Texte, Töne, Terror: Über die Bedeutung rechtsextremer Musik
Interview: Alexander Roth
Die Geschichte rechtsextremistischen Terrors ist eng mit der Geschichte rechtsextremer Musik verwoben. Timo Büchner beschäftigt sich seit Jahren damit, die Fäden zu entwirren und Strukturen aufzuzeigen. Im Mai 2021 ist sein Buch „Rechtsrock. Business, Ideologie & militante Netzwerke“ erschienen.
Herr Büchner, seit wann gibt es rechtsextreme Musik in Deutschland?
Büchner: Die erste rechtsextreme Musikgruppe gab es in Deutschland Ende der 70er Jahre. Zu der Zeit kam Rechtsrock in Großbritannien auf. Bands wie „Skrewdriver“ um den späteren „Blood & Honour“-Gründer Ian Stuart Donaldson waren damals populär. Die ersten nennenswerten Bands in Deutschland gab es dann in den 80er Jahren. In ihren Anfangsjahren lassen sich zum Beispiel die „Böhsen Onkelz“ dazuzählen. Der richtige Boom kam aber erst in den 90er Jahren. Da gab es eine regelrechte Explosion der Tonträgerproduktion vor dem Hintergrund rechtsextremer Ausschreitungen wie 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Zu dieser Zeit haben sich noch mal zahlreiche Rechtsrock-Bands gegründet. Das waren die wichtigsten Etappen am Anfang.
Wie hat sich diese Musik verbreitet?
Damals spielten die sogenannten „Fanzines“ noch eine große Rolle. Selbst gebastelte Magazine von Nazi-Skins für Nazi-Skins. Darin wurden Konzerte besprochen und die neuesten Tonträger beworben. Damals gab es kein Internet, wie wir es heute kennen.
Was hat sich im Vergleich zu früher mittlerweile geändert?
Die Szene hat sich professionalisiert. Es gibt heute einen richtigen Markt mit Produktions- und Vertriebsstrukturen. Der Rechtsrock-Experte Jan Raabe, der sich schon lange mit der Szene beschäftigt, geht von aktuell etwa 25 Labels und ungefähr 80 Versandfirmen in Deutschland aus. Das gab es in den 90ern in dieser Form nicht. Fanzines spielen mittlerweile keine große Rolle mehr. Durch das Internet verbreitet sich die Werbung für Rechtsrock-Tonträger rasant. Leute, die schon lange in der Szene aktiv sind, haben ihre festen Kanäle, um sich zu informieren. Die Jüngeren, die frisch damit in Kontakt kommen, holen sich ihre Infos zum Beispiel über den Messengerdienst Telegram.
Welche Rolle spielen Netzwerke wie Blood & Honour heute noch?
Das ist schwer zu sagen. Das Rechtsrock- und Neonazi-Netzwerk Blood & Honour ist ja offiziell seit über 20 Jahren in Deutschland verboten. Daher gibt es wenige belastbare Fakten, trotz journalistischer Recherchen. Aber es gibt natürlich eine ganze Reihe von Gruppen, die Blood & Honour zugeordnet werden, und viele Kader von damals sind heute noch in irgendeiner Weise aktiv. Ich persönlich glaube nach wie vor, dass die „Hammerskins“ als eine und das Blood-&-Honour-Netzwerk als andere Struktur eine große Rolle spielen. Das ist einfach über die Jahrzehnte hinweg gewachsen. Gerade bei Rechtsrock-Veranstaltungen nehmen die Mitglieder dieser Netzwerke eine zentrale Funktion ein, weil es Leute sind, die sich schon sehr lange in der Szene bewegen, Konzerte veranstalten – und eben auch die nötigen Kontakte dafür haben.
Welchen Stellenwert nimmt die Musik innerhalb der rechtsextremen Szene ein?
Ich würde sagen, dass Rechtsrock ein wichtiger Bestandteil der rechtsextremen Lebenswelt ist. In der Musik werden Botschaften besungen und Gemeinschaftsgefühle geweckt, die elementar für die Szene sind. Aus Perspektive der Neonazis ist man überzeugt, dass man über die Musik Leute für die Szene gewinnen kann.
In den USA ist Rockmusik vor ein paar Jahren als meistgehörtes Genre abgelöst worden. Neuer Spitzenreiter: Rap. Wir haben bisher nur über Rechtsrock gesprochen. Macht sich dieser Wandel auch in Deutschland bemerkbar?
Ganz grundsätzlich muss man dazu sagen, dass der Begriff „Rechtsrock“ ein Sammelbegriff mit wissenschaftlicher Prägung ist. „Rechtsrock“ meint grundsätzlich eine Musik mit rechtsextremer Botschaft. Es ging dabei nie nur um Rockmusik. Sie macht aus Produktionsperspektive den größten Anteil aus, aber eben nur einen Anteil von vielen. Es gab früh auch extrem rechte Balladen von Liedermachern und in den letzten zehn Jahren eben auch den sogenannten „NS-Rap“. Der gilt bis heute, verglichen mit den anderen Genres rechtsextremer Musik, nur als Randphänomen. Es gibt ein paar Rechtsrapper, die immer wieder versuchen, Anschluss zu finden, aber das ist begrenzt. Die klassischen Rechtsrock-Bands haben definitiv den größten Marktanteil.
Was ist mit Rappern wie Chris Ares oder Labels wie „Neuer Deutscher Standard“? Die finden ja teilweise auch auf gängigen Plattformen wie YouTube statt.
Da muss man unterschieden. Neurechte Rapper erreichen noch mal ein anderes Milieu, weil sie nicht in dieser extrem rechten Szene unterwegs sind. Sie bekennen sich nicht offen zum Nationalsozialismus wie Rechtsrock-Bands. Man gibt sich anders, auch ideologisch, und das öffnet einem auch neue Türen. Diese Rapper sind mit der „Identitären Bewegung“ und der Kampagnenplattform „Ein Prozent“ verbunden und konnten an deren Erfolge anknüpfen.
Es heißt: Aus Worten werden Taten. Der Attentäter von Halle hat auf dem Weg zur Synagoge den Song eines deutschsprachigen NS-Rappers gehört. Wie sind rechtsextreme Gewalt und Terror mit der Musik verbunden?
Da muss man, denke ich, zwei Sachen unterscheiden: Zum einen muss man sich die Inhalte anschauen. Was wird in den Liedtexten transportiert? Und zum anderen muss man sich die Musiker und deren Verflechtungen im Netzwerk anschauen. Fangen wir mit den Verbindungen an. Wenn ich mir zum Beispiel „Combat 18“ anschaue, dann werden über Jahrzehnte hinweg immer wieder Sampler produziert. Combat 18 ist ja bekannt als paramilitärischer Arm von Blood & Honour, die machen keinen Hehl aus Gewaltfantasien. Es gab auch immer wieder Sampler und Konzerte, mit denen Spenden für Rechtsterroristen gesammelt wurden. Das zeigt ganz klar: Es gibt Bands, die Terror verherrlichen und die Netzwerke dahinter unterstützen.
… und die Texte?
Zu den Liedtexten lohnt es sich, den Fall der in Szenekreisen bis heute populären Band „Landser“ anzuschauen. Landser wurde 2003 als kriminelle Vereinigung verboten. Schon in der Anklageschrift wurde offengelegt, dass es eine Beziehung zwischen Musik und Gewalt gab. Anlass der Ermittlungen waren damals mehrere Vorfälle, wo vor brutalen Gewaltexzessen Lieder der Band gesungen oder gehört wurden. Zwei Beispiele: Im Februar 1999 haben Neonazis im brandenburgischen Guben Jagd auf Geflüchtete gemacht. Sie haben zum „Afrika-Lied“ von Landser einen Algerier zu Tode gehetzt. Im August desselben Jahres hat eine Gruppe Neonazis zwei junge Vietnamesen auf einem Volksfest in Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern fast totgetreten. Sie haben dabei „Fidschi, Fidschi, gute Reise“ gegrölt, den Refrain des Landser-Songs „Xenophobia“. Natürlich ist Radikalisierung ein komplexer Vorgang. Es wäre zu einfach zu sagen, dass aus Musik direkt Gewalt resultiert. Aber ich denke, dass Musik ein wichtiger Faktor sein kann. Und ich finde, das Beispiel Landser zeigt, dass es eine Beziehung zur Gewalt gibt. Dazu kommt der etwas aktuellere Fall der Band „Erschießungskommando“, bei dem die Text- und die Netzwerkebene verschwimmen. Wenn man sich deren Texte anschaut – da gibt es neben vielen offenen Mordaufrufen klare Bekenntnisse zu „Blood & Honour“ und „Combat 18“. Mittlerweile hat die Band vier Alben veröffentlicht, alle gleich radikal. Da wird einfach offen zum Genozid aufgerufen. Bei Landser hat man die Mitglieder noch vor Gericht gestellt und verurteilt. Erschießungskommando kann seit Jahren agieren, und man schafft es wohl irgendwie nicht, die Leute ausfindig zu machen. Ich verstehe das nicht.
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Timo Büchner beschäftigt sich für die Amadeu Antonio Stiftung mit Antisemitismus und Rechtsextremismus. Er schreibt für „Belltower.News“ und den Zeit Online-Blog „Störungsmelder“. Sein Buch „Rechtsrock. Business, Ideologie & militante Netzwerke“ ist im Unrast-Verlag erschienen.