Warum so wenige Geflüchtete in Deutschland einen Job finden
375.000 Geflüchtete suchen in Deutschland einen Job. Deutschlands wichtigste Konzerne haben bisher 125 Geflüchtete eingestellt. Alle Bundesministerien zusammen beschäftigen: 2. Was läuft schief?
125. Das ist die offizielle Zahl, Stand Mitte September. So viele – oder besser: so wenige – Geflüchtete haben die 30 wichtigsten deutschen Konzerne eingestellt. Dazu kommen Praktikums- und Ausbildungsplätze.
Warum haben nicht mehr Geflüchtete einen guten Job? Warum geht es so schleppend voran? Kanzlerin Merkel hat die Frage zur Chefsache gemacht. An diesem Mittwoch trifft sie sich mit Vertretern jener Unternehmen, die der Initiative „Wir zusammen – deutsche Unternehmen engagieren sich für die Integration von Flüchtlingen“ angehören.
CORRECTIV hat vorab bei den DAX-Konzernen nachgefragt. Sie sprechen von vier Hürden, die die Integration der Neubürger in den Arbeitsmarkt erschweren würden.
Erste Hürde: Die Sprache
Bislang sprechen die wenigsten Geflüchtete fließend Deutsch. In den ersten vier Monaten diesen Jahres besuchten rund 20.000 Syrer und 2.300 Iraker einen Integrationskurs. In solchen Kursen lernen sie Deutsch und die deutsche Kultur kennen. Viele Unternehmen stellen nur Leute ein, die einen Integrationskurs gemacht haben. Wobei bislang nicht alle Geflüchteten dazu gezwungen werden, einen solchen Kurs zu machen. Die Unternehmen fordern: Es müsste mehr und intensivere Sprachkurse geben – verpflichtend für alle. „Gute und schnelle Sprachkurse sind immens wichtig“, sagt Kathrin Schnurr von Daimler. Auch beim Technologiekonzern Linde gehe ohne fließendes Deutsch gar nichts. Wer mit Chemikalien arbeite, dürfe einfach keine Fehler machen, weil „auch mal etwas explodieren kann“, so ein Sprecher.
Auf dem Portal workeer.de geben Geflüchtete an, welche Jobs sie suchen und auf welchem Niveau sie deutsch sprechen. Die Selbstauskünfte von mehr als 2200 Bewerbern haben wir visualisiert.
Grundlagen: A1, A2. Gut: B1, B2. Sehr gut: C1, C2.
Geflüchtete auf der Jobsuche
Alter der Bewerberin
bzw. des Bewerbers
↓
Stand: Juli 2016. Grafik: Lam Thuy Vo.
Zweite Hürde: Die Ausbildung
Händeringend werden in einigen Regionen Deutschlands Fachkräfte gesucht. Inzwischen ist klar: Die Geflüchteten werden sehr lange brauchen, ehe sie in diese Jobs hineinwachsen.
Im August suchten rund 375.000 Geflüchtete einen Job, meldet die Arbeitsagentur. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea, Pakistan, Nigeria und Somalia. Die meisten sind männlich und zwischen 25 und 35 Jahre alt. Knapp 240.000 haben Angaben zu ihrem Schulabschluss gemacht: Danach hat rund die Hälfte keinen Schulabschluss und knapp ein Drittel hat Abitur.
Bayer sucht Chemiker, Physiker, Mathematiker – Fächer, die in den Heimatländern vieler Geflüchteter nicht in der Schule gelehrt werden, sagt Sprecher Markus Siebenmorgen. Der Allianz fehlen „Qualifikationen für die Versicherungsbranche“. Die Lufthansa kann die genaue Identität und Herkunft einer Person „nicht immer einfach“ überprüfen – wozu sie nach dem Luftsicherheitsgesetz aber verpflichtet sei.
Fehlanzeige auch bei der Deutsche Bank – wo eine Ausbildung als Bankkaufmann oder –frau die mindeste Voraussetzung sei, sagt Unternehmenssprecher Tim Ambrosuis. Das Unternehmen will demnächst überlegen, wie man die Anforderungen für bestimmte Jobs, etwa in der Sachbearbeitung, verringern kann.
Allein der Wohnungsriese Vonovia würde auch Geflüchtete einstellen, die geringer qualifiziert sind – als Hausmeister, Handwerker oder Gärtner. Theoretisch. Praktisch scheitert es hier am Führerschein. Der ist ein Muss – und den hat fast keiner der Geflüchteten, sagt Sprecher Max Niklas Gille.
Dritte Hürde: Die Bürokratie
Asylverfahren dauern zu lange. Sie sollten schneller abgeschlossen werden. Das fordern die Sprecher von Vonovia, Daimler, BASF, Henkel und ProsiebenSat1. Matthias Link von der Medizintechnikfirma Fresenius sagt, oft sei gar nicht klar, ob eine Person überhaupt Asyl erhalte – oder später in eine andere Region versetzt werde. Planungssicherheit sehe anders aus.
Und: In manchen Regionen sind die Ämter kleinlich, in anderen großzügig. Auch das führt zu Verwirrung. „Ermessensspielräume werden unterschiedlich ausgelegt“, kritisiert Henkel-Sprecherin Rabea Möllers.
Vierte Hürde: Falsche Vorstellungen
Wer als Dachdecker oder Maler arbeitet, muss nicht fließend Deutsch können. Wer als Mechatroniker bei Daimler arbeitet, schon. Viele der DAX 30-Unternehmenssprecher betonen, dass die Integration bei ihnen nicht über einfache Jobs laufen könne. Sie wünschen sich, Facharbeiter mit langfristiger Perspektive auszubilden. Viele Unternehmen haben Programme eingerichtet, in denen Geflüchtete auf eine Ausbildung vorbereitet werden sollen. Doch das wird Jahre dauern.
Derweil trauen sich manche Geflüchtete mehr zu, als sie vielleicht können. Und sind dann enttäuscht, wenn man ihnen keine Facharbeiterstelle anbietet, sondern einen Ausbildungsplatz. „Die Geflüchteten wünschen sich ein gutes Facharbeitergehalt von 4000 Euro – bringen aber oftmals nicht die notwendigen Qualifikationen mit“, betont Steffen Brinkmann, Personalleiter beim Autozulieferer Continental. Wirtschaft und Politik müssten die Geflüchteten stärker über den Wert der dualen Ausbildung in Deutschland aufklären, fordert Brinkmann.
Zuhören, nicht kritisieren
Was Angela Merkel mit den Unternehmen bespricht, soll nicht öffentlich werden, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Nur so viel: Die Kanzlerin wolle „nicht kritisieren“, sondern „lernen von dem, was die Unternehmen und Betriebe in den vergangenen Monaten erlebt haben“. Vielleicht nimmt Angela Merkel ja auch mit, was ProsiebenSat1 fordert: Die Politik solle der Wirtschaft Lösungsansätze vorlegen.
Und die Kanzlerin könnte sich bei der Gelegenheit auch in ihrem Verantwortungsbereich umschauen. Die vierzehn Bundesministerien haben bislang zwei Geflüchtete eingestellt. Insgesamt. Die beiden arbeiten beim Bundespolizeipräsidium. Hinzu kommen einige Ausbildungsplätze im Innen-, im Arbeits- und im Familienministerium.
Einige Ministerien und Unternehmen haben keine konkreten Zahlen genannt. Sie würden nicht erfassen, ob neue Beschäftigte Geflüchtete sind. Vermutlich liegen die Zahlen deshalb etwas höher. Das Verteidigungsministerium bietet derzeit 25 Syrern eine vierwöchige „Kurzausbildung Bau“. Um sie auf einen Job in Deutschland vorzubereiten – oder auf den „Wiederaufbau ihrer Heimat“.