Nein, der globale Wald bindet nicht mehr CO2 als der Mensch produziert
In Sozialen Netzwerken kursiert eine Rechnung zur CO2-Bilanz des globalen Waldes: Er könne mehr CO2 binden, als vom Menschen ausgestoßen werde. Das stimmt nicht, wie mehrere Expertinnen und Experten sagen. Bäume allein können das Problem des Klimawandels nicht lösen.
„Nur zur Info! Ihr werdet verarscht“, heißt es auf X über ein Bild, das Nutzerinnen und Nutzer seit Anfang Januar 2024 auch auf Facebook und Tiktok verbreiten. Zu sehen ist eine Rechnung über die angebliche CO2-Bilanz des weltweiten Waldes. Das Ergebnis: Der Wald könne jährlich mehr CO2 aufnehmen als wir Menschen produzierten. Allein der X-Beitrag hat mehr als 57.000 Aufrufe.
„Ich habe es immer schon gesagt: CO2 ist die größte Klimalüge der Geschichte“, kommentiert ein Nutzer das Bild mit der Rechnung bei Facebook. Doch die Rechnung stimmt laut Expertinnen und Experten nicht. Wir gehen sie Satz für Satz durch.
2022 wurden weltweit mindestens 37,2 Milliarden Tonnen CO2 produziert – doch die Tendenz ist nicht fallend
Zunächst heißt es auf dem Bild, weltweit würden 37,2 Milliarden Tonnen CO2 produziert. Laut den Angaben der Webseite Statista trifft diese Zahl auf das Jahr 2022 zu. Die Angaben beruhen auf dem Global Carbon Project, einem globalen Forschungsprojekt, das seit 2001 jährlich einen Bericht über die CO2-Emissionen herausgibt. Die gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission beziffert den CO2-Ausstoß für 2022 mit 38,5 Milliarden Tonnen etwas höher.
In dem Bericht von Global Carbon Project für 2022 ist klar zu erkennen, dass die Tendenz der CO2-Emissionen – anders als behauptet – nicht fallend ist, sondern seit den 1960er Jahren bis auf einige Ausnahmen, wie etwa die Zeit der Corona-Pandemie, ansteigt. Für das Jahr 2023 gehen die Forscherinnen und Forscher von einem zusätzlichen Anstieg aus.
Es stimmt, dass es etwa vier Milliarden Hektar Wald auf der Welt gibt
Auf dem Bild in Sozialen Netzwerken heißt es weiter, es gebe weltweit vier Milliarden Hektar Wald und ein Hektar könne 13 Tonnen CO2 pro Jahr „binden“. Es stimmt, dass es aktuell noch knapp vier Milliarden Hektar Wald auf der Welt gibt – so steht es etwa auf der Webseite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und in einem Bericht der Vereinten Nationen.
Bäume können CO2 binden, aber sie geben es wieder ab, wenn sie sterben
Wie steht es um die Fähigkeit des Waldes, CO2 zu binden? Der Wert aus der Rechnung – 13 Tonnen CO2 pro Hektar Wald – steht tatsächlich auf manchen Webseiten, allerdings finden sich auch Werte wie sechs oder zehn bis zwölf Tonnen. Die Angaben beziehen sich auf Wälder in Mitteleuropa.
Wir haben Expertinnen und Experten gefragt, wie es zu diesen unterschiedlichen Angaben kommt.
Laut Joseph Nasr, Sprecher beim Umweltbundesamt, fehlen bei der Rechnung wichtige Faktoren: Neben dem natürlichen Sterben des Waldes seien Entwaldung, das Fällen von Wald für die Energienutzung, und Schäden am Wald durch Dürren, Waldbrände oder Käfer nicht in den 13 Tonnen enthalten. All dies wirkte sich negativ darauf aus, wie viel CO2 der Wald am Ende speichere, schreibt Nasr.
Auch Almut Arneth, Ökosystemforscherin am Karlsruher Institut für Technologie, schreibt uns, dass es sich bei den 13 Tonnen nicht um die Netto-CO2-Aufnahme handele: „Neben der Photosynthese, die zur CO2-Aufnahme führt, ist ja auch Atmung relevant, sprich organisches Material (abgestorbene Wurzeln, Blätter, Äste, Stämme), das im Boden abgebaut wird und CO2 wieder freisetzt.“
Wie speichert der Wald CO2?
Wie viel CO2 ein Wald speichern kann, hängt von vielen Faktoren ab
Nasr vom Umweltbundesamt schreibt: Nicht jeder Wald auf der Welt nehme gleich viel CO2 auf. Der boreale Nadelwald, also der Wald auf der Nordhalbkugel in Sibirien und in Kanada, etwa nehme weniger auf als Wälder in unseren Breiten, sofern sie gesund sind. Auch Arneth schreibt, dass die Netto-CO2-Aufnahme in Wäldern stark variiere, je nachdem wo der Wald wächst oder wie alt er ist.
Arneth geht von einer Netto-CO2-Aufnahme von 1,3 bis 1,8 Tonnen pro Hektar Wald pro Jahr aus. Ernst-Detlef Schulze, Forscher am Max-Planck-Institut für Biogeochemie, schreibt uns, dass ein Hektar Wald etwa 1,3 Tonnen CO2 bindet – also ein Zehntel dessen, was auf der Rechnung in Sozialen Netzwerken zu finden ist.
Der Wald bindet nicht mehr CO2 als der Mensch produziert – der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt seit Jahrzehnten
Die Rechnung in Sozialen Netzwerken ist demnach falsch: Statt den angegebenen 52 Milliarden Tonnen CO2 speichert der globale Wald laut Arneth und Schulze zwischen 5,2 und 7,2 Milliarden Tonnen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie in der Fachzeitschrift Nature von 2021, laut der die globalen Wälder netto 7,6 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen.
Das ist bei weitem nicht so viel, wie der Mensch an CO2-Emissionen produziert.
Auch ein Blick auf die Entwicklung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zeigt, dass die Rechnung in Sozialen Netzwerken nicht aufgeht, wie Ökosystem-Forscherin Arneth betont: „Schon allein die Tatsache, dass sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre Jahr um Jahr erhöht, weist darauf hin, dass Wälder (und andere Ökosysteme, auch Meere) eben nicht mehr als die menschlichen Emissionen aufnehmen – sondern weniger.“ Laut der Nasa liegt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre aktuell bei 423 ppm (Teile CO2 pro eine Million Teile), 1960 lag er noch bei 316 ppm.
Wie diese Grafik der Webseite Klimafakten zeigt, nehmen alle Ökosysteme zusammen als natürliche Senken etwa die Hälfte des aktuell vom Menschen produzierten CO2 wieder auf:
Wie uns Joseph Nasr vom Umweltbundesamt schreibt, ist die Leistung der Vegetation, CO2 zu speichern, durch den Klimawandel und seine Folgen bedroht. Denn „Stürme, Dürren und Brände sorgen dafür, dass CO2 wieder an die Atmosphäre abgegeben wird“. In den trockenen Jahren 2003 und 2018 etwa haben laut Arneth einige Wälder in Europa mehr CO2 veratmet als aufgenommen.
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Redigatur: Viktor Marinov, Matthias Bau