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Datenjournalismus bei CORRECTIV

von David Schraven

Wir bei CORRECTIV wollen Datenjournalismus betreiben. Das bedeutet: Wir werden große Mengen an Daten auswerten, um interessierten Bürgern informierte politische Entscheidungen zu ermöglichen. Wir wollen nicht nur zufällig aufgeschnappte Geschichten erzählen. Stattdessen soll unser investigativer Journalismus strukturelle Probleme aufdecken sowie Machtmissbrauch, Misswirtschaft oder Ungerechtigkeiten belegen. Dafür eignen sich nach unserer Erfahrung große Datenmengen ausgezeichnet.

Morgenpost und Tempelhof

Visualisierungen und interaktive Grafiken können komplexe Sachverhalte verständlicher darstellen. Selbst Bebauungspläne werden so lebendig und es wird möglich, ganz konkret über die anstehenden Veränderungen zu diskutieren, anstatt sich über Bleiwüsten den Kopf zu kratzen. Vor Kurzem etwa ging es in Berlin um einen Volksentscheid zur Bebauung des Tempelhofer Flugfelds. Da habe ich zusammen mit dem OKLab Berlin eine Auswertung des Bebauungsplans erstellt. Eine digitalisierte 3D-Ansicht des alten Berliner Flughafens. Diese Arbeit wurde dann von der Berliner Morgenpost aufgegriffen. Der Vorteil der Darstellung: wir haben die geplanten Bebauung anschaulich dargestellt und gleichzeitig Pro und Kontra der anstehenden Entscheidung visualisiert.

Auch die systematische Kartographierung der Machtstrukturen zwischen Politik und Wirtschaft sind uns ein wichtiges Anliegen. Diese Daten sind nicht nur Hilfsmittel bei Recherchen, sondern werden auch Basis für Geschichten sein, die auf herkömmliche Weise gar nicht erzählt werden könnten. Welche Netze gibt es wirklich und wie dicht sind sie? Neben den dicken Bücher über die Strippenzieher im Hintergrund, schaffen wir so eine leicht zu durchschauende Anlayse dessen, was ist. Projekte wie das MachtVZ, oder Lobbyplag dienen als Inspiration für solche Netzwerk-Datenbanken.

Das ist die Art von Journalismus, die wir bei CORRECTIV konsequent betreiben wollen. Journalismus, der direkte Teilhabe an politischen Entscheidungen ermöglicht und komplexe Sachverhalte verdeutlicht.

Lange Zeit musste im Journalismus die Ansammlung von Anekdoten reichen, um ein Gesamtproblem zu beschreiben. Der Journalist hörte von einem Problem, sprach mit einigen Menschen und schrieb seine Beobachtungen auf. Das war keine sichere Grundlage, um zu argumentieren. Es konnte immer heißen: „Das sind nur Einzelfälle.“

Wenn wir nun große Datensätzen zusammenstellen und analysieren, machen wir Anekdoten quantifizierbar. Wir scrapen Daten aus dem Netz, beantragen ganze Datenbanken bei Behörden oder legen unsere eigenen Verzeichnisse an.

Dann können wir uns auf einen Schlag Tausende, vielleicht sogar Millionen von Anekdoten anschauen. Damit legen wir Strukturen offen, über die zuvor niemals jemand nachgedacht hat. Wir suchen hinter Einzelfällen die Regel. Es entsteht eine Art evidenzbasierter Journalismus, ein Journalismus, der nach Beweisen in den Datensammlungen sucht.

Daten sind dabei für uns aber nicht nur Nummern und Zahlen – hinter jedem Eintrag, hinter jeder Zahl steckt oft die Geschichte eines Menschen. Auch diese Geschichten wollen wir, wann immer das möglich ist, erzählen.

Damit wollen unseren Lesern und Nutzern helfen, das Problem zu erfassen. Betrifft es sie? Wenn ja, wie sehr? Und was können sie dagegen tun? Das sind Fragen, die nach unserem Verständnis im besten Fall jeder Leser individuell für sich selbst beantworten sollte. Klassisches Beispiel solcher Recherchen ist das Projekt Dollars for Docs von ProPublica. Dort konnten US-Amerikaner nachschauen, wie viel Geld ihr Hausarzt von welchen Pharma-Firmen bekommen hat und damit einen Eindruck davon bekommen, wie interessensgeleitet die jeweilige Behandlung ist.