Tag 1: Warum ich durch Deutschland reise
Ich bin zurück in Deutschland. Einerseits ist es leicht, mich einzugewöhnen: Bekannte Gerüche, gewohnte Abläufe, gewissermaßen ist alles wie immer. Andererseits ist es komisch, ausgerechnet die letzten sechs Monate verpasst zu haben. Zurück zu sein fühlt sich an, als sei man während eines Films aufs Klo gegangen und hätte so den wichtigsten Teil der Handlung verpasst.
Als ich Anfang Oktober nach Israel ausgereist bin, war Deutschland in der Hochphase der Willkommenskultur, mit Begrüßungskommandos an den Bahnhöfen. Die Anschläge von Paris im November trübten dieses Gefühl; sie erinnerten Deutschland an die permanenten Terrorsorgen. Die Kölner Silvesternacht brachte die Stimmung dann endgültig zum Kippen. Aus der Ferne fühlte sich dieser Stimmungswandel beklemmend an. Und ich verstand ihn nicht.
Ich war mit einem Stipendium der Herbert Quandt-Stiftung in Israel und den Palästinensergebieten unterwegs, recherchierte, reiste, lernte Hebräisch. Manchmal rückte die Gewalt ganz nah, etwa als unser Taxi im Verkehr stecken blieb und plötzlich links und rechts berittene Polizisten vorbeipreschten – einen Kilometer weiter, am Damaskustor, hatte es einen Anschlag gegeben. Ich dachte: Ich bin für ein halbes Jahr in einer hoch bewaffneten Gesellschaft im permanenten Ausnahmezustand gelandet. Wird es in Europa eines Tages genau so zugehen?
Im Oktober hatte ich ein Land verlassen, in dem die sich die Menschen vor allem über ihre persönliche Freiheit definierten. Nun kam ich zurück in ein Land, in dem immer lauter über Sicherheit diskutiert wurde.
Ein Land, in dem sich die politischen Lager immer unversöhnlicher gegenüber standen. In dem die Landtagswahlen in drei Bundesländern zu einem kollektiven Aufschrei ausarten.
Mehr und mehr hatte ich das Gefühl: Ich verstehe mein Land nicht mehr.
So entstand die Idee zu dieser Deutschlandreise.
Ich beschloss, einen Monat lang durch Städte und Dörfer zu ziehen, um zu verstehen, wie dieses Land tickt.
Ich wollte herausfinden, was die Menschen umtreibt. Was sich verändert hat. Ich möchte sie fragen: Vor was hast du Angst?