Faktencheck

Landtagswahl Sachsen: 103,5 Prozent Wahlbeteiligung in Strehla? Das steckt dahinter

In Sozialen Netzwerken wundern sich Nutzerinnen und Nutzer über die Wahlbeteiligung in der Kleinstadt Strehla in Sachsen. Weil sie bei mehr als 100 Prozent liegt, wittern manche Wahlbetrug. Doch es gibt eine andere Erklärung.

von Paulina Thom

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In Sachsen wurde am 1. September 2024 ein neuer Landtag gewählt (Quelle: Christian Ohde / Chromorange / Picture Alliance)
Behauptung
Die Wahlbeteiligung von 103,5 Prozent im sächsischen Strehla belege einen Wahlbetrug bei der Landtagswahl 2024.
Bewertung
Falsch. Die Wahlbeteiligung in Strehla liegt bei mehr als 100 Prozent, weil dort Briefwahlstimmen zweier Gemeinden desselben Wahlkreises ohne eigenes Briefwahlbüro ausgezählt wurden. Das ist kein Wahlbetrug, sondern konform mit dem Wahlgesetz.

„Eine Wahlbeteiligung von 103,5 Prozent in Strehla? Das stinkt aber erbärmlich nach Wahlbetrug, liebe Leute…“, schreibt ein X-Nutzer einen Tag nach der Landtagswahl in Sachsen. Die Kleinstadt Strehla ist eine Gemeinde im Wahlkreis Meißen 1. Den gesamten Wahlkreis hat bei der Wahl am 1. September 2024 die AfD gewonnen. Nur in der Gemeinde Strehla hat die CDU nach vorläufigen Ergebnissen mehr Stimmen als die AfD geholt.

Auf Telegram heißt es: „Da sind wohl sogar die Toten auferstanden, um einen Sieg des AfD-Kandidaten zu verhindern.“ Auch auf Youtube verbreitet sich die Behauptung vom Wahlbetrug. Mehrere Beiträge wie diese wurden über den WhatsApp-Chatbot an CORRECTIV.Faktencheck geschickt. Einige Beiträge teilen Screenshots der Sächsischen Zeitung mit den Wahlergebnissen (hier und hier). 

Der AfD-Politiker und bayerische Landtagsabgeordnete Andreas Winhart schrieb über die hohe Wahlbeteiligung sarkastisch auf X: „Der diesjährige ‚Briefwahl-Preis‘ geht nach Strehla in Sachsen mit 103,5 % Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl. ‚Tolles Ergebnis‘, das muss man erstmal hinbekommen!“ Sein Beitrag hat mehr als 300.000 Aufrufe. Auf Tiktok heißt es sogar, die Wahlbeteiligung in ganz Sachsen habe bei 103,5 Prozent gelegen.

Das ist falsch. Die Wahlbeteiligung in ganz Sachsen lag laut vorläufigen Angaben bei 74,4 Prozent. Und die Wahlbeteiligung in Strehla? Dort geht man vorläufig tatsächlich von 103,5 Prozent aus. Doch dahinter verbirgt sich kein Wahlbetrug. 

Screenshot von einem X-Beitrag
Online wie hier auf X vermuten Nutzerinnen und Nutzer Wahlbetrug aufgrund der Wahlbeteiligung von 103,5 Prozent im sächsischen Ort Strehla. Doch dafür gibt es eine einfache Erklärung. (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

In Strehla wurden Briefwahlstimmen anderer Gemeinden desselben Wahlkreises ausgezählt

Ein Blick in die vorläufigen Wahlergebnisse auf der Webseite des Landeswahlleiters zeigt: In Strehla hat es laut Auszählung mehr Wählerinnen und Wähler als Wahlberechtigte gegeben (rote Markierung), wodurch eine Wahlbeteiligung von mehr als 100 Prozent entsteht. Der Grund dafür ist in einer Fußnote (grüne Markierung) aufgeführt: „Gemeinde führte Briefwahl ebenfalls für Hirschstein und Stauchitz durch.“ Die beiden Gemeinden zählen wie Strehla zum Wahlkreis Meißen 1. 

Screenshot der Wahlbeteiligung in Strehla
Auf der Webseite des Landeswahlleiters steht in einer Fußnote, dass die Gemeinde Strehla die Briefwahl für zwei andere Gemeinden durchgeführt hat (Quelle: wahlen.sachsen.de; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Dieser Hinweis fehlt auf der Webseite der Sächsischen Zeitung mit den Wahlergebnissen. Die Zeitung hat jedoch mittlerweile einen Artikel dazu veröffentlicht, warum die Wahlbeteiligung in einigen Gemeinden bei mehr als 100 Prozent liegt. Dies war nämlich nicht nur in Strehla der Fall, sondern auch im Wahlkreis Meißen 2 in Schönfeld oder im Wahlkreis Bautzen 2 in Ralbitz-Rosenthal. Auch hier zählten die Wahlhelfenden Briefwahlstimmen anderer Gemeinden aus ihrem Wahlkreis mit aus. 

Manche Gemeinden verfügen über kein eigenes Briefwahlbüro

Das ist weder unüblich noch ein Verstoß gegen das Wahlgesetz: So steht in Paragraph 7 des Sächsischen Wahlgesetzes: „Die Kreiswahlleiterin oder der Kreiswahlleiter kann anordnen, dass Briefwahlvorstände statt für den Wahlkreis für einzelne oder mehrere Gemeinden oder für einzelne Kreise innerhalb des Wahlkreises einzusetzen sind.“ Ähnlich steht es auch in Paragraph 8 des Bundeswahlgesetzes – auch bei der Bundestagswahl kam es zu Wahlbeteiligungen über 100 Prozent in manchen Gemeinden.

Ein Wahlkreis kann die Briefwahlstimmen also entweder gesammelt auszählen oder auf einzelne oder mehrere Gemeinden verteilen. Da in jeder Gemeinde eines Wahlkreises dieselben Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl stehen, wird dadurch nicht das Ergebnis des Wahlkreises verzerrt.

Zählt eine Gemeinde, wie im Fall von Strehla, für andere Gemeinden des Wahlkreises mit, erklärt dies die Wahlbeteiligung von mehr als hundert Prozent. Entscheidend für die Beurteilung der Wahlbeteiligung sind aber nicht die einzelnen Gemeinden, sondern der gesamte Wahlkreis. Im Wahlkreis Meißen 1 lag die Wahlbeteiligung nicht bei über 100 Prozent, sondern insgesamt bei 70,6 Prozent.  

Alle Faktenchecks zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen finden Sie hier

Redigatur: Gabriele Scherndl, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Sächsisches Wahlgesetz, Teil Zwei, 11. August 2023: Link