Foto belegt nicht, dass Selenskyj seine Reden grundsätzlich vor einem Greenscreen aufnimmt
Ein Foto soll belegen, dass Selenskyjs Reden vor Greenscreens produziert werden. Das stimmt nicht. Es handelt sich bei der verbreiteten Greenscreen-Aufnahme um einen Einzelfall. Der ukrainische Präsident hält oft Ansprachen vor Ort in der Ukraine, was umfassend dokumentiert ist.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj steht vor einem Greenscreen. Das zeigt ein Foto, das aktuell in den Sozialen Netzwerken kursiert. Dazu heißt es auf Telegram (hier und hier): „So werden die Reden von Zelensky in der Ukraine produziert. Jede Menge Greenscreens und Hightech-Schnitt.“. Die Beiträge suggerieren, Senelskyj spreche zu seinem Volk stets aus einem Studio und sei dabei nicht vor Ort im Kriegsgeschehen.
Unsere Recherche zeigt: Das aktuell kursierende Foto ist echt, doch es handelt sich um einen Einzelfall. Dieser spiegelt nicht die Aufnahmesituationen aller Ansprachen von Präsident Selenskyj wieder. Mehrfach sprach Selenskyj vor Ort über die Kriegsereignisse in der Ukraine und besuchte Städte wie Butscha oder Isjum. Das beweisen zahlreiche Fotos und Videos.
Foto stammt von Aufnahmen in Kiew für ein Hologramm
In den Telegram-Beiträgen wird ein Youtube-Video von der London Tech Week verlinkt, in dem ab Minute 5:28 Selenskyj als Hologramm zum Publikum spricht. Eine Rückwärtssuche mit dem verbreiteten Foto bei Google führt zu einem Artikel der britischen Tageszeitung The Times vom 17. Juni 2022, die ebenfalls darüber berichtet. Demnach zeigt das Foto, wie Selenskyj bei einer Ansprache gefilmt wurde. Das Hologramm sei im Rahmen von Tech-Konferenz in mehreren Städten Europas abgespielt worden; als Fotoquelle ist „Evercoast“ angegeben.
Evercoast ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das unter anderem volumetrische 3D-Aufnahmen, sogenannte Hologramme, produziert. Auf der Webseite des Unternehmens ist die 3D-Aufnahme von Selenskyj auch über einen QR-Code abrufbar.
Eine Pressemitteilung von Evercoast, die bei Business Wire veröffentlicht wurde, stimmt mit den Angaben von The Times überein: Selenskyj sprach in Form eines Hologramms im Juni 2022 bei Tech-Festivals in Stockholm, London, Amsterdam, Paris, Dublin und Berlin.
Das Foto, das in den Sozialen Netzwerken kursiert, sei für die Hologramm-Projektion am 14. Juni in Kiew aufgenommen worden, bestätigte einer der Projektbeteiligten gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press.
Es gibt zahlreiche Belege, wie Selenskyj vor Ort über die Kriegsereignisse in der Ukraine spricht
Evercoast teilte mit, man habe die volumetrische Erfassungshardware der ukrainischen Regierung gespendet, um weitere ähnliche Aufnahmen zu ermöglichen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Reden Selenskyjs entfernt vom Kriegsgeschehen stattfinden. Die Behauptung, dass Selenskyjs Reden grundsätzlich vor einem Greenscreen entstehen würden, sind haltlos. Das belegen zahlreiche Aufnahmen von Selenskyjs Interviews bei Besuchen in ukrainischen Städten – zum Beispiel in Butscha am 4. April oder in Isjum am 14. September.
Seit Kriegsbeginn besuchten zudem mehrere Politikerinnen und Politiker den ukrainischen Präsidenten in Kiew, wie zum Beispiel Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsidenten Mario Draghi Mitte Juni oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September.
Dass Selenskyj nicht vor Ort in der Ukraine sei, sondern vor einem Greenscreen spreche, wurde bereits zu Beginn von Russlands Angriffskrieg behauptet. Darüber berichtete die Deutsche Presse-Agentur im März 2022.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Pressemitteilung von Evercoast, 16. Juni 2022: Link (Englisch)
- Selenskyjs Interview in Butscha, 4. April 2022: Link
- Selenskyjs Interview in Isjum, 14. September 2022: Link (Englisch)
- Ukraine-Besuch von Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Mario Draghi am 16. Juni 2022: Link
- Ukraine-Besuch von Ursula von der Leyen am 15. September 2022: Link