Sie können weder gut schreiben noch reden
Sind Sie Politiker? Sie können nicht schreiben und reden.
Sind Sie Gewerkschafter? Sie können nicht schreiben und reden.
Sind Sie Unternehmer? Sie können nicht schreiben und reden.
Sind Sie Jurist? Sie können nicht schreiben und reden.
Sind Sie Wissenschaftler? Sie können erst recht nicht schreiben und reden.
Sind Sie Deutschlehrer? Sie können leider auch nicht schreiben und reden.
Wo ist die Pointe? Es gibt keine Pointe. Ich meine es bitterernst. Sie können nicht schreiben, nicht reden.
Und das liegt an den Deutschlehrern.
Halt. Jetzt nicht einfach nur ironisch die Augenbrauen heben. Oder genervt die Augen verdrehen. Und es dabei belassen, zu denken: der spinnt ja.
Reißen Sie sich zusammen. Lassen Sie die Wahrheit zu.
Können Sie wirklich leicht verständlich schreiben und reden? So, dass Ihnen der Handwerker und die Professorin gleichermaßen gerne folgen? Und das sind nur die Mindestanforderungen an jeden Text.
Wollen Sie sich im Ernst damit verteidigen, dass Sie nicht für jedermann schreiben, sondern dass Ihre speziellen Leser Sie schon verstehen? Die Gebildeten. Die Klugen. Sind Sie so elitär? Oder sind Sie einfach nur bequem?
Haben Sie schon einmal ein juristisches Schreiben mit dem guten Gefühl gelesen, wirklich alles verstanden zu haben? Von dem was Ärzte von sich geben, ganz zu schweigen.
Haben Sie schon einmal freiwillig eine Doktorarbeit gelesen? Dabei stecken die Autoren viele Monate, wenn nicht gar Jahre, ihrer Lebenszeit hinein. Und sollen Außerordentliches leisten.
Haben Sie schon einmal eine Rede gehört, die hängen bleibt? Ich meine, außer der von Richard von Weizsäcker 1985 mit dem historischen Satz: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“? Und außer der von Navid Kermani im Deutschen Bundestag zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes? Eine Rede mit abenteuerlich langen Sätzen, vielen Fremdwörtern, eine den meisten Regeln guter Diktion zuwiderhandelnde Rede, so wie dieser Satz, aber im Gegensatz zu diesem Konstrukt, die Kermani trotzdem in meisterhafter Marnier und in mit mir nicht im Geringsten zu vergleichender Weise, sagenhaft, jedenfalls war diese Rede von Kermani brillant. Aber Kermani ist ein Schriftsteller.
Ansonsten kann Ihnen niemand raten, sich die Reden im Deutschen Bundestag anzuhören. Sie sind schlecht. Dabei sollten sie ausgesprochen gut sein. Erhard Eppler sagt: „Politik vollzieht sich in Sprache“.
Haben Sie schon einmal ein sprachlich ansprechendes Parteiprogramm gelesen? Außer dem Godesberger Programm der SPD von 1959?
Haben Sie schon einmal angeregt eine Broschüre der Gewerkschaften von A bis Z gelesen?
Haben Sie schon einmal eine Publikation von Unternehmen gelesen, die Sie als wahrhaftig empfinden?
Das meiste ist schwafelig, umständlich, überladen.
Und elitär. Die Funktionäre der genannten Institutionen richten sich hauptsächlich an ihresgleichen. Sie schreiben und reden für weniger als 10 Prozent der Menschen. Ja, auch die Gewerkschaften tun das. Sie gebrauchen Worte wie Austerität, Hegemonie, Multilateralität, Implementierung und so weiter. Müssen Leser und Zuhörer diese Worte wirklich verstehen? Wozu dieser Code für Eingeweihte, der andere Menschen ausschließt? Der sie als ungebildet erscheinen lässt?
Ich räume ein: ich tue vielen unrecht. Und wirke überheblich. Aber nehmen Sie das nicht als Beleg dafür, dass ich Unrecht habe.
Fragen Sie sich mal, warum Sie diesen Text noch lesen, obwohl 140 Zeichen längst vorbei sind.
Weil die Sätze kurz sind. Weil sie nicht verschachtelt sind. Weil sie keine Wortungetüme enthalten und keine Fremdwörter. Weil Sie jedes Wort verstehen. Weil Sie leicht folgen können. Weil dieser Text eine Botschaft hat. Weil er engagiert ist. Weil Sie gespannt sind, wie’s weitergeht. Zusammenfassend könnte man sagen: Weil ich mich darum bemühe, dass Sie Satz für Satz weiter lesen. Ja, ich gebe mir Mühe mit Ihnen. Ich kämpfe für Sie um jeden Satz.
Warum machen das nicht alle so?
Lassen Sie uns von Deutschlehrern sprechen.
Die können auch nichts dafür. Sie haben selbst nicht schreiben und reden gelernt. Also können sie es uns auch nicht beibringen.
Schauen Sie sich mal Musterlösungen von Abiturarbeiten im Deutsch-Leistungskurs an. Die beginnen so:
„Wolfgang Koeppen, der zu Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts mit drei Romanen hervortrat („Tauben im Gras“, 1951; „das Treibhaus“, 1953; „Tod in Rom“, 1954), in denen er seine – weitgehend pessimistische – Sicht der Nachkriegszeit gestaltete, wurde 1962 mit dem Büchner-Preis, der höchsten literarischen Auszeichnung der Bundesrepublik, geehrt.“
Das ist zu lang, zu verschachtelt, zu überladen.
Aber so sollen wir es lernen. Und deshalb schreiben und reden wir später entsprechend im Beruf.
Oder so: „Man kann meines Erachtens davon ausgehen, dass die Zuordnung zwischen Signifikat und Signifikanz in der Regel arbiträr ist – dies zeigen schon die gravierenden Unterschiede zwischen den Sprachen der Welt.“
Auch dieser Satz stammt aus einer Musterlösung für Abiturienten.
Ich fordere deshalb: Deutschlehrer müssen schreiben lernen. In Klammern füge ich hinzu: Das ist kein Vorwurf an Deutschlehrer. Sie haben es selbst nicht besser gelernt. Deshalb müssen auch die Ausbilder von Deutschlehrern schreiben lernen. Und diejenigen, die Ausbilder von Deutschlehrern ausbilden.
Wir sollten uns als Gesellschaft fragen: wollen wir uns weiterhin so viel Zeit stehlen mit langatmigen Texten und Reden? Wollen wir weiterhin Menschen ausschließen? Wollen wir uns weiterhin leisten, so sehr missverstanden zu werden?
Ich glaube, es wäre nicht nur wesentlich anregender, wenn wir alle besser schrieben und redeten, sondern auch produktiver.
Schon allein um Ihretwillen sollten Sie darauf bestehen, schreiben und vor allem reden zu lernen.
Liebe Redner, haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie sehr Sie sich mit einer schlechten Rede schaden? Ihre Rede entscheidet darüber, ob Sie als Bürokrat, alter Sack, eingebildeter Affe oder Langweiler wahrgenommen werden. Oder ob man Sie als aufgeschlossen, klug und unterhaltsam wahrnimmt — als einen guten Typ.
Ich rate Ihnen und frage mich, warum unsere Lehrer das nicht auch tun: Strengen Sie sich an, beim Stoffsammeln, beim Nachdenken und beim Schreiben. Seien Sie wahrhaftig, denn nur so werden Sie wahrgenommen. Wagen Sie etwas, damit Sie wirken. Drücken Sie sich verständlich aus, statt elitär. Und unterstehen Sie sich, zu langweilen.
Beherzigen Sie dabei, dass Menschen vor allem an Menschen interessiert sind. Schreiben und reden Sie also als Mensch, über Menschen, für Menschen.
Wir haben ein Buch gemacht über die Kunst zu schreiben, sich auszudrücken.
Unser Autor Markus Franz hat es geschrieben. Er ist ein ehrfahrener Journalist, ein Redenschreiber — unter anderem für Peer Steinbrück — und ein Wort-Coach, wenn es diesen Job gibt.
Markus Franz beschäftigt sich mit Sprache und den Methoden, wie man besser schreiben und reden lernt. Sein Lehrbuch ist verdammt unterhaltsam und garantiert nicht das, was Sie erwarten.
Das Buch erscheint am 23. März. Sie können es in unserem Shop jetzt schon bestellen.
Ansonsten gibt es das Buch auch im Buchhandel.