Nein, ein Loch in der Ecke des Stimmzettels macht diesen nicht ungültig
Nicht zum ersten Mal wird online behauptet, ein Stimmzettel sei ungültig, wenn er ein Loch in der Ecke hat. Tatsächlich sind ein Loch oder eine abgeschnittene Ecke sogar gesetzlich vorgeschrieben.
„So Leute, ich habe wohlweislich Briefwahl beantragt”, heißt es in einem Tiktok-Beitrag, der aktuell zehntausende Nutzerinnen und Nutzer erreicht. Und weiter: „Wie Ihr seht, gelocht, von vornherein ungültig.“ Denn, so die Erklärung: Amtliche Dokumente dürften nicht beschädigt sein, auch ein Ausweis wäre ungültig, wenn man die Ecken abschneidet.
Mit dabei ist das Foto eines Stimmzettels, „Netzfund Gettr“, heißt es. Gettr ist ein Soziales Netzwerk, das aus dem Umfeld von Donald Trump gegründet wurde. Die Wahlunterlagen, die in dem Beitrag zu sehen sind, sind aus 2021. Das Bild samt Behauptung kursiert aber seit Jahren.
Loch oder fehlende Ecke auf dem Stimmzettel dienen zum adjustieren in einer Stimmzettelschablone
Doch Stimmzettel sind wegen des Lochs nicht ungültig. Das Loch steht sogar im Gesetz: In Paragraf 45 der Bundeswahlordnung heißt es: „Zur Verwendung von Stimmzettelschablonen wird die rechte obere Ecke des Stimmzettels gelocht oder abgeschnitten.“ Das gilt für die Briefwahl genauso wie für die Urnenwahl.
Blinde oder sehbehinderte Menschen können mit Stimmzettelschablonen eigenständig und geheim wählen, heißt es auf der Webseite der Bundeswahlleiterin. Das funktioniert so: Auf der Schablone stehen die Namen der Wahlwerbenden in Brailleschrift, der Stimmzettel wird darin eingelegt. Damit er deckungsgleich adjustiert werden kann, braucht es das Loch oder die fehlende Ecke.
Auch bei der Europawahl am 9. Juni werden Stimmzettelschablonen eingesetzt. Sie kommen auch bei Kommunal- und Landtagswahlen zum Einsatz, zum Beispiel in Baden-Württemberg, von wo der Stimmzettel im Tiktok-Beitrag stammt. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband schreibt aber auf seiner Webseite: Auf kommunaler Ebene müssten blinde und sehbehinderte Menschen oft auf Stimmzettelschablonen verzichten.
Ausweise mit abgeschnittener Ecke sind ungültig
Was abgeschnittene Ecken eines Ausweises angeht, von denen im Tiktok-Video ebenfalls die Rede ist, so schreibt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums: Jegliche Veränderung eines Personalausweises mache diesen ungültig – und dazu zähle es auch, eine Ecke abzuschneiden. Für Pässe wie Personalausweise gelte die Passverwaltungsvorschrift, laut derer alte Pässe entwertet werden, indem ein bestimmter Teil abgeschnitten wird: „Vielen entwerteten Ausweisdokumenten, die dem Dokumenteninhaber auf Wunsch wieder als Andenken ausgehändigt werden, fehlt daher zumindest eine Ecke“, so die Sprecherin.
Beide Dokumente gehören übrigens nicht den Inhaberinnen oder Inhabern der Ausweise, sondern der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesem Grund wurde laut der Sächsischen Zeitung ein mutmaßlicher Reichsbürger mit einer Geldstrafe wegen Sachbeschädigung verurteilt, nachdem er seinen Personalausweis zerschnitten hatte.
Redigatur: Max Bernhard, Kimberly Nicolaus
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