Landtagswahl in NRW: Nein, es sind nicht alle Zweitstimmen für die Grünen ungültig
In Sozialen Netzwerken wird behauptet, alle Landeslisten der Grünen würden auf verfassungswidrige Weise entstehen. Deshalb seien alle Zweitstimmen der Partei bei der Landtagswahl am 15. Mai in Nordrhein-Westfalen ungültig. Diese Behauptung ist falsch.
In einem Artikel des Blogs Ansage.org, der auf Twitter und Telegram (hier und hier) verbreitet wird, wird behauptet, alle Landeslisten der Grünen entstünden auf verfassungswidrige Weise. Deshalb seien alle Zweitstimmen für die Grünen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022 ungültig. Das stimmt nicht.
Als Grundlage für die Behauptung werden Argumente aus einem Schreiben der Partei „neo. Wohlstand für Alle“ angeführt, das der Blog Ansage.org vollständig wiedergibt. Die Partei wurde in Nordrhein-Westfalen im Dezember 2020 gegründet und bezeichnet sich selbst als „Partei zur Entmachtung der Parteien und zur Abschaffung von Berufspolitikern“.
In dem Schreiben legte die Partei wegen der Frauenquote Einspruch gegen die Zulassung der Landesliste der Grünen zur Landtagswahl in NRW ein. Es wurde laut Ansage.org am 2. Mai per Einschreiben an den Landeswahlleiter verschickt. Dass ein solches Schreiben bei der Landeswahlleitung vorliegt, bestätigte der zuständige Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck.
In dem Schreiben heißt es, die Landesliste der Grünen in NRW sei ein Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, welcher die Gleichberechtigung von Frauen und Männern festlegt. Denn die Grünen setzen laut ihrer Parteisatzung eine Mindestquotierung bei Aufstellung der Landeslisten ein, wonach ungeradzahlige Listenplätze an Frauen vergeben werden und geradzahlige Plätze „offen“ stehen. Die offenen Plätze können von allen unabhängig ihres Geschlechts besetzt werden.
Bundesverfassungsgericht betonte 2020: Parteien dürfen Wahlvorschläge frei gestalten
Gegen den Vorwurf, die Aufstellung der Grünen-Landeslisten sei verfassungswidrig, spricht ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 2020. Damals hatten mehrere Personen Einspruch gegen das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 eingelegt, weil sie Frauen bei der Aufstellung der Parteilisten der Direktkandidaten benachteiligt sahen. Das Bundesverfassungsgericht erläuterte in seinem Beschluss, dass Parteien ihre inhaltliche Zielsetzung im Rahmen der Parteienfreiheit, gemäß Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes, frei bestimmen können. Sie dürfen ihre inneren Strukturen und somit auch die Erstellung der Wahlvorschläge an ihrer programmatische Identität ausrichten.
Laut Satzung des Grünen Bundesverbandes als auch der Satzung des NRW-Landesverbandes der Grünen verfolgt die Mindestquotierung bei Aufstellung der Wahllisten das Ziel der Partei, eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik zu erreichen.
Liste der Grünen bleibt zur Landtagswahl zugelassen
Die Zulassung der Landesliste der Grünen zur Wahl durch den Landeswahlausschuss gab das Innenministerium Nordrhein-Westfalens am 29. März bekannt.
Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck teilte der Sprecher des Innenministeriums NRW am 13. Mai mit, das Landeswahlgesetz sehe nicht vor, dass vor der Wahl rechtlich gegen diese Entscheidung des Landeswahlausschusses vorgegangen werden kann. Daher hat die Beschwerde der Partei „neo. Wohlstand für alle“ keine Auswirkungen: Die Landesliste der Grünen bleibe zugelassen. Es sei allerdings möglich, dass nach der Wahl ein Wahlprüfungsverfahren eingeleitet werden könne, wenn ein begründeter Antrag dazu innerhalb eines Monats eingehe.
Ein Sprecher der Grünen in NRW erklärte auf unsere Presseanfrage per E-Mail, die Partei habe während der Aufstellung und Einreichung der Landesliste in engem Austausch mit der Landeswahlleitung gestanden, um alle Formalitäten gesetzeskonform umzusetzen.
Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas