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Nimmt CORRECTIV anderen die Aufträge weg?

von Daniel Drepper

Wir zerstören den Markt, weil wir unsere Recherchen verschenken. Unsere „Steal our Stories“-Politik stiehlt freien Journalisten die Arbeit. Das haben uns Kollegen in den vergangenen Wochen hin und wieder vorgeworfen. Doch das ist falsch. CORRECTIV ist keine Konkurrenz für Freie. Im Gegenteil: Wir schaffen Arbeit, wo vorher keine war.

Ausnahmslos alle Reporter von CORRECTIV haben in der Vergangenheit als freie Journalisten gearbeitet, manche kürzer, die meisten länger. Ich arbeite seit 13 Jahren als Journalist. In dieser Zeit war ich bis zum Start von CORRECTIV insgesamt nur ein Jahr lang fest angestellt, als knapp bezahlter Volontär. Ich weiß, dass es immer schwieriger wird, als freier Journalist zu leben. Die Bezahlung ist oft eine Lachnummer.

Zwei Beispiele:

1) Für ein großes deutsches Onlinemedium habe ich vor Jahren eine Geschichte über einen dopenden Amateur-Radsportler geschrieben. Ich begleitete ihn zum ersten Rennen nach der Sperre, besuchte ihn in seinem Heimatdorf, telefonierte stundenlang.

Der Text hat mich geschätzt zwei Wochen gekostet und war fast 10.000 Zeichen lang. Am Ende gab es 180 Euro. Dem Medium mache ich keinen Vorwurf: Die Bezahlung liegt auf einem üblichen Niveau für die größten deutschen Zeitungen und Online-Medien. Nur extrem wenige Medien in Deutschland zahlen mehr, die allermeisten noch viel weniger.

2) 2010 fuhr ich zu den Paralympischen Winterspielen in Vancouver. Neben ARD und ZDF arbeiteten vielleicht zehn deutsche Reporter vor Ort, ich war vermutlich der einzige freie. Ideale Situation. Ich habe mich zugeworfen mit Aufträgen. Für Spiegel-Online, Zeit-Online, ZDFonline, die Frankfurter Rundschau und diverse Regionalzeitungen. Ich war jung und brauchte das Geld.

Wochen vor den Spielen habe ich Stories vorbereitet. Zwischendurch besuchte ich zwei oder drei Tage lang keinen einzigen Wettbewerb. Ich produzierte Geschichten, vom Schreibtisch im Hotelzimmer, am Fließband. Rausgegangen bin ich zum Essen und Cola kaufen. Ich habe in zehn Tagen vielleicht 40 Stunden geschlafen. Nach Hause geflogen bin ich mit knapp 4000 Euro. Ohne ein Stipendium für Flug und Hotel wäre mir davon kein einziger Euro geblieben.

Wer als freier Journalist recherchiert, zahlt drauf. So einfach ist das.

Wir haben alle schon solche aufwändigen Geschichten gemacht, aber das ist keine dauerhafte Lösung. Größere Recherchen – zur Sportförderung oder zum Fußballdoping – konnte ich in der Vergangenheit nur machen, weil ich drei Jahre lang in Teilzeit beim Recherche-Ressort der WAZ angestellt war.

CORRECTIV ist ein Modell unter vielen, das es in Zukunft ermöglichen wird, wieder richtig, unabhängig und langfristig zu recherchieren.

Die Recherche zu Marco Russo, in vier Ländern und auf vier Sprachen, hätten wir als freie Journalisten niemals leisten können. Noch weniger wären wir in der Lage, große Datenprojekte anzuschieben, lange Recherchen zu auf den ersten Blick wenig aufregenden Themen – wie den Sparkassen – zu starten oder interessierte Bürger fortzubilden.

Investigativer Datenjournalismus ist als freier Journalist schlicht nicht möglich.

Unsere Geschichten stellen wir kostenlos zur Verfügung, weil wir die Missstände, die wir aufdecken, abstellen wollen. Dafür brauchen die Stories eine möglichst große Reichweite.

Wir sind gemeinnützig, wir arbeiten nicht für Medien, sondern für die Gesellschaft. Damit nehmen wir freien Kollegen nicht die Arbeit weg: Die Stories wären ohne uns nie recherchiert worden.

Im Gegenteil: Wir beschäftigen schon jetzt viele Kollegen in Vollzeit, die vorher frei gearbeitet haben. Dazu holen wir Pauschalisten für langfristige Projekte. Wir schaffen Arbeitsplätze, dadurch wird auch der Markt für andere Freie wieder breiter.

Mittelfristig wollen wir zudem mit freien Kollegen zusammenzuarbeiten und Rechercheprojekte fördern – inklusive fairer Bezahlung. Dafür entwickeln wir gerade ein Modell.

Wir zerstören den Markt nicht, wir füllen Lücken.

Und wir freuen uns über jeden freien Kollegen, der mit einer tollen Recherche zu uns kommt, die er bislang wegen fehlender Ressourcen nicht umsetzen konnte.