Faktencheck

Nein, Zahnarztbesuche von Geflüchteten kosteten 2022 in Deutschland keine 690 Millionen Euro

Mit dem Screenshot eines Spiegel-Artikels verbreitet sich die Behauptung, die zahnärztliche Behandlung von Geflüchteten habe im vergangenen Jahr 690 Millionen Euro gekostet. Doch die Zahl ist falsch, der Spiegel korrigierte seinen Text wenige Stunden nach der Veröffentlichung.

von Viktor Marinov

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Nach einer Debatte über Zahnarztkosten für Geflüchtete verbreitet sich im Netz eine falsche Zahl (Symbolbild: Ute Grabowsky / Picture Alliance / Photothek)
Behauptung
Laut einem Spiegel-Artikel beziffere der Deutsche Städte- und Gemeindebund die Kosten für Zahnarztbesuche von Asylbewerbern mit 690 Millionen Euro für 2022.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Der Spiegel hat seinen Artikel nach der Veröffentlichung korrigiert. Es handelt sich bei den 690 Millionen Euro um die Kosten für die ärztliche Versorgung von Asylbewerbern im Jahr 2022 – und nicht für Zahnarztbesuche.

Eine irreführende Aussage von CDU-Parteichef Friedrich Merz über Zahnarztbesuche von Geflüchteten zog viel Kritik nach sich. Merz hatte behauptet, abgelehnte Asylbewerber „sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen“. Deutsche Bürger würden dagegen keine Termine bekommen. Der Präsident der Bundeszahnärztekammer widersprach. Zahnärztinnen und Zahnärzte dürfen Geflüchtete nur in medizinischen Notfällen behandeln.

In Sozialen Netzwerken kursiert nun der Screenshot eines Spiegel-Artikels, der angeblich Merz’ Aussage stützen soll. Darin heißt es: „Die Kosten für Zahnarztbesuche von Asylbewerbern beziffert der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) mit 690 Millionen Euro für das vergangene Jahr“. Für eine virale Verbreitung des Screenshots sorgte vor allem CDU-Politikerin Julia Klöckner – einen Beitrag von ihr mit dem Spiegel-Screenshot wurde auf X, ehemals Twitter, mehr als 900.000 Mal angezeigt.

Doch die Zahl ist falsch. Die 690 Millionen Euro umfassen die Kosten für alle Arztbesuche von Geflüchteten und nicht nur für die Zahnarztbesuche. Der Spiegel korrigierte seinen Artikel wenige Stunden nach der Veröffentlichung, andere Medien hatten schon davor korrekt über die Zahl berichtet.

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Ein Beitrag auf X von CDU-Politikerin Julia Klöckner zu den Kosten für Zahnarztbesuche von Geflüchteten verbreitet eine falsche Zahl (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Spiegel hat den Artikel wenige Stunden nach Erscheinen korrigiert – 690 Millionen Euro umfassen alle Arztbesuche

Eine Stichwortsuche auf Google führt zum Spiegel-Artikel, auf den sich die Beiträge beziehen. Zwischen dem Screenshot und der aktuellen Version des Artikels gibt es einen entscheidenden Unterschied. Während auf dem Screenshot noch die Rede von den Kosten für Zahnarztbesuche ist, heißt es in der aktualisierten Version: „Die Kosten für die ärztliche Versorgung insgesamt von Asylbewerbern beziffert der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) mit 690 Millionen Euro für das vergangene Jahr.“ 

Unter dem Artikel findet sich auch ein Korrekturhinweis: „Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, es handele sich bei den 690 Millionen Euro um Zahnarztkosten. Tatsächlich sind die gesamten Arztkosten gemeint. Wir haben die Angabe korrigiert.“

Mithilfe der Wayback Machine, einem Internet-Archiv, lässt sich nachvollziehen, dass die Redaktion diese Korrektur einige Stunden nach der ursprünglichen Veröffentlichung ergänzte. Der Artikel stammt vom 29. September, 9:47 Uhr. In der ersten verfügbaren archivierten Version vom selben Tag um 15:34 Uhr sind die Korrektur und der dazugehörende Hinweis bereits vorhanden. Eine Sprecherin schrieb uns, das Stück sei um 14:50 Uhr nach einem Leserhinweis korrigiert worden.

Mehrere Medien berichteten schon vor dem Spiegel und ordneten die Zahl richtig ein

CDU-Politikerin Klöckner veröffentlichte ihren Beitrag gegen 11 Uhr Vormittags auf X, also vor der Korrektur. Er ist dort jedoch weiterhin abrufbar (Stand: 5. Oktober). In den Kommentaren weisen mehrere Nutzerinnen und Nutzer auf den Fehler hin. Andere Beiträge erschienen erst nach der Korrektur.

Andere Medien hatten bereits vor dem Erscheinen des Spiegel-Artikels korrekt über die Zahl berichtet. Der Tagesspiegel zum Beispiel veröffentlichte einen Artikel dazu um 8:26 Uhr, die Stuttgarter Nachrichten um 8:05 Uhr. Es handelt sich also um einen Fehler des Spiegels, den das Medium zeitnah korrigierte. Zu solchen Richtigstellungen verpflichtet auch der deutsche Pressekodex.

Wie hoch die tatsächlichen Kosten nur für Zahnarztbesuche waren, ist unklar. Eine Sprecherin der DStGB gibt auf Anfrage jene Gesamtzahl an, die auch der Spiegel berichtete. Quelle dafür ist laut der Sprecherin eine Auswertung des Statistischen Bundesamts. Demnach flossen 2022 in „Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt“ für Geflüchtete 689,7 Millionen Euro.

Korrektur, 5. Oktober 2023: Wir haben präzisiert, dass Friedrich Merz seine Aussage über Zahnarztbesuche auf abgelehnte Asylbewerber bezog. Zudem haben wir die Behauptung und Bewertung präzisiert und die Bewertung von „falsch“ zu „fehlender Kontext“ geändert.

Redigatur: Gabriele Scherndl, Max Bernhard

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Gemeindebund fordert schnelle Arbeitserlaubnis für Geflüchtete, Spiegel, 29. September: Link
  • Ausgaben für Asylbewerberleistungen 2022 um 52 Prozent gestiegen, Statistisches Bundesamt: Link