Faktencheck

Nein, in diesem Video aus Butscha sind keine Bewegungen von Leichen zu sehen

In Sozialen Netzwerken kursiert die Behauptung, auf Aufnahmen aus der ukrainischen Stadt Butscha seien Bewegungen zweier auf der Straße liegender Körper zu sehen. Das ist falsch – die vermeintlichen Bewegungen sind gar keine, in dem Video sind Leichen zu sehen.

von Viktor Marinov

Verwüstung in der ukrainischen Stadt Butscha am 3. April 2022
Verwüstung in der ukrainischen Stadt Butscha am 3. April 2022 (Quelle: Picture Alliance / Associated Press / Rodrigo Abd)
Behauptung
Auf einem Video aus der ukrainischen Stadt Butscha sehe man, dass eine auf der Straße liegende Leiche ihren Arm bewege und eine andere aufstehe.
Bewertung
Falsch. Verlangsamt man das Video, ist zu erkennen, dass sich die Leichen nicht bewegen. In einem der Fälle handelt es sich bei dem vermeintlichen Arm um einen Wassertropfen oder Schmutz an der Windschutzscheibe. Das angebliche Aufstehen der anderen Leiche, die im Seitenspiegel zu sehen ist, liegt an einer Verzerrung des Spiegels.

Triggerwarnung: In diesem Beitrag wird Bild- und Videomaterial verlinkt, das die Folgen von Gewalt zeigt. 

Nach dem Abzug der russischen Truppen aus der ukrainischen Stadt Butscha gehen Bilder von der Verwüstung des Ortes um die Welt. Seit dem 3. April berichten Medien weltweit über getötete Zivilisten in dem Ort, der nur wenige Kilometer entfernt von Kiew liegt. In Sozialen Netzwerken werden Beiträge verbreitet, die die Echtheit dieser Bilder anzweifeln. Hier und hier, auf Twitter oder auf Telegram kursiert etwa die Behauptung, in einem Video sei zu sehen, wie sich die Leichen auf den Straßen bewegen. Eine der Leichen soll angeblich ihren Arm heben. Eine weitere, die im Seitenspiegel eines Fahrzeugs zu erkennen ist, soll sogar aufstehen oder sich hinsetzen. Die Beiträge suggerieren, die Opfer in Butscha seien Teil einer Inszenierung. Auch das russische Verteidigungsministerium verbreitete die Behauptung. 

Wir haben das Video geprüft und kommen zu dem Ergebnis, dass darin keine Bewegung der Leichen zu erkennen ist.

Im Originalvideo ist die angebliche Hand als Fleck oder Wassertropfen auf der Windschutzscheibe zu erkennen

Im Video sind Name und Logo des ukrainischen Fernsehsenders Espreso TV  zu sehen. Die Aufnahmen sind auch auf dem Youtube-Kanal des Senders zu finden, wo sie am 2. April 2022 hochgeladen wurden. Laut Videobeschreibung zeigt das Video die Verbrechen der russischen Besatzer. Darin ist aus der Perspektive eines Beifahrers eine Straße zu sehen, auf der mehrere tote Menschen liegen. Espreso TV gibt als Quelle den Rechtsanwalt Ilya Novikov an. Auf seinem Twitter-Profil finden wir das Video in besserer Qualität. Wir haben es uns genauer angeschaut.

Dieser helle Punkt soll angeblich die Hand einer Leiche sein
Dieser helle Punkt soll angeblich die Hand einer Leiche sein (Quelle: Twitter; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Die erste vermeintliche Bewegung ist am Anfang des Videos zu sehen (bei Minute 0:09). Ein Körper liegt am rechten Straßenrand. Als das Auto sich ihm nähert, zieht sich ein heller Punkt entlang des Körpers von unten nach oben. Verlangsamt man die Aufnahme, ist zu sehen: Der Punkt ist auf der Windschutzscheibe des Wagens. Es ist folglich keine Hand, sondern es könnte sich dabei um einen Regentropfen oder Schmutz auf der Fahrzeugscheibe handeln. In einigen Ausschnitten zeichnet sich der Punkt auch am Straßenrand ab, weit weg vom Körper. In der höher auflösenden Version des Videos von Novikov ist etwa auch zu sehen, dass der helle Punkt sich nicht nur über die dunkle Jacke bewegt, sondern auch darüber hinaus.

Kehrt man durch  einen Filter die Farben des Videos um, ist noch deutlicher zu erkennen, dass es sich bei dem Punkt nicht um eine Hand handelt, wie das Rechercheteam von Aurora Intel Network auf Twitter gezeigt hat. Auch in weiteren Teilen des Videos sind solche Punkte zu sehen, etwa auf dem vorausfahrenden Fahrzeug.  

Helle Punkte sind auch in anderen Teilen des Videos zu sehen, etwa am vorausfahrenden Wagen
Helle Punkte sind auch in anderen Teilen des Videos zu sehen, etwa am vorausfahrenden Wagen (Quelle: Twitter; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Zweite vermeintliche Bewegung liegt am Verzerrungseffekt des Seitenspiegels

Die zweite Leiche, die angeblich aufsteht, ist im Video (ab Minute 0:45) zu sehen. Im Seitenspiegel ist der schwarze Umriss eines Körpers zu erkennen. Doch es handelt sich um eine Verzerrung des Spiegels. Das ist daran zu sehen, dass auch die Gebäude neben der Leiche verzerrt werden, wie ein BBC-Journalist auf Twitter zeigt. Dieser verzerrende Effekt tritt bei manchen Außenspiegeln auf.

Die BBC hat in einer Recherche zudem gezeigt, dass beide Leichen in der gleichen Stellung auch auf Fotos von der Straße vom 3. April zu sehen sind. 

Wir haben die Videoaufnahmen zudem mit Fotos von Google Maps aus Butscha verglichen, um zu überprüfen, ob sie wirklich dort entstanden sind. Markante Merkmale aus der Umgebung stimmen überein, auch wenn die Fotos bei Google Maps von 2015 stammen und sich das Straßenbild seitdem verändert hat. Zu sehen ist die Yablunska-Straße in Butscha.

Dass es sich bei den Aufnahmen um eine Straße in Butscha handelt, lässt sich mit einem Vergleich von Aufnahmen bei Google Maps bestätigen
Dass es sich bei den Aufnahmen um eine Straße in Butscha handelt, lässt sich mit einem Vergleich von Aufnahmen bei Google Maps bestätigen (Quelle: Twitter / Google Earth Pro; Collage und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch andere Faktencheck-Redaktionen haben das Video überprüft und kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass darin keine Bewegungen der Leichen zu sehen sind. Die New York Times hat in einer Recherche zudem anhand von Satellitenbildern belegt, dass mehrere Leichen bereits seit einigen Wochen auf der Straße lagen.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Russland-Ukraine-Krieg finden Sie hier.

Redigatur: Uschi Jonas, Steffen Kutzner