Chronik

Björn Höcke: Wann die Justiz gegen den AfD-Politiker ermittelte

Björn Höcke musste sich schon mehrfach vor Gericht verantworten. Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Thüringen im September wurde die Immunität des AfD-Fraktionsvorsitzenden erneut aufgehoben. Eine Chronik der Ermittlungen, eingestellten Verfahren und Prozesse.

von Martin Böhmer

Björn Höcke
Björn Höcke und die Justiz: Thüringens AfD-Fraktionsvorsitzender am 1. Juli im Landgericht Halle.

„Heute wurde zum 9. Mal meine Immunität aufgehoben.“ So teilt es Björn Höcke seinen Followerinnen und Followern am 10. Juli via Telegram mit. Jetzt kann die Staatsanwaltschaft erneut gegen den Thüringer AfD-Spitzenkandidaten ermitteln. Mit der Justiz hat Höcke seit Jahren Ärger.

Mehrfach wurde bisher gegen Höcke ermittelt. Einige Verfahren wurden eingestellt. In zwei Prozessen wurden Urteile gegen den AfD-Politiker gesprochen, die allerdings noch nicht rechtskräftig sind; zwei weitere Prozesse drohen ihm derzeit. Weswegen wurde gegen ihn ermittelt? Welche Verfahren wurden eingestellt? Darf er wirklich „Faschist“ genannt werden? Eine Übersicht der Ermittlungen und Urteile.

Björn Höcke: Ermittlungen, eingestellte Verfahren und Prozesse gegen den AfD-Politiker

2015 – Staatsanwaltschaft Erfurt ging wohl Betrugsverdacht nach  – Der Justizausschuss hob laut Medienberichten im Sommer 2015 die Immunität des AfD-Politikers auf. Der Verdacht erhärtete sich nicht, die Ermittlungen wurden demnach 2016 eingestellt.

2015 – Staatsanwaltschaft Halle ermittelte offenbar wegen Volksverhetzung – Im November 2015 sprach Björn Höcke von einem „lebensbejahenden, afrikanischen Ausbreitungstyp“. Diese Worte nutzte er beim Neue-Rechte-Thinktank „Institut für Staatspolitik“ von Götz Kubitschek, wie Videoaufnahmen belegen. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen aber wohl mangels hinreichenden Tatverdachts ein.

„Denkmal der Schande“: Skandalträchtige Dresden-Rede blieb für Björn Höcke juristisch folgenlos

2017 – Staatsanwaltschaft Dresden ermittelte wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener – Björn Höcke bezeichnete in seiner viel kritisierten Dresdner Rede 2017 bei der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative unter anderem das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Strafrechtlich blieb die Rede folgenlos: die Dresdner Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen im März 2017 ein. Auch das folgende in der AfD angestoßene Parteiausschlussverfahren überstand Höcke.

2018 – Staatsanwaltschaft Chemnitz ermittelte wegen Verstoßes gegen Kunsturhebergesetz – Mit dem Bild der getöteten Tramperin Sophia L. machten Rechtsextreme, AfD und Pegida bei einem sogenannten „Trauermarsch“ Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten. L.s Eltern wehrten sich gegen den Missbrauch des Fotos ihrer Tochter. Gegen Björn Höcke bestand der Verdacht Urheberrechtsverletzung: Er hatte Fotos der Demo auf Facebook verbreitet. Das Bild der jungen Frau war darauf zu sehen. Aber die Staatsanwaltschaft Chemnitz stellte Anfang 2019 die Ermittlungen ein, es gab „keine berechtigten Interessen“ seitens der Familie.

Gericht entschied: Höcke darf als „Faschist“ bezeichnet werden

2019 – Darf man Björn Höcke „Faschist“ nennen? –  Eine Demonstration gegen ein AfD-Familienfest in Eisenach trug den Titel „Protest gegen die rassistische AfD, insbesondere gegen den Faschisten Höcke“. Das Verwaltungsgericht Meiningen erklärte die Bezeichnung Höckes als „Faschist“ im Eilverfahren am 26. September 2019 für zulässig.
Zu beachten ist: Höcke ist nicht gerichtlich zum Faschisten erklärt worden. Aber die Bezeichnung ist als Meinungsäußerung gedeckt. Das entschied das Gericht.

2020 – Staatsanwaltschaft Mühlhausen ermittelte wegen Volksverhetzung und Verleumdung – In einem Twitter-Post vom 3. Juni 2020 wurde die Seenotretterin Carola Rackete diffamiert. Darin hieß es: „Schlepper-Ikone Carola Rackete: Ich habe Folter, sexuelle Gewalt, Menschenhandel und Mord importiert“. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen ermittelte gegen Höcke als mutmaßlichem Urheber des Posts. Trotz einer Hausdurchsuchung im Mai 2021 gab es laut Staatsanwaltschaft „keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine Urheberschaft des Beschuldigten“. Die Ermittlungen wurden am 23. November 2021 eingestellt.

Politikerinnen und Politiker genießen in Deutschland Immunität, die sie vor Strafverfolgung schützt. Wenn eine Anzeige registriert wurde und Ermittlungsbehörden einen begründeten Verdacht feststellen, beantragen sie, dass die Immunität der Politikerin oder des Politikers aufgehoben wird. Dann entscheidet etwa der zuständige Justizausschuss, ob die Immunität aufgehoben wird. Sollte dem Antrag stattgegeben werden, dürfen Staatsanwaltschaften ermitteln.

2020 – Staatsanwaltschaft Mühlhausen ermittelte wegen übler Nachrede – Höcke bezeichnete die damalige Vorsitzende des Bayerischen Flüchtlingsrats in einem Facebook-Post als „Ex-Terroristin, die Fremden dabei hilft, den Sozialstaat zu plündern“. Weil der Beitrag laut Staatsanwaltschaft Mühlhausen von der Meinungsfreiheit gedeckt war, wurden die Ermittlungen am 23. Juni 2021 eingestellt.

Seit 2022 – Ermittlungen und Gerichtsprozess wegen Volksverhetzung – Zu einer Gewalttat in Ludwigshafen mit zwei Toten schrieb Björn Höcke via Telegram: „Wahrscheinlich ist der Täter psychisch krank und leidet an jener unter Einwanderern weit verbreiteten Volkskrankheit, welche die Betroffenen ,Allahu Akbar‘ schreien lässt und deren Wahrnehmung so verzerrt, dass sie in den ,ungläubigen‘ Gastgebern lebensunwertes Leben sehen.“  Die Anklage wurde am  21. September 2023 vor dem Landgericht Mühlhausen erhoben. Der Termin für den Prozess steht noch nicht fest.

Zwei Geldstrafen für den Thüringer AfD-Spitzenkandidaten

Mai 2024 – Erstes (nicht rechtskräftiges) Urteil wegen SA-Parole – Björn Höcke rief bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung in Merseburg im Mai 2021: „Alles für Deutschland“. Nach Einschätzung des Gerichts habe er gewusst, dass es sich hierbei um eine verbotene Parole der Sturmabteilung (SA) der NSDAP handelt. Das Landgericht Halle verurteilte Björn Höcke am 14. Mai 2024 zu 100 Tagessätzen zu je 130 Euro (13.000 Euro gesamt) wegen Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation (nach §86a StGB). Höckes Verteidiger legten Revision ein, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Juli 2024 – Zweites (nicht rechtskräftiges) Urteil wegen SA-Parole – Während die Ermittlungen zur SA-Parole in Merseburg liefen, benutzte Höcke bei einer Veranstaltung am 14. Dezember 2023 in Gera die Parole erneut. Höcke sprach selbst „Alles für…“ aus und ließ das Publikum „Deutschland“ ergänzen. Daraufhin musste er sich erneut wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verantworten. Der Prozess am Landgericht Halle begann am 24. Juni, am 1. Juli wurde Höcke zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu 130 Euro (16.900€) verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von acht Monaten und die Aberkennung des passiven Wahlrechts gefordert, so dass Höcke nach einer rechtskräftigen Verurteilung nicht zur Landtagswahl hätte antreten dürfen. Das Gericht folgte dieser Forderung nicht. Auch bei diesem Urteil legten Höckes Verteidiger Revision ein. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, gilt Björn Höcke als vorbestraft.

Juli 2024 – Björn Höcke droht neues Verfahren wegen Gera-Rede 2022 – Aktuell geht die Staatsanwaltschaft dem Verdacht nach, dass Höcke in einer Rede am 3. Oktober 2022 in Gera den deutschen Staat verunglimpft hat. Die Immunität Höckes wurde nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft Gera nach Informationen von CORRECTIV aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft Gera hat das Ermittlungsverfahren noch nicht offiziell bestätigt. Es ist noch unklar, ob es zu einem Prozess kommt.

Redigatur: Gabriela Keller, Justus von Daniels
Faktencheck: Elena Kolb
Kommunikation: Valentin Zick