
Es ist eine knappe Woche her, dass wir einen neuen Bundestag gewählt haben. Und schon wird sofort gezerrt oder auch frei von der Leber weg kommentiert, was alles politisch auf keinen Fall funktionieren kann.
Mein Kollege Finn Schöneck fand gestern auf der Social Media-Plattform BlueSky einen schönen Kommentar der österreichischen Publizistin Natascha Strobl. Sie schrieb: „Ich wäre dann bereit für politische Hoffnung statt tägliches starres Entsetzen überall.“ Offensichtlich bezog sie sich auf die zustande gekommene Koalition in Österreich aus ÖVP, SPÖ und den Neos.
Ich schließe mich dem vollen Herzens an. Statt mit Schaum vorm Mund jede Gelegenheit zu nutzen, politische Kämpfe zu inszenieren, sollte die Politik den Moment nicht verstreichen lassen, dass sich eine neue Regierungsmehrheit konstruktiv sortieren kann.
Von journalistischer Seite geht es selbstverständlich darum, an relevanten Stellen zu bohren, aber nicht an jeder Ecke rumzuprokeln. Wichtig ist etwa, wie Europa gerade von außen beeinflusst wird oder welche politischen Themen nicht transparent genug diskutiert werden. Mehr dazu unten.
Wir hatten uns bekannterweise diese Woche entschieden, auf die kleine Anfrage der Union an die Bundesregierung selbst zu antworten – klar und transparent. Es ging ja um 551 Fragen zu verschiedenen Organisationen, davon 34 Fragen direkt zu uns, die der CDU offenbar so wichtig waren, dass dieser Fragenkatalog eine der ersten Aktionen nach der Wahl war, die sie zum Thema gemacht hat. Dazu durfte ich beim Sender Phoenix eine Einordnung aus unserer Sicht geben, die Sie hier sehen können.
Kleine Anekdote: Die ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder schrieb auf X, dass es bei den Fragen unter anderem darum ginge, „ob der Staat NGOs mit beträchtlichen Summen finanzieren sollte, die ganz überwiegend politisch weit links stehen oder auch im islamistischen Milieu verankert sind.“ Warum wir damit gemeint sein sollten, erschließt sich mir nicht. Wir haben die CDU eingeladen, uns kennenzulernen, und freuen uns darauf, sie über unsere Arbeit aufzuklären.
Denn mit allem was wir tun – den Recherchen, den Bildungsprojekten, den Faktenchecks – versuchen wir dazu beizutragen, dass Menschen informiert sein können, dass Missstände gelöst werden und die Gesellschaft nicht abkippt.
In diesem Sinn empfehlen wir Ihnen auch diese Woche spannende Recherchen, die national und international erschienen sind. Exklusiv für Sie schreibt mein Kollege Can Dündar, Chef von Özgürüz, zudem am Ende dieses Spotlights in einer Analyse, was es mit dem möglichen Ende der PKK als Terrororganisation auf sich hat.
Ihr
Justus von Daniels
Fehlende Kontrolle bei Vergabe von Berateraufträgen
Die Bundesregierung beauftragt jedes Jahr externe Berater, um digitale Verwaltung oder Großprojekte voranzubringen. Eigentlich ein ganz gewöhnlicher Vorgang, nur: Teilweise werden diese Aufträge nicht öffentlich ausgeschrieben oder gehen seit Jahren immer an dieselbe Person. Die Recherche von FragDenStaat und NDR zeigt: die Vergabe ist oft intransparent, chaotisch und anfällig für Vetternwirtschaft und Steuerverschwendung. FragDenStaat hat die Berater-Datenbank für jedermann durchsuchbar gemacht. Vielleicht kennen Sie ja einen der genannten Berater?
Wie Berater*innen vom Staat Hunderte Millionen Euro kassieren
Durchsuchbare Datenbank (fragdenstaat.de)
AfD-Vertrauter wegen Bestechung angeklagt
Maximilian Krah zieht für die AfD in den neuen Bundestag ein. Erst kürzlich, im November 2024, reiste Krah nach Russland, um dort seinen „alten Freund“ Oleg Voloshin zu treffen. Nun wurde Oleg Voloshin in Großbritannien wegen Bestechung von EU-Abgeordneten angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, Teil einer pro-russischen Einflussoperation zu sein. Die Freundschaft zwischen Voloshin und Krah ist ein weiteres Puzzleteil, das enge Verbindungen von AfDlern mit mutmaßlichen russischen Agenten zeigt.
Bestechung: Anklage gegen Krah-Vertrauten erhoben (t-online.de)
Ein vergessenes Kapitel
Neonazis, migrantischer Widerstand und ein vergessenes Kapitel aus dem Ruhrgebiet: Der Podcast „Grauzone Pott“ schildert, wie Menschen in den 1980er und 1990er Jahren gegen rechte Gewalt kämpften – mitten im Ruhrgebiet. Mit Zeitzeugen und unveröffentlichtem Archivmaterial beleuchtet er eine Vergangenheit, die eng mit unserer Gegenwart verknüpft ist.
Grauzone Pott (grauzone-pott.de, Podcast)
Stellt sich Deutschland gegen das Völkerrecht?
Nach seinem Wahlsieg lud Friedrich Merz den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu nach Deutschland ein – trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Netanjahu. Diese Einladung wirft Fragen auf: Kann Kanzler Merz eine Verhaftung Netanjahus in Deutschland verhindern? Und wie würde sich das auf Deutschlands völkerrechtliche Pflichten und das Verhältnis zum IStGH auswirken? Die FAZ analysiert die rechtlichen und diplomatischen Folgen dieser heiklen Entscheidung.
Einladung mit schweren Folgen (faz.de, €)
Der mutmaßliche Organisator des Nord-Stream-Anschlags
Der ehemalige ukrainische Geheimdienstoffizier Roman Chervinsky steht im Verdacht, den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines im September 2022 organisiert zu haben. Er äußerte sich erstmals gegenüber dem New Yorker zu den Vorwürfen. Das US-Magazin sprach auch mit ehemaligen Kollegen und anderen Quellen über Chervinskys Karriere: Zwei Jahrzehnte lang führte er Operationen für den ukrainischen Geheimdienst, darunter Attentate und Sabotageakte. Die Recherche bietet zudem neue Einblicke, wie der Anschlag auf die Pipelines zustande gekommen sein könnte.
The Adventures of a Ukrainian Intelligence Officer (newyorker.com, Englisch)
„Grausam und rücksichtslos“
Am Donnerstag bekamen Hunderte Angestellte der NOAA – eine US-Behörde, die Klimawandel-Daten überwacht und Wetterkatastrophen vorhersagt – per E-Mail mitgeteilt, dass sie von heute auf morgen gekündigt würden. Absender: die Trump-Administration. Die Folgen, befürchten Expertinnen und Politiker könnten gravierend sein. Denn die NOAA forscht nicht nur zur Klimakrise, sondern überwacht den Zustand der Fischereibestände und betreibt Wettersatelliten, die zur Vorhersage von Stürmen genutzt werden. Wie Politik, Wissenschaft und betroffene Angestellte auf die Kürzungen reagieren und warum manch einer um Menschenleben fürchtet, hat der Guardian in diesem Text zusammengefasst.
‘Cruel and thoughtless’: Trump fires hundreds at US climate agency Noaa (theguardian.com, Englisch)
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CORRECTIV Inside
Abdullah Öcalan, der Führer der PKK, die in der Türkei und in Deutschland als terroristische Vereinigung gilt, hat am Donnerstag die von ihm vor fast 50 Jahren gegründete Organisation aufgefordert, sich aufzulösen und die Waffen niederzulegen. Er sagte, dass „Waffen und Gewalt keine Legitimität mehr haben“. Dies ist ein historischer Schritt. Denn mit diesem Aufruf kann ein Krieg beendet werden, der in einem halben Jahrhundert fast 50.000 Menschen das Leben gekostet hat. Der Aufruf hat nationale und regionale Gründe:
Die Unterstützung der Kurden könnte es Erdoğan ermöglichen, die Verfassung zu ändern und für eine weitere Amtszeit Präsident zu bleiben. Noch wichtiger ist, dass Öcalans Einfluss auf die syrischen Kurden den Träumen Ankaras von einer Hegemonie in Syrien Nahrung geben könnte. Es ist kein Geheimnis, dass auch die Trump-Administration Vorstöße für einen Frieden mit den Kurden und die Eindämmung des IS gemacht hat.
Nun stellt sich die Frage, was die Kurden von diesem Abkommen haben werden: Am Ende könnten eine Verfassungsänderung zur Anerkennung der Existenz und der Rechte der Kurden und eine Generalamnestie stehen.
Wenn Ankara diese Schritte unternimmt, könnte sich das Schicksal der Türkei und der Region ändern. In den Jahren 1993 und 2009, als zwei Friedensversuche scheiterten, hatte ein viel blutigerer Prozess begonnen. Diesmal scheinen sowohl die globale Konjunktur als auch die inneren Gleichgewichte für den Frieden zu sprechen. Beobachter bezeichnen die nationale Stimmung als „vorsichtigen Optimismus“.
CORRECTIV und die NGO-Anfrage der Union
Es war ja einigermaßen überraschend, dass die Union uns als „NGO“ bezeichnet und in den Zusammenhang der Demonstrationen gegen die Union stellt. Beides ist falsch und das haben wir hier und hier auch beschrieben. In ihrer Anfrage bezieht sich die Fraktion auf einen Meinungs-Text der Welt mit dem ursprünglichen Titel „Der deutsche Deep State und seine gefährliche Macht“. Oha. Eine aufmerksame Leserin wies uns auf eine Analyse der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung hin, in der nochmal sehr klar steht, dass „Deep State“ Argumente aus der Kiste der Verschwörungsideologien kommen. Die CDU zitiert aber auch einen kritischen Artikel von uns zum Einfluss auf die Partei, sie weit nach rechts zu ziehen und eine Minderheitenregierung zu provozieren. Dieser Text ist seitdem nochmal stark gelesen worden. Es ist eine sorgfältige Recherche, die offenbar einen Kern trifft.
correctiv.org
Religiöse Rechte in Deutschland suchen Schulterschluss mit Trump
Seit dem Wahlsieg Trumps treiben christliche Aktivisten und Abtreibungsgegner in Deutschland deutlich offener und offensiver die internationale Vernetzung voran. Das kommt dem MAGA-Lager sehr gelegen.
correctiv.org
AfD und Linke: Beide gegen militärische Hilfe für die Ukraine
Im Bundestag prallen Linke und AfD oft aufeinander – doch bei der Finanzierung der militärischen Unterstützung für die Ukraine gibt es Übereinstimmungen: Beide lehnen sie ab – die notwendige Zweidrittelmehrheit ist so unwahrscheinlich.
correctiv.org
Lust auf Lokales
Nicht bei uns erschienen, aber von unserem Kollegen Jonathan Sachse ist dieser Essay in den epd medien über die Zukunft von Lokalmedien. Als Leiter von CORRECTIV.Lokal hat er einen unglaublich breiten Überblick über die Lage des Lokaljournalismus. Er beschreibt, wie es gelingen kann, unter anderem mit guten Recherchen, mit Vernetzung untereinander und klugen Dialog-Formaten, Lust auf lokalen Journalismus zu machen.
Dialog, Recherche, Vernetzung (epd.medien.de)
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Max Bernhard, Marie Bröckling, Finn Schöneck und Gesa Steeger.
CORRECTIV ist spendenfinanziert
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