Verkürztes Video: Regierungskritik von Anton Hofreiter galt Ungarn, nicht Deutschland
Ein Videoausschnitt mit einer Aussage des Grünen-Politikers Anton Hofreiter verbreitet sich online. Darin sagt er, es gebe keine freien Wahlen und keine unabhängige Justiz. Nutzerinnen und Nutzer ziehen fälschlich den Schluss, er beziehe sich auf Deutschland. Doch Hofreiter sprach über Ungarn.
Hat Grünen-Politiker Anton Hofreiter behauptet, die deutsche Bundesregierung handle bewusst gegen freie Wahlen und eine unabhängige Justiz, damit die Regierungspolitiker nicht selbst vor Gericht müssten? Das suggerieren Beiträge mit einem Ausschnitt einer Rede Hofreiters, der auf Tiktok, Instagram und Telegram kursiert. Allein das Tiktok-Video hat eine halbe Million Aufrufe.
Hofreiter sagt in dem Ausschnitt: „Wenn man es böse ausdrücken will, kann man verstehen, dass diese Regierung agiert, wie sie agiert. Nämlich wenn es wieder demokratische, völlig freie und faire Wahlen auch im Vorfeld gäbe und eine unabhängige Justiz, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Teil der im Moment handelnden Personen am Ende vor Gericht landen würde, weil sie wie gesagt Milliarden von Euro veruntreut haben.“
Einige Beiträge stellen durch Hashtags wie „#dieampelmussweg“ einen Bezug zur Bundesregierung her. Auch in den Kommentaren beziehen einige das Video auf die deutsche Regierung: „War das ein Geständnis?“ oder „Er hat es verstanden, ich bin mir nur nicht sicher, ob er weiß, dass er dazu gehört!“
Der Hintergrund von Hofreiters Aussage ist jedoch ein anderer.
In der Podiumsdiskussion mit Anton Hofreiter ging es explizit um Ungarn
Über eine Bilderrückwärtssuche findet sich das Video zu Hofreiters Aussage in voller Länge. Es handelt sich um den gleichen Ausschnitt, der online kursiert, wie am Hintergrund zu erkennen ist. Ursprung ist eine vom Deutschen Bundestag organisierte Podiumsdiskussion mit mehreren Politikern zum Tag der Ein- und Ausblicke. Ab Minute 16 geht es um die ungarische Regierung: Der Moderator stellt Hofreiter die Frage, wie man am besten mit Ungarns Staatschef Viktor Orbán umgehen sollte: „Wie würden Sie ihn einschätzen? Kann man mit dem Reden oder ist der grundsätzlich dagegen?“
Hofreiter, der seit 2021 Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ist, antwortet ausführlich. Er sagt unter anderem, Ungarn müsse sich als Mitglied der Europäischen Union an die gemeinsamen Regeln halten. Wenn die ungarische Regierung „das Geld ungarischer und europäischer Steuerzahler veruntreut“, müsse die EU konsequent Gelder zurückhalten und es brauche entsprechende Verfahren. Anschließend folgt der Ausschnitt, der sich online verbreitet.
Der viel geteilte Videoausschnitt von Hofreiter ist also echt. Seine Aussage wird aber nicht vollständig wiedergegeben und damit aus dem Kontext gerissen.
Ungarn gilt als eines der korruptesten Länder der EU
Ungarn gilt laut dem Korruptionsindex von Transparency International als eines der korruptesten Länder der EU. Orbán sorgt mit Alleingängen in der EU immer wieder für Kritik, die EU distanzierte sich bereits wegen verschiedener Vorfälle von ihm. Erst Ende Oktober reiste Orbán nach Georgien, um der Regierungspartei Georgischer Traum zu ihrem umstrittenen Wahlsieg zu gratulieren. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell machte daraufhin deutlich: „Was auch immer Herr Orbán während seines Besuchs sagt, er vertritt nicht die Europäische Union.“
Zu dieser Behauptung haben Teilnehmende der Community des CORRECTIV.Faktenforums in einem Workshop recherchiert. Die Ergebnisse dienten als Grundlage für diesen Faktencheck.
Über CORRECTIV.Faktenforum kann sich jeder gegen Falschbehauptungen im Netz engagieren. Mehr zum Projekt, den Veranstaltungen und den Beteiligungsmöglichkeiten unter www.faktenforum.org.
Redigatur: Sophie Timmermann, Viktor Marinov
Die wichtigste, öffentliche Quelle für diesen Faktencheck:
- Podiumsdiskussion zur EU-Erweiterung und zu EU-Reformen vom Deutschen Bundestag, 07. September 2024: Link