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Hunderte erzählen von negativen Erfahrungen bei Schwangerschaftsabbrüchen: Erniedrigungen, fehlenden Informationen und verweigertem Schmerzmittel.
Jein. Eine Abtreibung ist in Deutschland eine Straftat, aber es wird in der Regel niemand dafür bestraft. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Abtreibung allerdings nicht rechtswidrig: Wenn die Schwangerschaft auf einem gewaltvollen Übergriff beruht. Das ist die sogenannte kriminologische Indikation. Oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Dies können gesundheitliche, also psychische und körperliche Gründe sein, die auf den Lebensumständen der Betroffenen beruhen. Das ist die medizinische Indikation.
Auch wenn diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können ungewollt Schwangeren straflos abtreiben, obwohl der Eingriff rechtswidrig ist. Sie müssen dafür bestimmte Bedingungen einhalten: Betroffene müssen sich vor dem Abbruch von einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. Sie müssen nach der Pflichtberatung mindestens drei Tage warten, bis der Abbruch durchgeführt wird. Der Abbruch muss innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis stattfinden. Wenn Schwangerschaftsabbrüche unter diesen Voraussetzungen stattfinden, spricht man von der Beratungsindikation.
Im Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs steht, dass eine Abtreibung in Deutschland eine Straftat ist. Im zugehörigen Paragrafen 218a ist definiert, wann ein Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig bzw. straffrei ist. Das ist der Fall, wenn eine medizinische, eine kriminologische oder eine Beratungsindikation vorliegt.
Derzeit wird diskutiert, ob der Paragraf 218 abgeschafft werden sollte. Die Ampel-Koalition hat in diesem Zusammenhang eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die sich seit Ende März 2023 berät. Die Expertinnen und Experten, unter anderem aus der Rechtswissenschaft, Medizin und Ethik, prüfen, ob Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden könnten. Nach einem Jahr soll die Kommission einen Abschlussbericht vorlegen.
Bis zum 19. Juli 2022 war es in Deutschland verboten, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Das regelte Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs. Dabei ist der Begriff „Werbung“ irreführend: Bereits die sachliche Information über Kosten und Methoden fielen darunter. Ein solcher Verstoß gegen das Gesetz konnte mit bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet werden.
Ärzten und Ärztinnen war es ausschließlich erlaubt, darüber zu informieren, ob und bei welchen Indikationen (kriminologisch, medizinisch und Beratungsindikation) sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Die Ampel-Koalition schaffte den Paragrafen 219a im Sommer 2022 ab. Seitdem dürfen Ärztinnen und Ärzte beispielsweise darüber informieren, wie sie Schwangerschaften abbrechen.
Wenn eine ungewollte Schwangerschaft festgestellt wird, sollten sich Betroffene zunächst über die aktuelle Schwangerschaftswoche informieren. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in der Regel nur bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis erlaubt.
Wenn kein medizinischer oder kriminologischer Grund für den Abbruch besteht, muss sich die schwangere Person, bei einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. Was in diesem Gespräch besprochen werden soll, ist gesetzlich im Schwangerschaftskonfliktgesetz festgeschrieben. Über das Gespräch und seine Inhalte besteht Schweigepflicht. Nach dem Gespräch wird der Beratungsschein ausgehändigt, nur mit diesem Schein kann man straffrei eine Schwangerschaft nach der Beratungsindikation abbrechen.
Zwischen der Beratung und dem Abbruch müssen mindestens drei Tage vergehen. Je nach Schwangerschaftswoche, Praxis und Wunsch der Patientin kann die Schwangerschaft mit einem operativen Eingriff oder medikamentös beendet werden.
Nach zwei Wochen wird nochmal eine Kontrolle bei einem Gynäkologen oder einer Gynäkologin empfohlen.
Welche Erfahrungen ungewollt Schwangere bei diesen einzelnen Schritten machten, erzählten uns 1.500 Betroffene in einer Umfrage. Sie erlebten teilweise Demütigungen und eine schlechte medizinische Versorgung.
Im Jahr 2020 wurden rund 100.000 Abbrüche in Deutschland durchgeführt. Davon fanden 96 Prozent nach der Beratungsindikation, also nach einer Pflichtberatung, statt. Das heißt: Jeden Tag brechen durchschnittlich rund 270 Menschen in Deutschland eine Schwangerschaft ab.
Und trotzdem bleibt der Eingriff ein Tabu in der Gesellschaft. Betroffene müssen in der Regel alleine aufarbeiten, was sie erlebt haben. Über den Weg, den sie bei einem Schwangerschaftsabbruch gehen müssen, wird kaum öffentlich gesprochen. In einer Umfrage haben uns über 1.500 Betroffene von ihren Erfahrungen erzählt.
Grundsätzlich ist ein Schwangerschaftsabbruch bei guter medizinischer Versorgung, umfassender Aufklärung und geschultem Personal ein sicherer Eingriff. Bei 1.000 Eingriffen treten nur in rund vier Fällen Komplikationen auf. Komplikationen können Verletzungen der Gebärmutter, Einrisse des Muttermundes, Narkosezwischenfälle oder ein hoher Blutverlust sein.
Allerdings sollten Betroffene bei Fieber, starken Blutungen oder anhaltenden Schmerzen noch mal zum behandelnden Arzt oder Ärztin.
Es gibt zwei Möglichkeiten, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden: ausschließlich mit Medikamenten oder durch eine Operation. Am häufigsten ist in Deutschland der operative Eingriff.
Der medikamentöse Abbruch ist in Deutschland bis zur neunten Schwangerschaftswoche erlaubt.
Zudem bieten nicht alle Praxen und Kliniken sowohl den operativen als auch den medikamentösen Abbruch an. Deshalb haben Betroffene nicht immer die freie Wahl.
Ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nur bis zur neunten Woche möglich. Dabei werden zwei unterschiedliche Medikamente eingenommen.
Das erste Medikament verhindert eine Weiterbildung der Schwangerschaft, und zusätzlich löst sich dadurch das Schwangerschaftsgewebe von der Gebärmutter. Anschließend kann es bereits zu Blutungen kommen.
Ein paar Tage später wird ein weiteres Medikament eingenommen, welches dazu führt, dass die Gebärmutterschleimhaut und der Embryo abgestoßen werden. Es können Übelkeit, schmerzhafte Krämpfe und Kreislaufprobleme auftreten.
Nach zwei Wochen untersucht der behandelnde Arzt oder Ärztin, ob das komplette Gewebe ausgestoßen wurde. Dies ist bei rund 95 Prozent der Fall. Bei den anderen fünf Prozent muss erneut eine medikamentöse Behandlung oder ein operativer Schwangerschaftsabbruch folgen.
Grundsätzlich ist ein Schwangerschaftsabbruch bei guter medizinischer Versorgung, umfassender Aufklärung und geschultem Personal ein sicherer Eingriff.
Es gibt zwei unterschiedliche Methoden, eine Schwangerschaft operativ zu beenden. Zum einen die Vakuumaspiration, auch Absaugung genannt, dabei saugt das medizinische Personal, mit einem schmalen Röhrchen das Schwangerschaftsgewebe ab. Dieser Eingriff dauert etwa 15 Minuten und findet meistens unter Vollnarkose statt.
Seltener wird die Schwangerschaft durch eine Ausschabung operativ beendet. Diese Methode wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr empfohlen.
Manchmal wird diese Methode auch angewandt, wenn der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch oder die Absaugung nicht funktionierten und restliches Gewebe in der Gebärmutter übrig bleibt.
Die Blutungen nach einer Abtreibung können sehr unterschiedlich sein, sowohl leichte Schmierblutungen als auch starke Menstruationsblutungen können auftreten. Die Blutungen können zwei bis drei Wochen anhalten.
Grundsätzlich ist ein Schwangerschaftsabbruch bei guter medizinischer Versorgung, umfassender Aufklärung und geschultem Personal ein sicherer Eingriff.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die Ausschabung für einen Schwangerschaftsabbruch nicht mehr, da diese mit einer höheren Komplikationsrate als der medikamentöse Abbruch oder die Absaugung einhergeht.
Trotz dessen werden noch über 10 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland damit durchgeführt.
Ein ambulanter Schwangerschaftsabbruch kostet zwischen 200 und 600 Euro. Ein medikamentöser Abbruch ist günstiger als der operative Eingriff, weil unter anderem keine Narkose gebraucht wird. Hier belaufen sich die Kosten in der Regel auf 200 bis 300 Euro.
Bei einer Operation (Ausschabung oder Absaugung) liegen die Kosten zwischen 400 und 600 Euro.
Bei einer Abtreibung nach der Beratungsindikation müssen die Schwangeren den Abbruch bezahlen, außer ihr monatliches Einkommen liegt unter 1.258 Euro.
Bei einem medizinischen oder kriminologischen Abbruch übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten.
Um ohne medizinische oder kriminologische Indikation straffrei eine Schwangerschaft abzubrechen, ist ein Beratungsgespräch Pflicht.
Was in diesem Gespräch besprochen wird, ist im Schwangerschaftskonfliktgesetz festgelegt. Darin steht unter anderem, dass das Gespräch ergebnisoffen sein soll. Und auch, dass die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen soll. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betont außerdem, dass das Gespräch nicht belehrend oder bevormundet sein soll.
Von den Betroffenen wird im Gespräch erwartet, dass sie ihre Gründe für den Schwangerschaftsabbruch darstellen und erläutern können. Auf Wunsch der ungewollt Schwangeren kann auch über Verhütung gesprochen werden. Die Beraterinnen und Berater unterliegen in diesem Gespräch der Schweigepflicht.
Redaktion:
Antonia Groß, Andrè Ricci, Avi Bolotinsky, Emilia Garbsch, Hatice Kahraman, Max Donheiser, Miriam Lenz, Pia Siber, Sophia Stahl
Leitung CORRECTIV.Lokal:
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Kommunikation:
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Design:
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Illustration:
Mohamed Anwar
Mitarbeit:
Gesa Steeger, Katarina Huth, Till Eckert
Chefredaktion:
Justus von Daniels, Olaya Argüeso Pérez
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