Mafia

Patronen in Briefumschlägen

Mehr als 2000 Journalisten wurden laut Anti-Mafia-Kommission zwischen 2006 und 2014 von der organisierten Kriminalität bedroht. Viele davon sind freie Journalisten, die oft der Macht der Mafia ausgesetzt sind.

von Margherita Bettoni

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Patronen in Briefumschlägen, verbrannte Autos, Drohanrufe aber auch immer mehr Gerichtsverfahren – die Mafia kennt viele Wege, um Journalisten zum Schweigen zu bringen.

Die parlamentarische Anti-Mafia-Kommission hat sich zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 50 Jahren mit dem Alltag von Anti-Mafia-Journalisten in Italien beschäftigt. Dafür hat sie mit 34 Journalisten geredet und mehr als 100 Stunden Interviews transkribiert. Nach einem Jahr Recherche haben Rosy Bindi, Präsidentin der Kommission, und ihr Stellvertreter Claudio Fava, den ersten Bericht über Journalisten und die Mafia veröffentlicht.

Mehr als 2000 Journalisten von der Mafia bedroht

Die erschreckende Zusammenfassung: Zwischen 2006 und 2014 wurden in Italien mehr als 2000 Journalisten von der Mafia bedroht. Am schlimmsten war die Situation zwischen Januar und Oktober 2014, als an jedem zweiten Tag durchschnittlich drei Journalisten eingeschüchtert wurden. Dabei handelt es sich ausschließlich um Fälle, die bei der Polizei gemeldet wurden. So glaubt der Verein „Ossigeno per l’informazione“ („Sauerstoff für Medien“), der an dem Bericht mitgearbeitet hat, dass man diese Nummer mit zehn multiplizieren müsste, um auf eine richtige Einschätzung zu kommen.

Die Herkunft der Journalisten spielt keine Rolle mehr. 2014 bedrohte die Mafia Journalisten in fast jeder Region – Ausnahmen waren nur die Region Molise und das Aostatal. Am schlimmsten war die Situation im Latium: 26 Journalisten wurden hier allein 2015 eingeschüchtert.

Die organisierte Kriminalität bevorzugt oft rechtliche Wege

Die Methoden, mit denen die Mafiosi engagierte Journalisten bedrohen, sind verschieden. Der Journalist Roberto Rossi, 35, erzählte der Kommission vom journalistischen Alltag in Kalabrien: Drohbriefe, Patronen in Briefumschlägen und Molotov-Bomben gegen die Haustür seien für viele der Alltag.

Doch die Mafia geht auch immer mehr über rechtliche Wege: Die Fernsehjournalistin Milena Gabbanelli, 61, berichtete der Kommission, dass sie auf insgesamt mehr als 250 Millionen Euro Entschädigung verklagt wurde. Gabbanelli moderiert seit 1997 die Untersuchungssendung „Report“, die auf dem staatlichen Sender Rai Tre ausgestrahlt wird.

Doch hinter einer Journalistin wie Gabbanelli steht der rechtliche Apparat des öffentlich-rechtlichen Senders RAI. Was passiert aber mit den vielen freien Journalisten, die über und gegen die Mafia berichten? “Eine Klage setzt freie Journalisten unter Druck – psychologisch und ökonomisch“, sagte Vizepräsident Fava heute bei der Vorstellung der Ergebnisse in Rom.

Freie Journalisten sind der Macht der Mafia oft ausgesetzt

Die junge Journalistin Ester Castano, 22, hat 2013 mit ihren Artikeln zur Auflösung des Gemeinderates von Sedriano (Lombardei) beigetragen, der mit der Mafia verwickelt war. Am Anfang wurde Castano für verrückt gehalten. Der Bürgermeister, der später für seine Mitarbeit mit der ‘Ndrangheta verurteilt wurde, verklagte sie wegen Diffamierung. Die mutigen Artikel Castanos wurden mit drei bis vier Euro vergütet: „Um ihre Miete zu zahlen, musste sie bei Burger King arbeiten“, erzählte der Präsident des italienischen Journalistenverbandes der Kommission.

Doch auch Journalisten, die eine feste Stelle haben, sind nicht abgesichert. Franco Castaldo, der für CORRECTIV an der Reportage „Mafia in Deutschland“ mitgarbeitet hat, erzählte der Kommission von seiner Vergangenheit beim Verlag „Domenico Sanfilippo Editore“ auf Sizilien. Castaldo ist nach wie vor Verlagsangestellter, doch darf er die Räume der Redaktion nicht mehr betreten.

Die Probleme Castaldos fangen 1995 an. Damals berichtete er aus Rom über einen Prozess gegen die Cosa Nostra von Agrigento. Ein Kronzeuge erzählte damals, dass Filippo Salamone, ein damals mächtiger Unternehmer, mit der Cosa Nostra kooperieren würde. Castaldo schrieb darüber und würde deswegen nach Catania versetzt – nach einem Treffen zwischen Salamone und dem Verleger. In Catania fand Castaldo weder einen Tisch noch ein Telefon. „Mein Büro war ein Abstellraum“, erzählt er im Bericht.

Spätere Gerichtsverfahren bestätigten das Treffen zwischen Salamone und dem Verleger, doch bis heute hat Castaldo die Räume des Verlages nicht mehr betreten können.

Bericht ist nur ein erster Schritt

Vizepräsident Fava betonte heute in Rom, dass der Bericht kein umfassendes Bild der Situation geben könne. Denn: Mit jedem Tag wächst die Zahl der bedrohten Journalisten. Umso wichtiger sei es, dass sich die Kommission weiterhin mit dem Thema beschäftige.

Gerade für Fava, 57,  ist der Bericht ein wichtiges Anliegen: Am 5. Januar 1984 wurde sein Vater, der Journalist und Dramatiker Giuseppe Fava, von der Cosa Nostra in Catania erschossen.

Auch für die Präsidentin der Kommission, Rosy Bindi, ist der Bericht ein wichtiger Schritt in der Geschichte des parlamentarischen Organes. Denn: „Neben jedem Journalisten, der gegen die Mafia kämpft, gibt es viele weitere, die mit ihr kooperieren“, sagte sie heute in Rom. Kultur und eine freie Information seien ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die organisierte Kriminalität.

Junge Journalisten sind die legitimen Erben der ermordeten Kollegen

Die Kommission betonte aber auch, dass es in Italien eine neue Generation von Journalisten gibt, die trotz Bedrohungen, Isolierung und die prekäre Arbeit ihren Job mit Idealismus ausführen. „Diese wenig bekannten Journalisten sind scheu, aber großmütig und entschlossen“, schrieb die Kommission. Diese junge Journalisten, die „nur sehr selten im Rampenlicht stehen, sind das authentischste Erbe der elf Journalisten, die in Italien von der Mafia und von Terroristen umgebracht wurden“.

Leider arbeiten viele von ihnen als freie Journalisten, haben keine Redaktion oder Verlag hinter sich und sind somit oft der Macht der organisierten Kriminalität ausgesetzt. Wichtig wäre, sie nicht allein zu lassen.