Justiz & Polizei

Mit dem Staatsschutz gegen Gänsefüßchen

Nachdem ein Journalist aus Dokumenten eines laufenden Verfahrens zitiert, ermittelt der Staatsschutz gegen ihn. Den Ausgangspunkt der Ermittlungen setzt dabei ausgerechnet der Staatsanwalt, über den der Journalist kritisch berichtet hatte.

von Jean Peters

Jörg Fröhlich
06.02.2019, Hamburg: Jörg Fröhlich, Generalstaatsanwalt in Hamburg, spricht bei einer Pressekonferenz in den neuen Räumen der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg. Foto: Christian Charisius/dpa

Carsten Janz benutzte Anführungszeichen, als er über den Fehler des Generalstaatsanwalts Fröhlich berichtete. In seinem Text auf t-online ging es um den Amoklauf in Hamburg-Alsterdorf im Königreichssaal der Zeugen Jehovas, bei dem ein junger Mann acht Menschen tötete: zwei Frauen und vier Männer, ein ungeborenes Kind und sich selbst. Der Tenor des Artikels: Die Staatsanwaltschaft habe mit einer Durchsuchung Fehler gemacht, dabei bezog sich Janz auf das Urteil des Landgerichts Hamburg. 

In seinem Artikel zitierte Carsten Janz direkt aus den Akten  – mit der Folge, dass jetzt der Staatsschutz gegen den Journalisten ermittelt. Denn nach Paragraf 353d Nr. 3 StGB ist das strafbar. Aus laufenden Verfahren darf nicht im Wortlaut zitiert werden, heißt es dort.

In der Akte zum Verfahren gegen Janz, die CORRECTIV vorliegt, wird die besondere Rolle des Generalstaatsanwalts dabei direkt auf dem ersten Blatt beschrieben: Die Behördenleitung selbst sei es gewesen, die den Pressespiegel übermittelt und dabei explizit auf Janz Artikel hingewiesen habe.

Ein Routinevorgang laut Generalstaatsanwaltschaft

Zur Behördenleitung gehört auch Jörg Fröhlich: Er ist der Generalstaatsanwalt. Die Presseabteilung der Generalstaatsanwaltschaft bestätigte CORRECTIV auf Anfrage, dies sei der Ausgangspunkt der Ermittlungen des Staatsschutzes gegen Janz gewesen. Sie bemüht sich zu betonen, es handele sich dabei aber um einen Routinevorgang, „eine Weisung/Anordnung o.ä. der Behördenleitung, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten“ sei nicht erfolgt. 

Bemerkenswert ist, dass Carsten Janz in der Vergangenheit mehrfach kritisch über die Arbeit von Generalstaatsanwalt Fröhlich berichtet hat, unter anderem in Zusammenhang mit der St-Pauli-VIP-Ticketaffäre und Ermittlungspannen der Staatsanwaltschaft bei einem Amoklauf. Die Recherchen des Journalisten legten nahe, dass der Generalstaatsanwalt Fröhlich in ein geplantes Ermittlungsverfahren gegen den Innensenator eingegriffen hatte. Daraufhin stand Jörg Fröhlich politisch unter Druck. Er leitete sogar ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst ein, was dann aber auch positiv für ihn ausging.

Journalistenverband moniert Befangenheit

Dass der Generalstaatsanwalt nun Ermittlungen gegen einen kritischen Journalisten anstößt, beschäftigt auch den Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Ein Sprecher schreibt von Befangenheit: „Richter oder Staatsanwälte, über die in Medien berichtet wird, können kein objektives Urteil in eigener Sache fällen. Sie müssen aus solchen Verfahren herausgenommen werden“, fordert der Sprecher des DJV gegenüber CORRECTIV. 

Der Staatsschutz solle sich besser um „schwerwiegenden Fälle“ kümmern, „aber doch nicht um das Zitieren aus Gerichtsakten“, so der Sprecher des DJV gegenüber CORRECTIV. Wenn es hart auf hart komme, würde auch den Berufsrechtschutz des DJV hier greifen.

Auf Nachfrage an die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg, weshalb der Fall nicht abgetrennt wurde und woraus sich eine Zuständigkeit des Staatsschutzes ergebe, hat diese geschrieben, die „Zuständigkeit der Zentralstelle Staatsschutz ergibt sich aus dem Sachzusammenhang, da die in Rede stehenden Zitate/Veröffentlichungen Inhalte eines Zentralstellenverfahrens betrafen.“ Gemeint ist damit das Verfahren rund um den Amoklauf in Hamburg.

Der DJV hat bereits vor einem halben Jahr den Deutschen Bundestag zu einer Reform des Paragrafen 353 aufgerufen. Der Grund: Es gebe immer wieder Fälle, in denen Medien aus Gerichtsakten zitieren. Diese Dokumente würden Journalisten immer wieder von Verteidigern oder Staatsanwälten zugespielt, die durch Veröffentlichungen den Gang des Gerichtsverfahrens zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchen, so der Sprecher des DJV gegenüber CORRECTIV. „Die Geheimniskrämerei, die der Paragraf 353 vorschreibt, ist völlig aus der Zeit gefallen und muss deshalb durch eine Reform beendet werden.“ Die Kriminalisierung von Journalisten, die aus Gerichtsakten zitieren, sei nicht akzeptabel.

Arne Semsrott, Leiter der Recherche- und Transparenzplattform „Frag den Staat“, legte sich persönlich mit dem Paragrafen an. 2023 veröffentlichte er gezielt Akten aus einem Verfahren gegen die Letzte Generation. Darin wurde unter anderem ersichtlich, dass offenbar Telefonate mit Journalisten abgehört wurden. Semsrott sieht im Paragraf 353d Nr. 3 StGB einen Verstoß gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), da die Regelung seiner Ansicht nach die freie Berichterstattung der Presse unverhältnismäßig einschränkt.

Anwalt findet Jagd nach Gänsefüßchen grotesk

Der Anwalt von Janz, Gerhard Strate, beschreibt die Jagd nach den Gänsefüßchen in seiner rechtlichen Argumentation zu der Anklage als grotesk. Es sei nur der durch das wörtliche Zitat vermittelte Eindruck der Authentizität, was unter Strafe gestellt werde, nicht die Unrichtigkeit des Berichteten.

Zudem verwies er auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Pinto Coelho v. Portugal vom 28. Juni 2011. In diesem Urteil betonte der EGMR, dass die Anwendung strafrechtlicher Vorschriften, die die Veröffentlichung von gerichtlichen Dokumenten untersagen, zu einem Eingriff in die Rechte der Pressefreiheit führen kann. Der EGMR stellte fest, dass ein solches Veröffentlichungsverbot nur dann gerechtfertigt ist, wenn es „notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“ ist und eine Abwägung der geschützten Interessen mit der Pressefreiheit im konkreten Einzelfall erfolgt ist. 

In diesem Fall erkannte der Gerichtshof jedoch, dass die Anwendung des Gesetzes ohne individuelle Abwägung nicht zulässig war und somit eine Verletzung der Pressefreiheit darstellte. Auch der deutsche §353d Nr. 3 StGB lässt keinen Raum für eine solche Abwägung mit der Pressefreiheit, sondern stellt die Veröffentlichung pauschal unter Strafe.

„Der Fall von Herrn Janz zeigt zudem das hohe Missbrauchspotential der Regelung: Sie ermöglicht es Justizbeamten, missliebige Journalisten mithilfe des Strafrechts einzuschüchtern“, schreibt der Journalist Arne Semsrott auf Anfrage weiterhin. Seine Organisation FragDenStaat unterstütze Herrn Janz mit allen Mitteln, die nötig seien.

Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes, Jean Peters, zeigte Arne Semsrott wegen der Veröffentlichung der Akten zur Letzten Generation an, woraufhin Ermittlungen wegen 353d Nr. 3 StGB gegen Semsrott eingeleitet wurden.

Update vom 2. September 2024:

Im Verfahren gegen Carsten Janz hat das Amtsgericht Hamburg am 2. September eine Geldstrafe in Höhe von 2.600 Euro verhängt. Die Richterin folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die die Veröffentlichung wörtlicher Zitate aus einem Beschluss als Verstoß gegen § 353d StGB wertete. Strafmildernd wurde die Kürze des Zitats und Janz’ bisherige Unbescholtenheit berücksichtigt. Janz und sein Anwalt erwägen, gegen das Urteil vorzugehen.