Keime aus Schweinen
In Dänemark leben zwei mal so viele Schweine wie Menschen. Die Tiere kriegen auch doppelt so viele Antibiotika. Ein perfekter Nährboden für resistente Keime – den die Politik bisher nicht loswerden konnte.
Im November 2013 bekam ein 63-jähriger Mann mit Diabetes und schweren Nierenerkrankungen Fieber. Seine Niere hatte sich entzündet. Der Mann hatte sich mit MRSA infiziert. Ursprünglich stammte der Erreger dieses Patienten von Schweinen. Fachleute bezeichnen den Erreger mit CC398. Drei Wochen später war der Mann tot.
Auf der Suche nach der Quelle der Infektion fanden die Ärzte heraus, dass der Mann sich bei einem anderen Patienten angesteckt hatte. Dieser Mann trug denselben Typ MRSA in Nase und Rachen. Und er hatte sich in derselben Ambulanz im Odense Universitätsklinikum in Dänemark aufgehalten.
Ein tierischer Erreger springt direkt von Mensch zu Mensch. Erstmals konnten dänische Ärzte dies bei diesem und einem weiteren Fall nachweisen. Den Fall beschrieben sie im Journal „Emerging Infectious Diseases“ im Mai 2016. Der Erreger braucht also keine Schweine mehr, um Menschen anzugreifen.
„Wir haben hier eine Epidemie, die außer Kontrolle geraten ist. Die Behörden haben erstaunlich wenig getan und scheinen auf allen Ebenen überfordert zu sein“, schreibt Hans Jørn Kolmos vom Institut für klinische Mikrobiologie der Universitätsklinik Odense im September 2013.
Kolmos griff außerdem die Behörden wegen ihrer Untätigkeit angesichts der hohen Infektionsrate in der Schweineindustrie an, im Danish Journal of Physicians. „Die dänische Veterinär- und Lebensmittelbehörde hat jetzt, sieben Jahre nachdem das Problem bekannt wurde, immernoch keinen Überblick über die Epidemie und hat nichts getan, um die Verbreitung von Infektionen unter Schweinen zu stoppen.“
Mehr Schweine als Menschen
Dänemark hat das weltweit höchste Verhältnis von Schweinen zu Menschen. Auf 5,7 Millionen Einwoher kommen in Dänemark 12,7 Millionen Schweine. Das spiegelt sich auch im Antibiotika-Verbrauch wieder. Im Jahr 2014 nutzen Menschen 53 Tonnen Antibiotika, Schweine bekamen 86 Tonnen.
Als 2007 der erste Mensch an einem von Schweinen stammenden MRSA-Keim erkrankte, passierte erst einmal wenig, um die Verbreitung zu stoppen. Der Keim schadete den Tieren damals nicht und tut es auch heute nicht.
Die Behörden überprüften zwar die Menge an infiziertem Fleisch in den Schlachthäusern. Aber niemand verlangte von den Bauern, ihre Schweine zu testen. So waren die Bauern auch nicht in der Lage, Besucher und Angestellte über das Risiko einer möglichen Infektion zu warnen.
Heute testen Bauern ihre Schweine immer noch nicht. Stattdessen sagen sie nun, dass jedes Schwein als infiziert gelten sollte. Angestellte, Besucher und Nachbarn eines Schweinestalls sollen also selbst dafür Sorge tragen, ihre Hände und Kleidung möglichst oft zu waschen, um Infektionen zu vermeiden. Ebenso sollen Krankenhäuser eigene Vorsichtsmaßnahmen einleiten und Schweinewirte als Risikopatienten behandeln.
Für alle anderen Länder in Europa ist diese Entwicklung alarmierend. Laut Eurostat ist Dänemark bei weitem der größte Schweinefleisch-Exporteur Europas. Im Jahr 2013 kamen mehr als die Hälfte der Ferkel für Europa aus Dänemark. Also läuft auch der Rest Europas Gefahr, sich mit MRSA von dänischen Ferkeln anzustecken.
Vorschlag der Taskforce abelehnt
Nachdem das Bewusstsein für das Problem in der Bevölkerung seit 2010 gewachsen war, gründete die damalige Landwirtschaftsministerin, Mette Gjerskov, eine Taskforce. Diese stellte mehrere Initiativen vor, um die Verbreitung der Keime zu stoppen.
Die Taskforce wollte zuerst herausfinden, wo die Keime überall zu finden sind. Danach sollte ein MRSA-freier Handelskorridor errichtet werden. Doch der Leiter der dänischen Veterinär- und Lebensmittelbehörde, Per Henriksen, lehnte den Plan still ab. Stattdessen starteten die Behörden mehrere kleine Initiativen. All diesen Initiativen liegt die Annahme zu Grunde, dass alle dänischen Schweine mit MRSA infiziert sind.
Die dänische Veterinär- und Lebensmittelbehörde und das Landwirtschaftsministerium weigerten sich, zu sagen, in welchem Maststall infizierte Schweine leben. Erst ein Gericht musste die Behörden dazu zwingen, die Informationen im März 2016 herauszugeben.
Ein Hauptproblem besteht darin, dass nur ein kleiner Teil der Mastanlagen überhaupt überprüft wird. Also gibt es meist keine Informationen darüber, ob Mastställe belastet sind. Dementsprechend gibt es auch keine MRSA-freien Handelskorridore. Investigative Reporting Denmark hat dazu einen Bericht veröffentlicht.
Antibiotika-Verbrauch in Mastställen
Als sich die Bevölkerung im Jahr 2010 über die Gefahren von MRSA bewusst wurde, führte das dänische Parlament auch das Gelbe-Karte-System ein. Das soll dazu dienen, Bauern zu warnen und zu bestrafen, wenn ihr Antibiotika-Einsatz unverhältnismäßig hoch ist.
Seit der Einführung des Systems haben laut Investigative Reporting Denmark bis 2014 insgesamt 130 Bauern die gelbe Karte erhalten. Um den Antibiotika-Verbrauch zu kontrollieren, hatten die Behörden ein System erstellt, mit dem sie Daten zum Antibiotika-Verbrauch und der Anzahl der Schweine in jedem der 4000 Mastställe in Dänemark sammelten.
Nachdem Investigative Reporting Denmark die Daten erhalten hatte, präsentierten die Reporter eine Methode, mit der sie den Antibiotika-Verbrauch von jeder Schweinefarm in Dänemark bestimmen konnten. Im Oktober 2014 veröffentlichte Investigative Reporting Denmark die Daten.
Sechs Jahre Ringen um Daten
Das System zur Erfassung des Antibiotikaverbrauchs in der Tiermast, Vetstat genannt, wird in Dänemark schon seit zwanzig Jahren benutzt. Weil der Antibiotika-Verbrauch seit 2009 um 16 Prozent gesunken ist, wird die Einführung des Systems als Erfolg verbucht. Der derzeitige dänische Landwirtschaftsminister, Esben Lunde Larsen, hofft sogar, dass es Teil einer neuen EU-Initiative gegen die Verbreitung von resistenten Keimen sein wird.
Die Daten, die die Behörden mit Vetstat gesammelt hatten, wurden jedoch jahrelang nicht öffentlich herausgegeben. 2006 hatte Investigative Reporting Denmark die Daten angefordert. Erst sechs Jahre später, 2012, kamen sie an.
Heftige Kritik
Die Danish Audit Agency, der dänische Bundesrechnungshof, hatte im Oktober 2014 angekündigt, den Umgang des Ministeriums für Lebensmittel und Landwirtschaft und der dänischen Veterinär- und Lebensmittelbehörde mit von Schweinen stammendem MRSA zu überprüfen. Im Oktober 2015, als die Untersuchung beendet war, hagelte es heftige Kritik.
Laut der Untersuchung ging es dem Ministerium nur darum, die Kosten für die Schweinefleisch möglichst gering zu halten – ungeachtet der Verbreitung von MRSA und den Konsequenzen für die Bevölkerung.
Der Dänische Rechnungshof verschaffte sich Zugriff auf interne Dokumente und beschrieb, wie die MRSA-freien Handelskorridore still und leise abgelehnt wurden. Allerdings hat die Behörde die Dokumente nie veröffentlicht.
Während sich die dänischen Behörden in den vergangenen Jahren auf von Schweinen stammendes MRSA konzentrierten, stieg auch die Zahl der MRSA-Fälle, die von dänischen Touristen aus anderen Ländern eingeschleppt wurden. Heute werden vier von zehn MRSA-Fällen von Schweinen verursacht, bei MRSA mit Herkunft aus anderen Ländern sind es zwei von zehn. Ärzte schätzen, dass etwa 12.000 Dänen Träger von Schweine-MRSA sind – die meisten wohl ohne es zu wissen..
Die neuen gefährlichen Erreger
Neue Gefahr geht laut den dänischen Behörden aber auch von zwei anderen, multiresistenten Erregern aus: VRE und CPE.
Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) sind Bakterien, die Resistenzen gegen mehrere Antibiotika, besonders gegen Vancomycin, entwickelt haben. Enterokokken können schwere Infektionen verursachen, besonders bei Menschen, die schwach und krank sind. Oft sind sie für Entzündungen im Darm, im Harnweg oder an Wunden verantwortlich. 2015 wurde VRE bei 382 dänischen Patienten gefunden, sieben Mal so häufig wie in 2012.
CPE sind Bakterien, die Resistenzen gegen Antibiotika der Klasse Carbapeneme ausgebildet haben. Carbapeneme gelten als Reserveantibiotika. Experten handeln CPE als neuen, hochgefährlichen Keim. Der resistente Keim tötet die Hälfte aller Patienten, bei denen er in die Blutbahn gelangt. 2014 wurde CPE bei 29 dänischen Patienten festgestellt – doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Oft waren diese Patienten in einem anderen Land im Krankenhaus, bevor sie nach Dänemark kamen.
Patienten werden nicht auf VRE und CPE überprüft. Die Dunkelziffer der Träger könne also viel höher sein, warnt Dr. Robert Leo Skov vom Statens Serum Institut.