Liebe Leserinnen und Leser,
die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Schweden, Dänemark, Finnland, Estland, Litauen, Lettland und Polen sowie der Generalsekretär der Nato haben sich heute getroffen und darüber beraten, wie sich die Ostsee besser gegen Russland schützen lässt. Warum genau das notwendig ist und was es konkret mit uns zu tun hat: heute unser Thema des Tages.
Außerdem im SPOTLIGHT: In der „Werkbank“ berichtet Hawagul Attayee aus der bei uns angedockten afghanischen Exilredaktion über eine, wie ich finde, empörende Entwicklung in ihrem Heimatland: Frauen sollen nun nicht mal mehr durch Fenster in die Freiheit blicken dürfen.
Ich möchte Ihnen auch einen Blick auf die heutige Grafik des Tages empfehlen: Mein Kollege Sebastian Haupt zeigt darin anschaulich, was es mit den „Abschiebetickets“ auf sich hat, die derzeit für Aufregung sorgen.
Was sind die Themen, die Sie in dieser Woche besonders umtreiben? Schreiben Sie mir: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Warum die Ostsee uns alle angeht
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
CORRECTIV-Werkbank: Immer drastischere Einschränkungen für Frauen in Afghanistan
Grafik des Tages: „Abschiebeticket“ – AfD-Werbung im Stile der NPD
Der Anlass für den kleinen Nato-Gipfel heute war der: In den vergangenen Wochen gab es (wieder mal) mehrere verdächtige Vorgänge in der Ostsee – mutmaßlich Sabotage an Unterseekabeln. Diese Vorfälle waren eher klein. Nun gehen aber viele Sicherheitsexpertinnen und -experten davon aus, es habe sich um Übungen gehandelt – Russland könne darauf aufbauen und bald koordinierte, größere Angriffe auf unsere europäische Infrastruktur planen.
Die heutigen Beratungen, an denen Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz teilnahm, drehten sich also darum: Wie lässt sich die Ostsee besser vor Russland schützen? Wie das gehen kann und was genau die Ostsee mit uns zu tun hat:
Welche Leitungen durch die Ostsee verlaufen:
Dazu haben wir kürzlich eine Grafik gebaut, die wir heute noch einmal aktualisiert haben. Man sieht darauf nicht nur die Kabel und Pipelines in der Ostsee, sondern alle Unterseekabel, die Europas Staaten miteinander verbinden.
All diese Pipelines und Kabel gehören zur sogenannten kritischen Infrastruktur. Dieser Begriff bezeichnet die Versorgung mit alltäglichen Dingen, die für uns lebenswichtig sind – etwa Öl und Gas, Strom und Telekommunikation. Werden große Leitungen gekappt, kommt das Leben bei uns teilweise zum Stillstand.
Warum wird vermutet, dass Russland die Infrastruktur sabotiert?
Eine Reihe von Indizien weist darauf hin. Jüngstes Beispiel: die „Eagle S“. Der alte Ölfrachter gehört offenbar zur sogenannten russischen Schattenflotte. Vorrangig werden diese Schiffe wohl für Warenschmuggel genutzt, also um westliche Sanktionen zu umgehen, die es seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gibt.
Die „Eagle S“ (die offiziell nicht unter russischer Flagge fährt, sondern der Flagge der Cookinseln) soll dafür verantwortlich sein, an Weihnachten ein wichtiges Stromkabel und mehrere Datenleitungen beschädigt zu haben. Die zuständigen Ermittlungsbehörden in Finnland fanden einen Anker, der offenbar zum Schiff gehört – und gehen davon aus, dass er absichtlich über den Boden schleifte, um die Leitungen zu beschädigen. Sie beschlagnahmten das Schiff deshalb. Das war schon eine neue Eskalationsstufe gegenüber Russland.
Was jetzt beschlossen wurde:
Die Anrainer-Staaten der Ostsee wollen sich ab sofort besser dabei abstimmen, das riesige Gebiet zu überwachen – es geht um mehrere tausend Quadratkilometer, in denen all die Leitungen verlaufen. Erste Maßnahmen hat die Nato schon ergriffen: Sie hat (nach der Sprengung der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 vor zwei Jahren) das „Maritime Zentrum für die Sicherung kritischer Infrastruktur“ in London eröffnet. Dort wird jetzt die Überwachung unter anderem des Ostsee-Raums koordiniert. Und es gibt Unterwasser-Drohnen, um ein besseres Bild zu bekommen.
Und was plant Deutschland?
Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte schon angekündigt, dass unsere Marine künftig mehr Präsenz in der Ostsee zeigen und die führende Rolle bei der Verteidigung des Binnenmeeres übernehmen will. Tatsächlich einigten sich die Anrainerstaaten heute beim Treffen darauf: Gemeinsam soll jetzt regelmäßig auf der Ostsee patrouilliert werden, und zwar mit Kriegsschiffen, U-Booten, Aufklärungsflugzeugen und anderem. Koordiniert werden soll das Ganze von Rostock aus.
Proteste in Georgien funktionieren vor allem dank Social Media
Die Demonstrierenden organisieren und mobilisieren sich eigenständig auf Facebook, Instagram und TikTok. Ihre spontanen und kreativen Aktionen werden auf den Plattformen verbreitet und bekommen so weltweit Aufmerksamkeit. Sie demonstrieren gegen die russlandnahe Regierung, die Georgiens Annäherung an die Europäische Union blockiert.
oc-media.org (auf Englisch)
Bundesligavereine müssen bald wohl für Polizei-Großeinsätze bei Risikospielen zahlen
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Beschwerde der DFL zurückgewiesen. Demnach dürfen die Länder nun die hohen Kosten, die bei Risikospielen entstehen, nun in Rechnung stellen. Bislang macht das nur Bremen.
spiegel.de
Lokal: Betroffene von Anschlag in Magdeburg sollen wie Terroropfer entschädigt werden
Sechs Menschen starben bei dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt, 300 wurden verletzt. Jedoch wird von über 600 Betroffenen ausgegangen. Der Bund und das Land Sachsen-Anhalt wollen sie jetzt finanziell unterstützen.
mdr.de
Investigativ: Firmen kämpfen gegen Einschränkung von gesundheitsschädlichen „Ewigkeitschemikalien“
PFAS gelten als krebserregend, sie schädigen den Fettstoffwechsel, die Fruchtbarkeit und das Immunsystem. Sie sind in Textilien oder in Pfannen und gelangen so ins Wasser. Trotz der bekannten Gesundheitsrisiken wehrt sich die Industrie-Lobby mit falschen Angaben gegen Verbote, wie eine Recherche von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung zeigt.
tagesschau.de / sueddeutsche.de (€)
In der Silvesternacht verbreiteten sich in Sozialen Netzwerken Aufnahmen von Überschwemmungen in Berlin. Hinter dem Rohrbruch stecke ein „Polenböller“, behaupten einige. Die Berliner Wasserbetriebe widersprechen: Man gehe von Materialermüdung aus, das Rohr sei fast hundert Jahre alt.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Die Junge Alternative wird aufgelöst. Das hat die AfD am Wochenende auf dem Parteitag in Riesa entschieden. Dort haben 72 Prozent für die Auflösung der Jugendorganisation gestimmt. Stattdessen soll eine neue Jugendorganisation gegründet werden – denn die AfD braucht die Mitglieder. Viele von ihnen arbeiten in Landtagsbüros, Abgeordnetenbüros und sind für die AfD auf TikTok aktiv. Unsere Jugendredaktion Salon5 erklärt, warum sich die AfD von der Jungen Alternative trennt.
Salon5 (Instagram)
So geht’s auch
Die sizilianische Kleinstadt Piazza Armerina ist ziemlich erfolgreich bei der Integration von Geflüchteten. Und das, obwohl die rechtsextreme Fratelli d’Italia den Bürgermeister stellt. Einen Eindruck vom Leben vor Ort gibt die taz in dieser Reportage.
taz.de
Fundstück
Manchmal kann es mit der Post etwas dauern, bis sie ankommt. Die Auslieferung dieser Ausgabe vom Hamburger Abendblatt ließ allerdings ungewöhnlich lange auf sich warten: Sie wurde vor 61 Jahren abgeschickt.
ndr.de
Der oberste Taliban-Führer Hibatullah Achundsada hat Ende Dezember eine umstrittene Anweisung erlassen: Sie verbietet den Bau von Fenstern in Wohngebäuden, die auf von Frauen genutzte Räume blicken lassen, darunter Höfe, Küchen und Brunnen. Die neue Vorschrift wird mit der „Bewahrung von Privatsphäre und dem Schutz der Frauen“ begründet. Sie schreibt Hausbesitzern vor, vorhandene Fenster durch Vorhänge, blickdichtes Glas oder sogar Wände zu verdecken.
Die Verordnung ist eine weitere, tiefgreifende Einschränkung der Frauenrechte in Afghanistan. Frauen, die bereits von Bildung, Arbeit und öffentlichen Räumen ausgeschlossen wurden, sollen so auch in ihren eigenen Häusern isoliert werden.
Eine weitere Folge: fehlendes Sonnenlicht. In einem Land, in dem die Winter bis zu minus 25 Grad kalt werden können, ist dieses überlebenswichtig. Ohne die Sonne sind Familien gezwungen, auf teure Heizmethoden zurückzugreifen – in einem Land mit so viel Armut eine weitere finanzielle Hürde. Familien müssen außerdem die zusätzlichen Kosten für die Einhaltung der Vorschriften und Baumaßnahmen tragen, vom Material bis zu den Arbeitskräften. Auch die Bauindustrie wird voraussichtlich darunter leiden, dass Projekte ins Stocken geraten und Materialkosten in die Höhe schnellen. Sie ist ein wichtiger Sektor für Arbeitsplätze und Wachstum.
Während sich die pragmatischen Taliban-Fraktionen in Kabul gegen das Dekret stellen könnten, werden die Achundsada-Hardliner auf die Umsetzung drängen.
Die Richtlinie spiegelt deutlich das unerbittliche Bestreben wider, Kontrolle über afghanische Frauen zu erlangen, und mit ihnen über die gesamte afghanische Gesellschaft. Das wird weitreichende Folgen für die heutigen und kommenden Generationen haben.
Auf dem Parteitag in Riesa sorgten nicht nur die Dammbrüche um die AfD-Vorsitzende Alice Weidel für Wirbel (Stichworte „Remigration“ und „Alice für Deutschland“). Auch das von der AfD Karlsruhe erstellte Werbematerial beschäftigt die Öffentlichkeit – das „Abschiebeticket“, ausgestellt als Einweg-Ticket (One-Way-Economy).
Pikant daran: Dieser Flyer im Stile eines echten Flugtickets hat unrühmliche historische Vorläufer. Eine ganz ähnliche Aktion gab es 2011 und 2013 von der rechtsextremen NPD (heute Die Heimat), die ihrerseits mit imitierten Flugtickets gegen Eingewanderte hetzte. Unter anderem verschickte die Partei diese Tickets 2013 an Politikerinnen und Politiker mit Migrationshintergrund in Berlin, um sie von einer Kandidatur zum Bundestag abzuhalten. Das Vorbild dieser Aktion reicht aber noch weiter in düstere Zeiten zurück.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts – besonders in den 1920ern und 1930ern – hetzten rassistische und antisemitische Gruppen mit imitierten Zugtickets gegen Jüdinnen und Juden. Die „Freifahrkarte nach Jerusalem“ oder auch Palästina sollten ihre Adressaten symbolisch vertreiben. „Hin und nicht wieder zurück“, wie darauf vermerkt ist.
Laut AfD sei aber alles gar nicht so schlimm, schließlich stünden auf der Rückseite Forderungen, die „der aktuellen Rechtslage und dem Grundgesetz entsprechen.“ So gehe es etwa nicht um deutsche Staatsbürger. Doch diese Beschwichtigung wirkt schwach.
So verbreiten AfD-Anhänger vor allem die Vorderseite im Netz. Zudem finden sich auch auf der Rückseite Rechtsaußen-Parolen wie „Keine Islamisierung!“. Und auch die Polizei hat Ermittlungen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung aufgenommen.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Robin Albers, Till Eckert und Sebastian Haupt.
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