Flüchtlingsarbeit in Mexiko: „Die größte Herausforderung ist es, die richtigen Informationen zu vermitteln“
Mexiko ist für viele Geflüchtete nicht mehr nur Zwischenstation, sondern Zielland. Bei ihrer Ankunft erwarten sie auch Gerüchte und Falschmeldungen. Hilfsangebote bieten Orientierung – und helfen im besten Fall, schnell Fuß zu fassen.
Am Río Suchiate herrscht Alltagsbetrieb. Der Fluss trennt Mexiko von seinem Nachbarn Guatemala. Einheimische setzten ihre aus Brettern und Reifen gebauten Flöße von einem ans andere Ufer. Sie transportieren Lebensmittel, Waren – und Menschen.
Der offizielle Grenzübergang über die „Puente Internacional“ liegt nur wenige hundert Meter entfernt. Doch viele nehmen den Weg über den Fluss statt über die Brücke, aus Angst, festgenommen oder zurückgeschickt zu werden. Inoffiziell, aber toleriert. Auch Maria* entschied sich dazu.
Im Juni 2024 floh sie aus Honduras. „Ich musste es für meine Töchter tun“, erzählt sie im November in einer Herberge nahe der Grenze. In ihrer Heimat sei sie in einem Zeugenschutzprogramm gewesen, die genauen Details will sie nicht erzählen. Aber trotz Schutzprogramm sei ihr Zuhause aufgelauert und gedroht worden, sie und ihre drei Töchter umzubringen, wenn sie ihre Aussage nicht fallen ließe. Von der Staatsanwaltschaft bekam sie keinen Schutz, berichtet sie. Die einzige Option, die sie sah: Flucht. Wenige Tage später stieg sie mit ihren Töchtern in einen Bus und fuhr in den Norden Guatemalas. Mit dem Floß kam sie rüber nach Mexiko. Hier will sie bleiben – und ist damit nicht die einzige.
„Denk dran, das Asylverfahren ist kostenlos“
Mexiko sei längst nicht mehr nur Transit- sondern auch Zielland geworden, sagt Regina de la Portilla vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Mehr als 140.000 Asylanträge gab es laut UNHCR in 2023 – ein Rekord. Rund 71.000 waren es bis Ende November 2024, darunter so viele Frauen wie Männer, ein Drittel ist minderjährig. Die meisten kommen wie Maria aus Honduras, andere aus Kuba, Haiti, El Salvador, Venezuela und Guatemala. Unter ihnen sind aber Menschen aus aller Welt – Russland, Irak, Kongo oder Afghanistan.
Sie über ihre Rechte in Mexiko aufklären, wollen humanitäre Organisationen wie der UNHCR. „Die größte Herausforderung ist es, die richtigen Informationen zu vermitteln“, berichtet de la Portilla. Wechselnde Anforderungen von Behörden, dynamische politische Entwicklungen, Gerüchte und Falschmeldungen werden zum Problem.
Wenige Meter vom Ufer des Río Suchiate entfernt in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Hidalgo hängt ein großes buntes Schild. „Denk dran, das Asylverfahren ist kostenlos“, steht dort. Darunter prangt das Logo von El Jaguar, einem Programm der Hilfsoganisation. Der Name soll Vertrauen schenken, weil das Tier in der Gegend sehr beliebt sei und dich verteidigt, erklärt de la Portilla. Ein QR-Code auf dem Schild führt zu einer Facebook-Seite, einer Whatsapp-Nummer, einer E-Mail-Adresse und zwei kostenlosen Telefon-Hotlines. Dort informieren UNHCR-Mitarbeitende Schutzsuchende: Über die Öffnungszeiten der mexikanischen Asylbehörde COMAR, den Asylprozess – und auch darüber, dass dieser nichts kostet. Mehr als 26.000 Anfragen haben sie so letztes Jahr beantwortet.
37 Kilometer sind es vom Río bis zum nächstgelegenen Büro der Asylbehörde in Tapachula. Doch der Weg dorthin ist gefährlich, die organisierte Kriminalität lauert am Straßenrand. Das Sinaloa-Kartell und das Jalisco Nueva Generación-Kartell liefern sich im Bundesstaat Chiapas heftige Revierkämpfe. Immer wieder entführen sie Menschen entlang der Route. Hunderte bis tausende Dollar wollen sie ihnen abnehmen. Wer das Geld aufbringt, kommt meistens frei, andere bezahlen mit ihrem Leben.
Maria schloss sich deshalb zum Schutz einer größeren Gruppe an. 300 Leuten sind sie am Anfang gewesen, erzählt sie. Unterwegs seien plötzlich Wagen mit bewaffneten Menschen aufgetaucht. Sie sei mit ihren Kindern weggerannt. Nach neun Stunden fanden sie endlich Zuflucht in einer Herberge auf dem Weg. In Tapachula stellte sie dann ihren Asylantrag.
Die Anerkennungsrate ist hoch – aber es lauern Fallstrick
In der Theorie läuft der Prozess dafür schnell und unkompliziert. Mit dem Ersttermin bei COMAR bekommen Asylsuchende einen formellen Nachweis über ihren Antrag. Damit können sie einen humanitären Ausweis der mexikanischen Einwanderungsbehörde beantragen, der ihnen wiederum erlaubt, bereits arbeiten zu gehen. Es folgt ein Gespräch mit COMAR, in dem der Fall geprüft wird. Innerhalb von spätestens fünf Monaten erfolgt dann im besten Fall die Rückmeldung, ob sie offiziell als Geflüchtete anerkannt sind.
Die Anerkennungsrate in Mexiko ist hoch. Laut UNHCR lag sie 2023 bei 70 Prozent. Das liegt auch daran, dass Mexiko Teil der Cartagena-Erklärung ist. Das Abkommen erweitert die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, wodurch auch Personen als Geflüchtete gelten, die vor Gewalt oder Unruhen fliehen.
In der Praxis warten im Asylprozess aber Fallstricke. Etwa bürokratische Hürden. Für ihren Antrag müssen Schutzsuchende regelmäßig im Büro erscheinen und ein Dokument unterschreiben, um so nachzuweisen, dass sie noch vor Ort sind. Maria berichtet, dass sie alle 15 Tage hin muss. Offiziell ist von zehn Tagen die Rede. Erscheinen Asylsuchende nicht rechtzeitig, riskieren sie, dass ihr Prozess abgebrochen wird. Jeder Weg in und durch die Stadt kostet nicht nur Geld, er ist auch gefährlich. Auch deshalb entsteht gerade ein neues Multi-Service-Zentrum in der Stadt, das alle wichtigen Asylleistungen an einem Ort bündeln soll.
Aber auch politischer Druck aus dem Ausland beeinflusst die Lage der Geflüchteten vor Ort. Ende 2023 beispielsweise stellten die mexikanischen Behörden die Ausgabe von Ausweispapieren an Asylsuchende ein. Tausende Menschen machten sich damals in Gruppen auf den Weg in die USA. Daraufhin soll die US-Regierung „aggressivere Maßnahmen“ gefordert haben, um sie zu stoppen.
UNHCR-Programm vermittelt Zehntausende Jobs
Für Mercedes* lief es da besser. 2022 habe sie Havanna verlassen, erzählt die Kubanerin. Erst blieb sie eine Zeit lang in Costa Rica. Dort habe sie gearbeitet, um den „Coyote“, einen Schmuggler, der sie von Nicaragua über die Grenze nach Mexiko bringen sollte, zu bezahlen. Den Kontakt gaben ihr andere Kubaner, die es schon in die USA geschafft hatten. In die USA wollte Mercedes aber nie, denn dort gebe es Diskriminierung, sagt sie und: „Wer kein Englisch kann, bekommt keinen guten Job.“
In Tapachula beantragte sie politisches Asyl und erhielt innerhalb von vier Monaten ihre Aufenthaltsgenehmigung. Über ein Job-Programm vom UNHCR, das Geflüchtete in den Rest des Landes vermittelt, landete sie in Guadalajara. Die Stadt habe sie sich vorher im Internet angeschaut und sie habe ihr gefallen, erzählt die ausgebildete Krankenschwester. Sie arbeitet nun bei Urrea, einem großen Hersteller von Armaturen. Bei Urrea seien dutzende Stellen unbesetzt – seit Corona und wegen hoher Fluktuation, erzählt ein Mitarbeiter vor Ort. Über die Vermittlung der Geflüchteten sind sie deshalb froh.
Neben Urrea sind hunderte Firmen Teil dieses Programms, darunter auch Zara, Nissan oder Continental. Über 45.000 Personen seien so schon vermittelt worden, schreibt die UN-Flüchtlingsorganisation in einem Bericht. Durch sie kämen jährlich 13,4 Millionen US-Dollar (umgerechnet um die 12,8 Millionen Euro) Steuereinnahmen rein – laut offiziellen Angaben ist das mehr als fünfmal so viel, wie das Budget, das der mexikanische Staat 2024 der Asylbehörde COMAR zuwies.
Doch nicht alle sehen die Zuwanderung so positiv. Laut einer Umfrage aus November 2023 unter mexikanischen Bürgerinnen und Bürgern stimmte mehr als die Hälfte der Aussage zu, Geflüchtete und Migranten würden die Kriminalität erhöhen. 85 Prozent gaben an, sie glauben, die meisten würden aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Dabei verlassen laut UNHCR mehr als 50 Prozent der Menschen ihr Land wegen Gewalt, Unsicherheit und Bedrohungen.
Dass sich die Stimmung verändert habe, erzählt auch die Ordensschwester Magda. Sie leitet eine Einrichtung für geflüchtete Frauen und Familien in Mexiko-Stadt. Über Jahre habe sie Gruppen von Schutzsuchenden auf ihrem Weg durch das Land begleitet. „Die Menschen strömten herbei, gingen auf die Straße, um ihnen Essen zu geben“, erzählt sie. Mittlerweile erlebe sie mehr Ablehnung.
Trump ruft Notstand an der Grenze aus, aber „Mexiko ist auch eine Option“
Im mexikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2024 spielte Migration, anders als in vielen westlichen Ländern, dennoch nicht die größte Rolle. Korruption, Kriminalität, etwa durch Kartelle, und die Wirtschaft waren laut Umfragen die entscheidenden Themen für Wählerinnen und Wähler.
Wichtig bleibt das Verhältnis zum Nachbarn im Norden. Donald Trump behauptete nach seinem Wahlsieg im November 2024, die neue Präsidentin Claudia Sheinbaum habe zugesichert, die Migration über die mexikanische Grenze zu stoppen. Doch die widersprach auf X: Mexikos Position bestehe nicht darin, Grenzen zu schließen, „sondern Brücken zwischen Regierungen und Völkern zu bauen“.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen rief Trump dann im Januar 2025 einen „nationalen Notstand“ an der Grenze zu Mexiko aus. Auch CPB One, eine App über die Termine für Asylanträge vereinbart werden können, wurde im Januar eingestellt, alle schon geplanten einfach storniert.
Über den Stopp der App informierte auch El Jaguar Ende Januar auf Facebook. Dutzende Fragen reihten sich unter den Beitrag. Wie geht es weiter? Hat die mexikanische Asylbehörde noch offen und kann man Termine vereinbaren? „Comar arbeitet wie gewohnt weiter. Lass dich nicht täuschen, es sind eine Menge falscher Informationen im Umlauf“, antwortete der Account. Nur eine Minute vorher postete die Seite einen weiteren Beitrag: „Denk dran, Mexiko ist auch eine Option, um als geflüchtete Person Schutz zu beantragen“.
Diese Recherche entstand im Rahmen einer von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen organisierten Reise nach Mexiko im November 2024.
Redigatur: Uschi Jonas
*Die Namen der Personen wurden zu ihrem Schutz geändert.