Faktencheck

Hochwasser: Warum diese historischen Pegelstände nicht den Klimawandel widerlegen

Mit einem Foto von historischen Pegelständen an einem Haus in Niedersachsen wird online der Einfluss des menschengemachten Klimawandels auf Hochwasser angezweifelt. Dabei wird ein komplexes Thema verkürzt und wichtiger Kontext weggelassen.

von Paulina Thom

Hochwasser
Mit diesem Foto von historischen Pegelständen in Hannoversch Münden in Niedersachsen werden seit Anfang Januar 2024 in Sozialen Netzwerken Zweifel am Klimawandel gestreut (Quelle: Telegram; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Foto mit einem historischen Pegelstand aus dem 14. Jahrhundert in Hannoversch Münden zeige, dass es dort damals ein massives Hochwasser gegeben habe. Es sei eine Lüge, dass es heute wegen des menschengemachten Klimawandels mehr Hochwasser gebe.
Bewertung
Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. Starke Hochwasser gab es auch in der Vergangenheit, wie die Magdalenenflut im Jahr 1342, die auch Hannoversch Münden betraf. Solche Ereignisse sind aber kein Beleg dafür, dass der menschengemachte Klimawandel keinen Einfluss auf Hochwasser hat. Laut Forschenden werden Starkregen und somit Hochwasser durch die globale Erwärmung häufiger und intensiver.

Ein Foto von Pegelständen historischer Hochwasser an einer Hauswand in Hannoversch Münden, Niedersachsen, kursiert seit Anfang Januar 2024 in Sozialen Netzwerken. Das Jahr 1342 sticht auf dem Foto mit dem höchsten Pegelstand hervor. „Unsere Vorfahren im 14. Jahrhundert [sind] offenbar extrem viel mit dem Diesel rumgefahren und haben viel CO2 in die Luft geblasen. Deshalb gab es da auch ein massives Hochwasser“, heißt es in mehreren Beiträgen ironisch. Dass es heute wegen des menschengemachten Klimawandels mehr Hochwasser gebe, sei eine „Lüge“. Allein auf Telegram hat ein solcher Beitrag mehr als 110.000 Aufrufe. 

Tatsächlich gab es im Jahr 1342 heftige Überschwemmungen in Mitteleuropa – die sogenannte Magdalenenflut – mit wahrscheinlich zehntausenden Toten. Doch das ist kein Beleg dafür, dass der CO2-Ausstoß durch den Menschen und der Klimawandel keine Auswirkungen auf Hochwasser haben.

Mehr als hunderttausend Aufrufe hat dieser Beitrag auf Telegram. Dabei stellt die Behauptung ein komplexes Thema verkürzt dar. (Quelle Telegram; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Magdalenenflut im Jahr 1342 war größte Naturkatastrophe in Mitteleuropa seit mindestens 2.000 Jahren

Die Magdalenenflut im Juli 1342 ließ mehrere Flüsse in Deutschland ansteigen, den Main etwa auf knapp acht Meter, in Würzburg sogar auf mehr als zehn Meter. Auch die in den Beiträgen genannte Stadt Hannoversch Münden, die am Zusammenfluss von Werra und Fulda zur Weser liegt, war damals vom Hochwasser betroffen. Einer Veröffentlichung der Universität Göttingen zufolge lagen die Pegelstände etwa zwischen zwei und drei Metern, obwohl die Markierungen an den Häusern – auch die auf dem Foto in Sozialen Netzwerken – nicht als „historisch gesichert“ gelten. So ist etwa das Datum falsch. 

Unabhängig davon ist aber historisch belegt, dass die Magdalenenflut verheerende Folgen in Mitteleuropa hatte, laut Forschenden war sie damals die größte Naturkatastrophe seit mindestens 2.000 Jahren. Auch die Ursachen für die Flut und ihr Ausmaß sind weitgehend rekonstruiert: eine Verkettung von Extremwetterereignissen, ein natürlicher Klimawandel und der Einfluss des Menschen. 

Menschen hatten durch Abholzung und Landwirtschaft Ausmaß der Magdalenenflut begünstigt

Über die Magdalenenflut gibt es mehrere Medienberichte, die das Ereignis historisch einordnen. Zunächst kam es im Winter und Frühling 1342 zu einem mehrfachen Wechsel von sehr viel Schnee und ungewöhnlich warmen Temperaturen, die den Schnee schmelzen und die Flüsse ansteigen ließen. Im Juli setzte Dauerregen ein. Im Rhein-Main-Gebiet fielen in vier Tagen 175 Liter Regen pro Quadratmeter. 

Zudem fällt das Jahr 1342 in einen Zeitraum, in dem sich in Mitteleuropa das Klima änderte: der Übergang von der mittelalterlichen Warmzeit auf der Nordhalbkugel, zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert, in die sogenannte „Kleine Eiszeit“, die etwa bis 1850 andauerte. „Trockene, warme Sommer und milde Winter der Jahrhunderte zuvor wurden abgelöst von kühleren und regenreicheren Sommern und langen, strengen Wintern“, sagte der Klimahistoriker Rüdiger Glaser von der Universität Freiburg der Zeitung Spektrum.

Auch der Mensch war an dem Ausmaß der Magdalenenflut beteiligt, auch wenn er damals natürlich nicht „mit dem Diesel rumgefahren“ ist. „Die landwirtschaftlichen Nutzflächen hatten im hohen Mittelalter eine so große Ausdehnung besessen, die weder davor noch danach auch nur annähernd erreicht wurde“, schreibt Eveline Zbinden, Geographin an der Universität Bern, in einer Publikation über das Magdalenenhochwasser (S. 200). Der Wald sei dafür auf ein Achtel der vorherigen Fläche gerodet worden. Auf abgeholzten und  bewirtschafteten Flächen kann Regen schlechter versickern, was Hochwasser begünstigt

Vergangene Hochwasser sind kein Beleg gegen die Folgen des menschengemachten Klimawandels

Ein solches Extremwetterereignis aus der Vergangenheit ist aber – anders als behauptet – kein Beleg dafür, dass der aktuelle menschengemachte Klimawandel keine Auswirkungen auf Hochwasser habe. Darüber haben wir schon mehrfach berichtet

Hier kommt auch der Unterschied zwischen Wetter und Klima ins Spiel: Eine einzelne Dürre oder ein einzelnes Hochwasser machen noch keinen Klimawandel. Genauso wenig widerlegt ein einzelnes Ereignis aus der Vergangenheit den aktuellen Klimawandel. Es geht bei dem Begriff Klima um die Betrachtung über einen längeren Zeitraum, in der Regel über dreißig Jahre. Laut Michèle Oberhänsli, Hydrologin beim schweizerischen Bundesamt für Umwelt, lässt sich eine solche Häufung von großräumigen Hochwassern in einigen Regionen Europas beobachten. „Betrachtet man die letzten 500 Jahre, so waren die letzten 30 Jahre die hochwasserreichsten von Europa“, sagte sie uns 2021 für einen Faktencheck

Laut einer internationalen Studie der TU Wien aus 2019 hat der Klimawandel das Ausmaß von Hochwassern in Nord- und Mitteleuropa vergrößert, in Süd- und Osteuropa ist es dagegen gesunken. Die Studie wertete hierzu Daten von mehr als 3.700 europäischen Messstationen aus dem Zeitraum von 1960 bis 2010 aus.

Laut Forschung werden Hochwasser in Mittel- und Nordeuropa durch den Klimawandel wahrscheinlicher und intensiver

Manche Wetterextreme der letzten Jahrzehnte in Deutschland, wie die starke Zunahme von Wärmerekord-Jahren und Hitzewellen, lassen sich laut Deutschem Wetterdienst nur als Folge der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung erklären. Bei anderen Extremwettern wie Starkregen gebe es zwar Hinweise für eine Zunahme, die Zuordnung sei aufgrund natürlicher Schwankungen und zu kurzer Erhebungszeiträume bisher aber nicht eindeutig. Der Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Starkregen sei komplex und Gegenstand intensiver Forschung.

Genau damit beschäftigt sich die sogenannte Attributionsforschung. Sebastian Sippel, Juniorprofessor für Klima-Attribution am Leipziger Institut für Meteorologie, sagte gegenüber dem Science Media Center: „Es ist nach wie vor sehr schwierig, Einzelereignisse kausal auf den Klimawandel zurückzuführen.“ Die Attributionsforschung könne jedoch in vielen Fällen aufzeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse und ihre Intensität durch den Klimawandel zunehmen. Das sei auch durch „Trends in Beobachtungsdaten“ und „physikalische Gesetzmäßigkeiten“ belegt, denn eine wärmere Atmosphäre könne mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was zu höheren Niederschlagsmengen, insbesondere bei Starkregen, führe.

Ein Beispiel: Das „World Weather Attribution Team“ kam in einer Studie zur Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal zu dem Schluss, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Intensität von extremen Regenfällen durch den Klimawandel in der Region gestiegen seien.

Was ist Attributionsforschung?

Die Attributionsforschung will herausfinden, inwieweit der menschengemachte Klimawandel für Extremwetter verantwortlich ist. Forscherinnen und Forscher simulieren und vergleichen dafür zwei Welten: eine mit und eine ohne menschlichen Einfluss auf das Klima, also quasi eine Welt vor der Industrialisierung. „Kommen die Wetterextreme in den Simulationen mit menschlichem Einfluss häufiger vor, können wir einen Zusammenhang zwischen dem menschengemachten Klimawandel und Wetterextremen herstellen“, erklärt Jakob Zscheischler, Forscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, dem Science Media Center

Auch Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagte gegenüber dem Science Media Center: „Die Zunahme der Starkregen und Abnahme von Tagen mit schwachem Regen ist inzwischen in den Messdaten gut nachgewiesen, vor allem in den mittleren nördlichen Breiten, zu denen auch Deutschland gehört.“ 

Fest steht: Auch wenn Hochwasser und Überschwemmungen natürlicherweise vorkamen und vorkommen können, hat der Mensch – damals wie heute – einen Einfluss auf ihr Ausmaß. Etwa durch die Bebauung und Bewirtschaftung von Flächen oder durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung, die zu mehr Starkregen und zu trockeneren Böden führt. 

Redigatur: Viktor Marinov, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Hochwasser und ihre Folgen am Beispiel der Magdalenenflut 1342 in Hann. Münden, Universität Göttingen 2010: Link (PDF, archiviert)
  • Das Magdalenen-Hochwasser von 1342 – der „hydrologische Gau“ in Mitteleuropa, Wasser Energie Luft, Fachzeitschrift für Wasserwirtschaft, Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband SWV, 22. September 2011: Link (archiviert) 
  • Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland wissen, Extremwetterkongress, Deutscher Wetterdienst, 2021: Link (PDF, archiviert)
  • Bewirkt der Klimawandel die heftigen Regenfälle?, Science Media Center, 16. Juli 2021: Link (archiviert)