Landtagswahl: Irreführende Behauptungen zu „ausgesperrten“ Wahlbeobachtern in Erfurt
Der als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Verein „Ein Prozent“ behauptet auf X, die Polizei habe bei den Landtagswahlen in Thüringen in einem Erfurter Wahllokal „eingreifen“ müssen, weil Wahlbeobachter „ausgesperrt“ worden seien. Ein Absperrband, das dort gezogen wurde, hatte laut Kreiswahlleitung und Polizei aber mit vorherigen Störungen zu tun und wurde von der Polizei nicht beanstandet.
Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen kursieren zahlreiche Gerüchte und Falschmeldungen. Besonders verbreitet sind Meldungen über angebliche Unregelmäßigkeiten am Wahltag. Darin mischt auch der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Verein „Ein Prozent“ mit.
Auf X behauptet der Verein, in einem Wahllokal in Erfurt, Thüringen, habe es am Wahltag einen Polizeieinsatz gegeben. Der Wahlvorstand habe „Absperrband gezogen und Wahlbeobachter ausgesperrt“. Das sei „rechtswidrig“ und verstoße „gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl“. Die Wahlbeobachter hätten sich am Ende durchgesetzt. Die Behauptung verbreitet sich auf X und mehrfach auf Facebook.
Wir erklären, was hinter dem Polizeieinsatz steckte und was es mit dem Absperrband auf sich hatte.
Polizei Erfurt: Personen, die sich beschwerten, waren als „Störer“ bekannt
Dass es bei der thüringischen Landtagswahl im Wahllokal 0322 einen Einsatz gab, bestätigt Denny Schlee, Pressesprecher der Polizei Erfurt: „Ausgangspunkt war die Beschwerde zweier Personen bei der Polizei“, welche in diesem Wahllokal als Wahlbeobachter kurz nach 18:00 Uhr bei der Stimmzettelauszählung hätten dabei sein wollen. „Da der Wahlvorstand an einer Tischkante ein Absperrband angebracht hatte, fühlten sich die Personen hierin in ihrer Tätigkeit beeinflusst und ungerecht behandelt.“
Daraufhin seien Polizeikräfte gekommen und hätten mit allen Beteiligten gesprochen. Durch das Gespräch sei klar geworden, warum es ein Absperrband gab: „Die Beschwerdeführer waren dem Wahlvorstand aus vergangenen Wahlen als Störer bekannt. Aus diesem Grund wurde das Absperrband angebracht.“ Anschließend habe der Wahlvorstand den Personen angeboten, im Beisein der Polizei die Stimmauszählung nochmals zu überprüfen. Darauf hätten die Personen verzichtet und das Wahllokal verlassen.
Norman Bulenda, Kreiswahlleiter von Erfurt, bestätigt den Vorfall und liefert weiteren Kontext: Der Wahlvorstand habe schon „unangenehme Erfahrungen“ mit den Wahlbeobachtern gemacht, weswegen ein Absperrband mit einem Abstand von 1,50 Meter zum Tisch gezogen wurde. So sei trotzdem ein guter Blick auf den Tisch möglich gewesen. Stimmzettel, die für ungültig erklärten wurden, seien dann noch einmal extra hochgehalten worden, um zu zeigen, warum sie ungültig waren.
Die Angaben der Polizei und der Kreiswahlleitung widersprechen also den Behauptungen von „Ein Prozent“, dass „Wahlbeobachter ausgesperrt“ und „sich am Ende durchgesetzt“ hätten.
Auf Nachfrage zu diesen Informationen heißt es von „Ein Prozent“, dass auf eine Neuauszählung „aufgrund der späten Stunde und der angegebenen Erschöpfung der Wahlhelfer“ verzichtet worden wäre. Dass es Störungen durch Wahlbeobachter gegeben habe, sei dem Verein nicht bekannt. Welches „Wahlrecht“ die Polizei habe durchsetzen müssen, beantwortete der Verein nicht. Laut Polizeisprecher Schlee hat es keine weiteren Maßnahmen der Polizei gegeben.
Doch welche Regeln gibt es bei der Wahlbeobachtung?
Wahlbeobachtung für alle möglich – wenn man nicht stört
Im Thüringer Wahlgesetz steht, dass die Wahlhandlung öffentlich sein muss. „Die Öffentlichkeit der Wahl ist ein wichtiges Wahlrechtsprinzip. Deshalb sehen die Regelungen im Landeswahlrecht vor, dass die Wahlhandlung und die Auszählung der Wahl so transparent wie möglich ablaufen müssen“, heißt es dazu auch in einer Handreichung zu den Landtagswahlen in Thüringen von Landeswahlleiter Holger Poppenhäger, die CORRECTIV.Faktencheck vorliegt. Darin steht, dass Wahlbeobachtenden der Blick auf den Auszählungstisch ermöglicht werden muss. Aber auch, dass eine „Störung der Ruhe und Ordnung“ nicht zulässig ist.
Am 29. August informierte Landeswahlleiter Poppenhäger zudem in einer Pressemitteilung, Zuschauer müssten „einen gewissen Abstand zu den Tischen des Wahlvorstandes wahren. Diese räumliche Distanz dient vor allem der Wahrung des Wahlgeheimnisses sowie der Verhinderung eines Eingriffs in den Wahlablauf durch Dritte“.
Wahlvorstand entscheidet im Einzelfall über Maßnahmen
Wie kann so eine Distanz gesichert werden? Von Seiten der Landeswahlleitung in Thüringen und auch in Sachsen heißt es auf Nachfrage, die Entscheidung darüber liege beim Wahlvorstand und hänge vom Einzelfall ab.
Das schreibt auch Claudia Isfort vom Büro der Bundeswahlleiterin. Die Bundeswahlleiterin ist zwar nicht für die Landtagswahlen zuständig, überwacht in Deutschland aber die Bundestags- und Europawahlen. Laut Isfort besteht grundsätzlich ein Recht auf Beobachtung im Wahlraum mit Blick auf den Auszählungstisch, aber „ein Anspruch auf Sichtbarkeit jeder Einzelheit besteht nicht“. Und „fühlen sich Mitglieder des Wahlvorstandes durch eine zu starke Annäherung der Wahlbeobachtenden behindert oder gestört, dürfen sie beispielsweise einen Abstand zu den Mitgliedern des Wahlvorstandes von in der Regel ein bis zwei Metern anordnen. Der Auszählungsvorgang muss nach einer solchen Anordnung grundsätzlich weiter beobachtet werden können.“
Aus den Informationen der Landeswahlleitung in Thüringen und Sachsen und den Handhabungen bei anderen Wahlen, wie zum Beispiel der Bundestagswahl, wird also deutlich, dass ein Absperrband, dass eine Distanz schafft, bei der die Auszählung weiter beobachtet werden kann, durchaus in den rechtmäßigen Handlungsspielraum des Wahlvorstands fällt.
„Ein Prozent“ verbreitet Narrativ von Wahlbetrug immer wieder
Zweifel schüren: Das macht „Ein Prozent“ öfter. Das Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD) zeigte in einer Analyse nach der Bundestagswahl 2021, dass der Verein bereits seit 2016 Kampagnen führe, um Wahlbeobachter zu mobilisieren.
Auch Paula Jöst vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Mainz erklärte uns zuletzt: „In Deutschland werden Wahlbetrugs- und Manipulationsvorwürfe besonders prominent durch AfD-nahe Akteure, sowie die mittlerweile als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Gruppierung ,Ein Prozent‘ verbreitet.“
AfD und „Ein Prozent“ machen dabei auch gemeinsame Sache. Norman Bulenda, Kreiswahlleiter in Erfurt, wies darauf hin, dass der Landesverband der AfD in Thüringen im Vorfeld Informationen zur Wahlbeobachtung verschickt habe. Über einen QR-Code auf einem Info-Flyer gelangt man zu einem „Leitfaden für Wahlbeobachter“, der von „Ein Prozent“ stammt. Die Facebook-Seite der AfD Südthüringen verbreitete einen Beitrag mit dem QR-Code zu dem Leitfaden etwa am 18. August.
Der Leitfaden zur Wahlbeobachtung enthält ebenfalls irreführende Informationen. So steht darin: „Bei verdächtig vielen ungültigen Stimmen eine Nachzählung verlangen.“
Eine Nachzählung fordern dürfen Wahlbeobachter jedoch nicht – auch das steht in der Handreichung zur Thüringer Landtagswahl und im Thüringer Wahlgesetz §40: „Der Wahlvorstand entscheidet über die Gültigkeit der abgegebenen Stimmen und über alle Fragen, die sich bei der Wahlhandlung und bei der Ermittlung des Wahlergebnisses stellen. Der Wahlkreisausschuss hat das Recht der Nachprüfung.“
Unsere Rückfrage, ob „Ein Prozent“ das in seinem Leitfaden anmerken wird, beantwortet der Verein nicht. Man informiere „seit Jahren darüber, dass nur Wahlhelfer berechtigt sind, bei der Entscheidung über ungültige Stimmen mitzuwirken“. Davon steht im Leitfaden jedoch nichts.
Alle Faktenchecks zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen finden Sie hier.
Redigatur: Gabriele Scherndl, Kimberly Nicolaus
Die wichtigste, öffentliche Quellen für diesen Faktencheck: