Faktencheck

Artikel über eine Hundertjährige, die ohne „Omas gegen Rechts“ Geburtstag feiern wollte, ist erfunden

Im Netz kursiert ein Zeitungsartikel über eine Frau, die ihren hundertsten Geburtstag in Neustadt feiern wollte. Angeblich wollte ihr die Bürgerinitiative „Omas gegen Rechts“ gratulieren – das habe sie abgelehnt. Doch an der Geschichte ist nichts dran.

von Kimberly Nicolaus

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Nichts deutet darauf hin, dass diese Geschichte stimmt: Das Foto kursiert in anderem Zusammenhang schon mehrere Jahre im Netz (Quelle: X; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Laut einem Zeitungsartikel habe eine Frau namens „Gertrude Mohn“ aus Neustadt die Mitglieder der Bürgerinitiative „Omas gegen Rechts“ von der Feier ihres 100. Geburtstages weggeschickt.
Bewertung
Frei erfunden
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Frei erfunden. Das im Artikel verwendete Foto einer Frau kursiert seit mindestens 2014 in unterschiedlichen Kontexten im Netz, häufig mit einem humoristischen Zitat. Der Text ist online nicht auffindbar – es ist daher unklar, wo und wann er erschienen sein soll. Die Bürgerinitiative „Omas gegen Rechts“ teilte mit, nicht zu derartigen Jubiläen zu gehen.

Ende Mai teilte der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Peter Boehringer, einen vermeintlichen Zeitungsartikel auf Telegram und X. Darin heißt es, eine Frau namens Gertrude Mohn habe an ihrem 100. Geburtstag in Neustadt Besuch von Mitgliedern von „Omas gegen Rechts“ bekommen. Sie habe sie „kurzerhand weggeschickt“ und erinnere sich noch an die „selbsternannten Sitten- und Kulturwächter“ der „SED-Diktatur“, also der DDR. Neben dem Text ist ein Foto platziert, das die 100-Jährige zeigen soll. Hunderte teilten den X-Beitrag von Boehringer. 

„Omas gegen Rechts“ ist eine parteiunabhängige Initiative, die sich gegen rechtspopulistische Strömungen in Deutschland einsetzt. Die Behauptung verbreitet sich auch auf Tiktok, Telegram und bei Facebook. Den vermeintlichen Artikel teilten dort auch die AfD-Kreisverbände Mayen-Koblenz und Bergstraße

Foto der älteren Frau kursiert schon länger in verschiedenen Zusammenhängen im Netz

Im Artikel selbst wird Neustadt als Ort genannt, doch so heißen allein in Ostdeutschland vier Städte oder Kleinstädte wie Neustadt an der Dosse in Brandenburg oder Neustadt an der Orla in Thüringen. In welcher Zeitung der Artikel erschienen sein soll, ist auf dem Bild in den Sozialen Netzwerken nicht erkennbar. Auf unsere Nachfragen dazu am 24. Juni 2024 antwortete Boehringer nicht – seine Beiträge auf Telegram und X sind inzwischen aber gelöscht.

Eine Google-Suche nach einem Auszug des Textes liefert ebenfalls keine nützlichen Hinweise. Doch mit Hilfe einer Bilder-Rückwärtssuche finden wir heraus, dass das Foto der Frau seit mehreren Jahren auf unterschiedlichen deutschen, englischen oder portugiesischen Webseiten kursiert – unterstellt werden der Frau im Bild häufig die Zeilen: „Zur besseren Verdauung trinke ich Bier, bei Appetitlosigkeit trinke ich Weißwein.“

Angeblicher Artikel über „Gesundheitstipps von Großmutter“
Ein Zeitungsausschnitt mit „Gesundheitstipps der Großmutter“ kursiert mit demselben Foto als Witz über Alkohol in den Sozialen Netzwerken – in diesem Artikel geht es nicht um „Omas gegen Rechts“ (Quelle: Pinterest; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Zitat konnten wir bis zu einem Interview von 2014 (PDF, Seite 17) zurückverfolgen, das damals in einem Newsletter des Dartmouth College in New Hampshire in den USA erschienen sein soll. Dort ist die Frau auf dem Foto angeblich 101 Jahre alt und heißt Hattie. Die Presseabteilung des Dartmouth College schrieb uns auf Anfrage, dass das Interview ein Scherz sei. 

Angeblicher Newsletter-Eintrag zu Trink-Tipps einer Oma.
Das Foto kursierte in der Vergangenheit mit einem scherzhaft gemeinten Zitat, wie hier in einem Newsletter von 2014 (Quelle: dartmouth.org; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

„Omas gegen Rechts“ gehen laut eigener Angabe nicht zu „derartigen Jubiläen“, außer es betrifft Mitstreiterinnen

Klar ist also: Wer auf dem Foto zu sehen ist, lässt sich abschließend nicht feststellen, doch es kursiert schon länger und in einem anderen Zusammenhang. Der Artikel über den Geburtstag der Hundertjährigen aus Neustadt ist online nicht auffindbar.

Wir fragten außerdem bei der Bürgerinitiative „Omas gegen Rechts“ nach, ob die Geschichte der Rentnerin aus Neustadt bekannt ist. Carola Witt schrieb uns, dass „Omas gegen Rechts“ nicht zu solchen Jubiläen gingen, „außer es betrifft eine unserer Mitstreiterinnen“. Es gebe zwei Neustädter Gruppen bei der Initiative – eine in Rheinland-Pfalz und eine in Holstein. Dort kenne man keine Gertrude Mohn und keinen derartigen Vorfall. 

Redigatur: Paulina Thom, Sarah Thust