmt, ebenso wie die Eismasse in Grönland. Am Nordpol schrumpft das Meereis ebenfalls seit Jahren stark. In dem Beitrag von 2019 erklärte die Nasa, die Ausdehnung des Eises in der Arktis sei auf dem niedrigsten Stand seit 1850.  

Die Größe der Eisfläche an den Polen sei wichtig in Bezug auf den Klimawandel, schreibt die Nasa: Das Eis reflektiere mit seiner hellen Oberfläche 50 bis 70 Prozent der Energie der Sonne zurück ins Weltall. Wenn es im Sommer schmelze, entblöße es die dunkle Oberfläche des Meeres, die 90 Prozent des Sonnenlichtes absorbiere. „Wenn der Ozean sich erwärmt, steigen die Temperaturen weiter.“ Dies habe einen Effekt auf die gesamte Erde, auf Ozeanströmungen und somit das Klima. 

Auch eine weitere Frage, die der Artikel von Happy Times aufwirft („Erwärmt sich die Erde wirklich?“) ist klar zu beantworten: Die globale Oberflächentemperatur hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts laut Nasa um 0,9 Grad Celsius erhöht. Die größte Erwärmung fand in den letzten 35 Jahren statt. Die fünf wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen ereigneten sich alle seit 2010.