Fußballdoping

EM 2016: Lücken bei Doping-Kontrollen

Der europäische Fußballverband spricht von den umfangreichsten Dopingkontrollen der Geschichte. Tatsächlich hat sich das Programm verbessert. Dennoch gibt es weiterhin Lücken: Die Spieler werden nur selten kontrolliert, bei Missbrauch gibt es für die Mannschaft kaum Sanktionen, und am Ende entscheidet die Uefa selbst, ob Doping-Ergebnisse veröffentlicht werden.

von Jonathan Sachse

Von den Dopingkontrollen bekommen die Fans bei der EM in der Regel nichts mit.© by Kuchel

Am 30. Mai im schweizerischen Trainingslager in Ascona war es wieder soweit: Die Dopingkontrolleure schauten bei der Nationalmannschaft vorbei. Und der DFB berichtete auf Facebook und Twitter. Gleich acht Spieler hätten eine Urin- und Blutprobe abgeben müssen. Kontrollen als positive PR-Botschaft. Seht her, wir haben nichts zu verbergen.

Seit Januar und bis zum Turnierbeginn kontrollierte die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) alle Spieler im EM-Kader der deutschen Nationalmannschaft im Schnitt zwei bis drei Mal. Einige Spieler sind in der Champions League und der Europa League zusätzlich vom europäischen Fußballverband (Uefa) getestet worden, teilt die Nada auf Anfrage mit.

Kurz vor Turnierbeginn gab die Uefa eine Pressemitteilung heraus und sprach vom umfangreichsten Anti-Doping Programm in der Geschichte der EM. Tatsächlich hat sich im Vergleich zu früheren Europameisterschaften einiges verbessert. Bei der EM 2008 gab es noch keine Trainingskontrollen, 2012 wurde jedes Team nur einmal in den Wochen vor Turnierbeginn von Kontrolleuren besucht. Solche offensichtlichen Lücken kann sich die Uefa nicht mehr erlauben, seitdem das Thema Doping im Fußball immer mehr öffentlich thematisiert wird.

Was hat sich konkret verbessert?

Die Uefa kooperiert seit diesem Jahr mit den nationalen Anti-Doping-Agenturen, in Deutschland ist das die Nada. Der Fußballverband und die Anti-Doping-Agenturen können auf eine gemeinsame Datenbank zugreifen. Dort werden die biologischen Daten der Spieler gesammelt. Uefa und Anti-Doping-Agenturen stimmen zudem ab, wann kontrolliert wird, damit die Kontrolleure nicht gleichzeitig auftauchen und Spieler gleich mehrere Becher mit Urin füllen müssen.  

Eine Ausnahme bilden drei Länder, mit denen keine Kooperationen abgeschlossen wurden: Russland hat nach den Dopingskandalen, die auch den Fußball betreffen, keine eigene lizenzierte Anti-Doping-Behörde mehr. Die britische Anti-Doping Behörde übernimmt dort die Kontrollen. Mit der Ukraine gibt es auch keinen Vertrag, weil die Agentur laut Uefa „interne Probleme“ habe und Albanien hat ebenfalls keine unabhängige Agentur. Dort ist das Sportministerium für die  Dopingkontrollen im Land zuständig. Durch die Kooperationsverträge mit den restlichen 22 nationalen Agenturen (NADOs) entstehen auf den ersten Blick beeindruckende Zahlen: Seit Januar haben die NADOs und die Uefa insgesamt 1278 Proben genommen. 

Warum reicht das nicht?

Das entspricht  639 Tests, da bei jeder Kontrolle zwei Proben (A und B) genommen werden. An der Europameisterschaft nehmen 552 Spieler teil. Die genauen Namen der Teilnehmer sind aber erst seit dem 1. Juni bekannt. Deshalb war der Kreis, der im Vorfeld für Kontrollen in Frage kommenden Spieler, größer als 552 Personen. Das reduziert die Zahl der Kontrollen pro EM-Teilnehmer deutlich. Im Schnitt wurden die Spieler seit Jahresbeginn also vermutlich weniger als einmal getestet. Es gab weitere 437 Tests rund um die Champions League und Europa League Spiele. Wie viele EM-Spieler bei diesen Kontrollen getestet wurden, wissen wir nicht.

Mit der Saison 2015/16 hat die Uefa begonnen, zentrale Blutwerte für einen biologischen Pass zu sammeln. Wada, Uefa und die NADOs haben Zugriff auf die Blut- und Hormonprofile in der Datenbank. Von den 639 genommenen Kontrollen, die seit Januar genommen wurden, fließt allerdings nur jede vierte Kontrolle in das Passprogramm ein.

Was passiert seit Turnierbeginn?

Bei den Kontrollen während des Turniers hat sich im Vergleich zu früheren Jahren nicht viel verändert. Bei allen 51 Spielen müssen nach Abpfiff zwei Spieler aus jeder Mannschaft zur Kontrolle. Jeder Spieler hat einen Aufpasser, den Chaperon, an seiner Seite, der ihn vom Platz bis zur Kontrolle begleitet, wo er Blut- und Urinproben abgeben muss. In der Regel werden diese Spieler ausgelost. Nur in Sonderfällen werden Spieler ausgesucht. Anders im Training: Dort werden gezielt Spieler kontrolliert. Die russischen Spieler sollen deshalb kurz vor Turnierbeginn regelmäßig Besuch von den Kontrolleuren bekommen haben. 

Ein zentrales Problem bleibt weiterhin bestehen: Die Uefa ist Herr des Verfahrens. Während der EM muss jeder Test mit dem europäischen Verband abgestimmt werden und sie ist zuständig für das Ergebnismanagement. Die Uefa entscheidet also, was mit auffälligen Tests passiert. Dadurch bleibt das Kontrollsystem im letzten, entscheidenden Schritt nicht unabhängig.

Was passiert bei einem positiven Test?

Gut ist, dass Kontrollen deutlich schneller analysiert werden können. Alle Proben werden von der französischen Anti-Doping Agentur (Afld) in Châtenay-Malabry analysiert. Urin-Proben sollen dort in zwei Tagen und Blutproben in wenigen Stunden ausgewertet werden, sagt die Direktorin der Afld. Bevor ein Spieler zum nächsten Spiel antritt, gibt es also immer schon das Testergebnis. Bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Brasilien dauerte die Analyse noch mehrere Tage, weil die Proben um die halbe Welt geflogen wurden.

Sollte es eine positive A-Probe geben, muss sich der Spieler innerhalb weniger Stunden entscheiden, ob er die B-Probe analysieren lassen möchte oder einen positiven Test akzeptiert. Normalerweise haben Spieler für diese Entscheidung eine Woche Zeit. Bei der EM wird innerhalb von zwölf Stunden die B-Probe analysiert.

Ein Dopingverstoß hat für die Mannschaften keine Konsequenzen. Erst wenn drei Spieler in einem Team positiv getestet werden, wird über Punktabzug oder Turnierausschluss entschieden. Ein solches Szenario ist eher unwahrscheinlich.

Was passiert nach der EM?

Die EM-Proben sollen nur vier Jahre gelagert werden. Das ist sehr kurz. Dopingproben dürften bis zu zehn Jahre in Kühlkammern aufbewahrt werden. Oft werden erst viele Jahre später neue Tests entwickelt, um neue Dopingsubstanzen zu finden. Wie effektiv Nachkontrollen sein können, haben zuletzt erst die Nachkontrollen der olympischen Spiele in Großbritannien 2012 und zuvor in China 2008 gezeigt, die mit vielen positiven Tests endeten. Auf Anfrage teilt die Uefa mit, dass das medizinische Komitee dem UEFA-Exekutivkomitee vorschlagen möchte, die Lagerzeit auf zehn Jahre auszubauen. Diese Entscheidung soll aber erst in einigen Wochen fallen.