Faktencheck

Butscha: Nein, ein Video der ukrainischen Polizei beweist nicht, dass es „kein Massaker der russischen Armee“ gab

Auf einer Webseite wird behauptet, in einem Video der ukrainischen Polizei vom 2. April aus Butscha seien keine Leichen zu sehen. Das wird als Beweis interpretiert, dass russische Truppen nicht für die Tötung der dort gefundenen Menschen verantwortlich sein könnten. Frühere Aufnahmen aus Butscha sprechen gegen diese Behauptung.

von Sophie Timmermann

Russia Ukraine War Day In Photos
Eine Aufnahme zeigt die Zerstörung in Butscha am 6. April 2022 (Quelle: Picture Alliance / Associated Press / Felipe Dana)
Behauptung
Ein Video der ukrainischen Polizei vom 2. April bestätige, dass es kein Massaker der russischen Armee in Butscha gegeben habe, da darin keine Leichen zu sehen seien. Das Massaker müsse also nach dem 2. April geschehen sein, als ukrainische Kräfte die Stadt bereits wieder übernommen hatten.
Bewertung
Falsch. In dem Video sind zwei Leichen zu sehen. Satellitenbilder zeigen, dass bereits Mitte März, also vor dem Abzug russischer Truppen, tote Menschen in den Straßen Butschas lagen.

Triggerwarnung: In diesem Beitrag wird Bildmaterial verlinkt, das die Folgen von Gewalt zeigt.

Am 4. April titelte die Webseite Anti-Spiegel: „Ein Video der ukrainischen Polizei bestätigt, dass es in Butscha kein Massaker der russischen Armee gegeben hat.“ Der Artikel bezieht sich auf ein knapp achtminütiges Video, das ukrainische Soldaten im Kiewer Vorort Butscha zeigt. Das am 2. April veröffentlichte Video wird auch auf Facebook und Telegram verbreitet. 

Es wird behauptet, in dem Video seien keine Toten auf den Straßen zu sehen. Daraus wird geschlussfolgert, die Menschen, deren Leichen laut zahlreichen Berichten in Butscha gefunden wurden, müssten später getötet worden sein – nach Abzug der russischen Truppen. Das Video belegt jedoch diese Behauptungen nicht.

Auf Facebook verbreitet sich das Video als angeblicher Beweis, dass es vor dem Abzug russischer Truppen keine Leichen in Butscha gegeben habe (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Video zeigt ukrainische Spezialeinheit in Butscha 

Die russischen Truppen zogen sich nach einigen Angaben am 30. März aus Butscha zurück. Seit dem 3. April berichten Medien weltweit über zahlreiche vor Ort entdeckte Leichen, teilweise mit gefesselten Händen. Russland bestreitet, für die Ermordung der Menschen verantwortlich zu sein.

In dem Video, das nun als vermeintlicher Beweis für die Unschuld Russlands verbreitet wird, ist rechts unten das Logo und der Name der Nationalen Polizei der Ukraine zu sehen. Die Polizei veröffentlichte die Aufnahmen am 2. April ebenfalls über ihren eigenen Youtube-Kanal und ihre Webseite. Demnach handelt es sich bei den Bewaffneten im Video um Soldaten einer Spezialeinheit namens SAFARI. Dieser Name findet sich auch auf den Militärfahrzeugen und den Uniformen, die im Video zu sehen sind. 

Im Video sind zwei Tote zu sehen

Nach Aussage der Polizei begann die Spezialeinheit damit, die Stadt von „Saboteuren und Komplizen russischer Truppen“ zu „räumen“. Zudem würden nicht detonierte Minen und Sprengstoff sichergestellt. Dass beim Verlassen der Stadt russische Besatzungstruppen zivile Gebäude, Infrastruktur und Gebiete vermint hätten, sagten am Tag zuvor schon Stadtratsmitglieder laut ukrainischen Medienberichten. 

In dem Video sind zwei Tote zu sehen. 

Die Faktencheck-Redaktion der AFP hat die Orte in dem Video auf einer Karte dargestellt. Gut zu erkennen ist zum Beispiel der Supermarkt Novus in der Kyjevo-Myrots’ka Straße in Butscha. 

Dass „nur“ zwei Leichen in dem Video zu sehen sind, ist zudem kein Beleg dafür, dass es keine weiteren Toten gab. Aufnahmen von zwei Dutzend Leichen, die wir in einem anderen Faktencheck anhand von Aufnahmen aus Butscha lokalisierten, stammten beispielsweise aus der Yablunska-Straße, einige Kilometer entfernt.

Andere Aufnahmen und Satellitenbilder zeigen, dass bereits längere Zeit Leichen in Butscha lagen

Als weiteren Beleg, dass vor dem 2. April angeblich kein Massaker stattgefunden habe, führt Anti-Spiegel an, dass auch die Menschen in dem Video der ukrainischen Polizei „nichts von dem angeblichen Massaker der russischen Armee“ erzählen würden. Das ist jedoch kein ausreichender Beleg, dass keine Tötungen stattgefunden haben.

Es gibt andere Berichte von Menschen aus Butscha, die gegenüber Medien (hier, hier und hier) von der Gewalt russischer Truppen berichteten. Zeugen sprachen gegenüber der Organisation Human Rights Watch zudem von Mord. 

Am 4. April veröffentlichte die New York Times zudem Satellitenbilder, die Umrisse in der Größe von Menschen in Butscha schon am 11. März in der Yablunska-Straße zeigten. 

Bilder der Leichen aus Butscha von Anfang April, die wir an Rechtsmediziner schickten, ließen laut der Experten außerdem den Schluss zu, dass die Leichen mindestens drei bis sieben Tage gelegen hätten, vielleicht auch länger. Dies alles deutet darauf hin, dass die Toten schon vor dem Abzug der russischen Truppen am 30. März dort lagen. 

Weiße Armbinden sind kein Beleg für Solidarisierung mit Russland

In dem Facebook-Beitrag und vom Anti-Spiegel wird außerdem behauptet, viele der in Berichten gezeigten Opfer würden weiße Armbinden tragen; dies sei ein Erkennungsmerkmal russischer Soldaten, das die Menschen genutzt hätten, um sich mit Russland zu solidarisieren. Das soll die Behauptung stützen, dass nicht russische, sondern ukrainische Truppen die Menschen getötet hätten. Dafür gibt es jedoch keine Belege. Die beiden Leichen im Video tragen keine weißen Armbinden.

Laut Medienberichten tragen russische Streitkräfte oft weiße oder rote, ukrainische Truppen dagegen blaue oder gelbe Armbinden. In dem Video vom 2. April tragen die ukrainischen Soldaten blaue Armbinden. Auf anderen Fotos aus Butscha sieht man jedoch, dass manche getötete Zivilisten zum Beispiel mit einem weißen Band gefesselt wurden. 

Dafür, dass ukrainische Zivilisten freiwillig weiße Armbinden tragen, könnte es verschiedene Gründe geben. Der russische Diplomat Wassili Nebenzja sagte in einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen am 4. April, dass weiße Armbinden während der Stationierung russischer Truppen in Butscha dazu dienten, ukrainische Zivilisten von militärischen Streitkräften zu unterscheiden. Dass dies eine Sympathiebekundung gegenüber Russland sei, sagte er nicht. 

Eine ähnliche Behauptung über ein am 1. April veröffentlichtes Video des Bürgermeisters von Butscha, in dem er zunächst nicht von Leichen sprach, verbreitete sich fast gleichzeitig. Wie wir in einem Faktencheck berichteten, war das Video ebenfalls kein Beleg dafür, dass es in Butscha zuvor keine Toten gab. Gleiches gilt für das Video der ukrainischen Polizei vom 2. April. Aufnahmen von Leichen in Butscha von Mitte März zeigen, dass es bereits vor dem russischen Abzug Tote gegeben hat. 

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Am 2. April veröffentlichtes Video der ukrainischen Polizei: Link
  • Zeugenaussagen zu Butscha, Human Rights Watch: Link
  • Analyse der Satellitenbilder von Butscha, The New York Times: Link

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