Wie Lokaljournalismus auf TikTok funktionieren kann
Wie Lokaljournalismus TikTok nutzen kann: Praxistipps von Pauline Tillmann zeigen, wie Redaktionen junge Zielgruppen erreichen, Inhalte nahbar gestalten und interaktiv berichten.
„Lokale Themen interessieren junge Menschen nicht.“Ein Satz, der in vielen Redaktionen immer noch kursiert. Doch stimmt das wirklich?
Die Journalistin Pauline Tillmann wollte es genau wissen. Im Rahmen des Future of News Fellowships des Media Lab Bayern untersuchte sie, wie TikTok als journalistisches Werkzeug im Lokalen funktionieren kann – und was Jugendliche tatsächlich von journalistischen Inhalten auf der Plattform erwarten. Ihr Fellowship-Report zeigt: TikTok ist längst kein reines Unterhaltungsnetzwerk mehr, sondern eine der wichtigsten Informationsquellen für junge Menschen. Für Lokalredaktionen birgt das enorme Chancen – wenn sie bereit sind, Neues auszuprobieren.
TikTok – mehr als Tanz und Trends
TikTok wird oft mit Musikclips, Memes und Tanzvideos assoziiert. Doch die Plattform ist längst viel mehr als das. Laut aktuellen Studien – und auch den Beobachtungen von Tillmann – nutzen viele Jugendliche TikTok täglich mehrere Stunden, um sich über Weltgeschehen, Gesellschaft oder ihre Umgebung zu informieren.
Die App bietet kurze, schnell konsumierbare Inhalte, die in einem personalisierten Feed erscheinen. Was zählt, ist nicht die Größe des Mediums, sondern Relevanz und Resonanz: Wer es schafft, in 30 Sekunden eine Geschichte zu erzählen, die berührt oder überrascht, wird gesehen.
Für Lokaljournalismus ist das eine große Chance. Denn lokale Themen – vom Kita-Ausbau bis zum Bahnstreik – betreffen Menschen unmittelbar. Sie müssen nur dort erzählt werden, wo das Publikum ist.
„TikTok ist kein Feind journalistischer Qualität“, schreibt Tillmann. „Es ist ein Werkzeug, um komplexe Inhalte niedrigschwellig zugänglich zu machen.“
Wie Lokaljournalismus auf TikTok funktionieren kann
Im Rahmen ihres Fellowships startete Tillmann ein Experiment: Sie baute den Kanal @newslab.konstanz auf, sprach mit Jugendlichen über ihre Erwartungen an journalistische Inhalte und beobachtete, was funktioniert – und was nicht.

Vier Punkte stechen hier besonders hervor:
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Zielgruppe kennen und verstehen
Nicht jeder Inhalt passt auf TikTok. Statt bestehende Artikel zu „recyceln“, sollten Redaktionen Formate entwickeln, die sich an den Interessen junger Menschen orientieren: Welche Themen bewegen sie? Was betrifft ihren Alltag direkt? Nur wer die Zielgruppe versteht, kann relevante Inhalte liefern, die geteilt und angesehen werden. Pauline Tillmann empfiehlt, aktuelle und nahbare Themen mit klarem Stadtbezug zu wählen, leichtere Inhalte mit ernsthaften Themen abzuwechseln und dabei auf Veranstaltungen hinzuweisen, anstatt Nachberichterstattung zu produzieren. Auch einfache Formate wie 20-sekündige Schwenks oder kurze Clips reichen aus, um relevant und ansprechend zu sein.
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Alltagsrelevanz und Nähe
TikTok lebt von kurzen, unmittelbaren Geschichten, die direkt ansprechen. Anstelle trockener Meldungen wie „Die Stadtverwaltung beschließt…” funktionieren Einleitungen wie: „Was sich für euch ändert, wenn…“ besser. Geschichten sollten greifbar, relevant und möglichst nah am Alltag der Nutzer*innen sein – das schafft Vertrauen und Aufmerksamkeit.
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Mut zur Persönlichkeit
Menschen folgen Menschen, nicht Logos. Wer als Journalist*in selbst vor der Kamera steht, baut Vertrauen auf und macht Inhalte nahbar. Lokale Reporter*innen können so zu Mikro-Influencer*innen werden, ohne journalistische Standards aufzugeben. Authentizität schlägt Perfektion: Spontane, ehrliche Videos wirken oft überzeugender als aufwendig produzierte Beiträge.
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Interaktion aktiv einbinden
TikTok ist keine Einbahnstraße: Kommentare sind Teil des Formats. Journalismus auf der Plattform wird erst dann richtig wirksam, wenn er dialogfähig ist – also nicht nur Inhalte liefert, sondern auch den Austausch mit der Community ermöglicht. Tipp: Auf Kommentare antworten, Nutzer*innen einbeziehen und Trends für eigene Inhalte adaptieren. So entsteht Nähe, Vertrauen und echtes Engagement.
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Reichweite nutzen, finanzielle Mittel sichern
Direkt monetarisieren lassen sich Inhalte auf TikTok kaum. Dennoch kann die Plattform indirekt zur Finanzierung eines Mediums beitragen: Reichweite und Sichtbarkeit dienen als Kennzahlen, um Partner*innen, Förderungen oder lokale Sponsoren zu gewinnen. Medien, die auf TikTok aktiv sind, können damit zeigen, dass sie junge Zielgruppen erreichen – ein wertvoller Hebel für Budgetgespräche und Förderanträge.
Tillmanns Empfehlung: Experimentieren, lernen, anpassen. TikTok verlangt keine Perfektion, sondern Neugier. Wer sich auf die Plattform einlässt, kann Reichweite, Relevanz und langfristig auch finanzielle Unterstützung gewinnen.
Chancen un Grenzen
Natürlich ist TikTok kein Allheilmittel. Die Plattform folgt eigenen Regeln: Der Algorithmus bestimmt, was sichtbar wird und belohnt Emotionalität und Tempo. Das kann journalistische Arbeit beeinflussen – etwa, wenn komplexe Themen zu stark vereinfacht werden müssen.
Hinzu kommt die Ressourcenfrage: Viele Lokalredaktionen scheuen sich vor TikTok, weil sie unter anderem den Aufwand fürchten. Ein erfolgreicher Kanal erfordert Planung, Kreativität und Kontinuität – das stimmt. Doch Pauline Tillmann berichtet überraschend: der tatsächliche Aufwand war deutlich geringer, als sie zunächst erwartet hatte. Viele ihrer Inhalte ließen sich mit überschaubarem Zeitaufwand erstellen, besonders wenn man bereits Material für andere Kanäle produziert.
Ein praxisnaher Tipp: Wer zum Beispiel Instagram-Reels erstellt, kann Inhalte oft problemlos cross-channel nutzen – also auch auf TikTok hochladen, ohne alles neu zu produzieren. So lassen sich Formate ausprobieren und feststellen, was funktioniert und was nicht, ohne die Redaktion zu überlasten.
Ausblick – die Zukunft ist vertikal
Die Frage ist längst nicht mehr, ob, sondern wie Lokaljournalismus TikTok nutzt. Wer heute Formate entwickelt, die dort funktionieren, schafft Zugang zu einer Generation, die klassische Medien kaum noch kennt. Tillmanns Fazit fällt klar aus:
„TikTok ist ein Fenster zur jungen Zielgruppe – wer hindurchblickt, erkennt eine neue Art des Storytelling.“Für Lokalredaktionen kann das bedeutuen:
- neue Erzählformen ausprobieren,
- jüngere Reporter*innen einbeziehen
- und TikTok als Labor begreifen, nicht als Nebenprojekt.
Fazit – jetzt ist die Zeit zum Experimentieren
TikTok ist keine Bedrohung, sondern eine Einladung. Eine Einladung, lokaljournalistische Geschichten so zu erzählen, dass sie auch die Generation erreichen, die Zeitung und Fernsehen längst hinter sich gelassen hat. Oder wie Pauline Tillmann es formuliert:
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