Kruzifix! Katholiken, Protestanten und AfD
Mehrere CDU-Politiker, der katholische Erzbischof Heiner Koch und die AfD-Politikerin Beatrix von Storch marschieren an diesem Samstag vor den Reichstag, um gegen Schwangerschaftsabbrüche zu protestieren. Die Rechtspopulisten fischen seit Monaten unter radikalen Christen erfolgreich nach Anhängern.
7000 Abtreibungsgegner kamen im vergangenen Jahr zum „Marsch für das Leben“ nach Berlin. Seit 2010 organisiert der „Bundesverband Lebensrecht e.V.“ unter dem Vorsitz von Martin Lohmann jedes Jahr die Christen-Demo. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch wird dieses Jahr auch wieder dabei sein, wie ihr Berliner Büro gegenüber CORRECTIV erklärte. Welche prominenten Politiker und Kirchenleute auf der Kundgebung sprechen werden, wollen die Organisatoren aber noch nicht verraten.
Mitläuferin von Storch ist auch Landessprecherin der AfD in Berlin. Einen Tag nach der Demo der Abtreibungsgegner findet die Landtagswahl in Berlin statt – beste Wahlkampfhilfe also für Frau von Storchs AfD im konservativ-christlichen Milieu. Denn der Kampf gegen die Abtreibung ist der zentrale Punkt radikaler Christen in Deutschland und die AfD bietet sich ihnen als neue politische Heimat an.
Von Storch ist wie kein anderer AfD-Promi das Scharnier zwischen Rechtspopulisten und radikalen Christen. Sie steht für eine christlich-fundamentalistische Ausrichtung der Partei und organisiert seit Jahren zusammen mit ihrem Ehemann Sven von Storch ein Netzwerk aus Plattformen und Vereinen, die die klassische Familie und den Lebensschutz propagieren und gegen den „Gender-Mainstream“ wettern. Zu den Organisationen gehören unter anderem die „Zivile Koalition“ oder die www.freiewelt.de. Bei beiden Websites steht Storchs Ehemann Sven als Verantwortlicher im Impressum.
Auf der Webseite „Marsch für das Leben“ sind jene Organisationen als Unterstützer aufgeführt, die seit langem in den Kampf gegen die Abtreibung führen. Dazu zählen „Ärzte für das Leben“ ebenso wie das „Forum Deutscher Katholiken“ oder die „Deutsche Evangelische Allianz“. Zentrale Forderungen der Marschierer ist ein „Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“, das heißt: ein „Verbot aller Pränataldiagnostik“, die „weitgehende Finanzierung der Abtreibungen durch den Staat“ seien „umgehend einzustellen“, das bisherige Abtreibungsgesetz sei „einer Korrektur zu unterziehen“ und sowohl die Sterbehilfe als auch die Beihilfe zum Suizid sei zu verbieten, wie der „Bundesverband Lebensrecht“ auf seiner Website schreibt.
Das Erzbistum Berlin teilt auf seiner Facebookseite mit, dass auch Erzbischof Heiner Koch, der ranghöchste Katholik in der Hauptstadt, am Samstag am Marsch teilnehmen werde.
Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner schickte nach Angaben des Onlinemediums katholisch.de ein Grußwort und lobte die Bereitschaft der Marschierer, „ihre Überzeugung öffentlich kund zu tun und dafür einzustehen“. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok würdigte den Marsch als „Vorbild für politisches Engagement“. Wenig begeistert zeigt sich dagegen die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg vom „Marsch für das Leben“. Die Kirchenleitung lehne eine Unterstützung ab, sagte Sprecher Christoph Heil auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, Gründe seien „inhaltliche Differenzen“ und die „aggressive Art und Weise“, in der die Marschierer ihre Positionen vertreten.
Als einzige offizielle Unterstützer unter den politischen Parteien tauchen allein die Verbände der CDU auf wie die Junge Union oder „Christdemokraten für das Leben“. Die CDU war lange die Heimat der Abtreibungsgegner in Deutschland. Nachdem 1992 mit Hilfe der CDU-Politikerin Rita Süssmuth die Liberalisierung des Abtreibungsparagraphen 218 beschlossen wurde, fühlten sich die Abtreibungsgegner in der CDU nicht mehr verstanden.
Auch Martin Lohmann, Hauptorganisator des „Marschs für das Leben“, war lange CDU-Mitglied und trat 2013 aus. „So gut wie alle wesentlichen Kernpunkte sind in den vergangenen Jahren von der Parteiführung der CDU vernachlässigt oder faktisch ausgehöhlt worden“ kritisiert Aktivist Lohmann auf Facebook, dazu zählt für ihn auch „Schutz und Förderung der Familie sowie Schutz des ungeborenen Menschen“.
Jetzt bietet sich den konservativen Christen mit der AfD und dem Aushängeschild von Storch eine neue Partei als Heimat an. Lohmann versucht gleichwohl zu beschwichtigen: Die „Teilnahme einer bekannten AfD-Politikerin in erster Reihe des Marsch“ würde nichts daran ändern, dass die „Demonstration KEINE parteipolitische Veranstaltung ist“, schreibt er auf Facebook.
Das Netzwerk der Abtreibungsgegner
Polemik gegen „Lifestyle-Abtreibungen“
Lohmann lobt aber gleichzeitig das Engagement von Storchs gegen Abtreibungen. Die Adelsdame unterstütze „das Anliegen des Lebensschutzes seit vielen Jahren“ und dies schon lange vor Gründung der AfD. Lohmann reagierte damit auf Facebook auf Nachfragen zur möglichen Teilnahme von Storchs beim „Marsch für das Leben“.
In der AfD gibt von Storch die familienpolitischen Themen vor. Geht es nach ihr, soll das klassische Familienbild gestärkt und der Gender-Mainstream abgelehnt werden. Genau das hat auch der Parteitag im April in Stuttgart beschlossen.
Die Abtreibungsgegner in der AfD erzielten auf dem Parteitag zudem einen Achtungserfolg. Die AfD-Jugend stellte den Antrag, die Möglichkeiten einer legalen Abtreibung massiv einzuschränken. Ein Aktivist der AfD-Jugend begründete den Antrag damit, da es in Deutschland zu viele „Lifestyle-Abtreibungen“ gebe. Der Antrag gewann zwar nicht die Mehrheit – allerdings erhielt er mehr als 30 Prozent Zustimmung unter den anwesenden Mitgliedern.
Die AfD sei die einzige Partei in Deutschland, in der der Lebensschutz eine „große Unterstützung“ habe, sagte von Storch in Stuttgart. Beim Lebensschutz stoßen die Christen innerhalb der AfD auf offene Ohren bei völkisch argumentierenden Rechtsauslegern. Der AfD-Chef von Thüringen, Björn Höcke, beklagt zum Beispiel regelmäßig, dass zu wenig deutsche Kinder geboren würden.
Anette Schultner leitet die Vereinigung „Christen in der AfD“ (Chrafd). Sie nennt sich selbst eine „konservative Christin“ und hat 2013 dem damaligen Parteichef Bernd Lucke vorgeschlagen, „Chrafd“ zu gründen, sagt sie gegenüber correctiv.org.
Die Bundesvereinigung „Chrafd“ schweigt sich über die genaue Zahl ihrer Mitglieder aus, sie liege aber im dreistelligen Bereich. Bei Facebook hat „Chrafd“ über 3000 Unterstützer und wirbt aktiv für die Demo am kommenden Samstag: „AfDler sind auch dieses Jahr Teil des überparteilichen Demonstrationszuges des Marsches für das Leben.“
„Eine Million konservative Christen“
Durch die „Linksverschiebung der CDU“, seien Menschen, die für die christlichen Werte wie das Familienbild oder Lebensschutz stünden, politisch „heimatlos“ geworden, sagt Chrafd-Chefin Schultner. Die AfD könne nun der neue „politische Hafen“ werden. Auch Schultner war mal CDU Mitglied, seit drei Jahren ist sie nun aber in der AfD. In Deutschland gebe es „mindestens eine Millionen konservativer Christen“, die mit ihrem Anliegen nur noch durch die AfD wirksam vertreten seien, glaubt Schultner.
Schultner und Co dringen mit ihren Botschaften weit in die Szene der radikalen Christen ein. Die Chrafd-Chefin erklärte unter dem Titel „Ist die AfD für Christen wählbar?“ in der evangelischen Wochenzeitung IdeaSpektrum, warum dies der Fall sei. Die AfD bekenne sich nicht nur „zu den christlichen Wurzeln unserer Kultur, sondern will auch ganz konkret unbiblische Entwicklungen wieder abschaffen“, wie etwa wie „Gender-Mainstreaming“. Außerdem setze sich die AfD „explizit für die traditionelle Ehe ein“ und wolle „die Frühsexualisierung an den Schulen bekämpfen“.
Für Frau Schultner ist Idea ein ideales Forum. Mit wöchentlich rund 100.000 Leser ist das Magazin „IdeaSpektrum“ nach eigenen Angaben „das auflagenstärkste evangelische Wochenmagazin“ und wird von der Nachrichtenagentur Idea herausgegeben, die als Sprachrohr der evangelikalen Christen gilt.
Die radikal-konservative Webseite kath.net, die monatlich rund 300.000 Leserinnen und Leser in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit stramm katholischen Botschaften versorgt, übernahm den Beitrag der AfD-Politikerin Schultner.
Während die katholische Kirche nicht direkt mit kath.net in Verbindung steht, wird Idea jährlich mit mehr als 130.000 Euro von der evangelischen Kirche finanziert.
Chrafd-Chefin Schultner lobt die Arbeit von Idea in den höchsten Tönen und sagt auch, dass sie dabei geholfen habe, einen Kontakt zwischen Idea und AfD-Chef Jörg Meuthen zu organisieren, da Meuthens „Terminkalendar randvoll“ gewesen sei. Idea-Chef Helmut Matthies widerspricht dieser Darstellung auf Anfrage, „einer Vermittlung zu Prof. Meuthen bedurfte es nicht“, teilt er per Email mit.
Bischof „unglücklich“ über idea-Finanzierung
Aus Kreisen der Evangelische Kirche Deutschland heisst es, dass die Nähe von Idea zur AfD kritisch gesehen werde. So mancher Landesbischof räumt hinter vorgehaltener Hand ein, dass man „unglücklich“ sei, dass die evangelische Kirche die Nachrichtenagentur mit Rechtsdrall immer noch finanziere – während sich die Kirche offiziell von den Rechtspopulisten distanziere.
Von Storch und Schultner wollen die AfD zur Heimat radikaler Christen machen. Droht Deutschland am Ende eine religiös-fundamentalistische Bewegung wie die „Tea Party“ in den USA? „Die AfD ist für Teile der religiösen Rechten längst zu einem politischen Arm geworden“ sagt die konservativ-kritische Publizistin Liane Bendarz. Insofern gebe es durchaus Parallelen zur „Tea Party“-Bewegung in den USA.
Die katholische und evangelische Amtskirche haben sich inzwischen deutlich von der AfD distanziert. Auf dem Katholikentag in Dresden wurden AfD-Politiker bewusst nicht eingeladen. Aber während die beiden Kirchen unter Mitgliederschwund leiden, wachsen die christlich-fundamentalistischen Bewegungen.
Während sich AfD und radikale Christen beim Thema Familie und Lebensschutz prima verstehen, sind die ideologischen Gegensätze beim Umgang mit Flüchtlingen schwer zu überwinden. Freie Pfingstgemeinden, Protestanten und Katholiken sind bundesweit in der Flüchtlingsarbeit engagiert und unterstützen die von der AfD verächtlich gemachte Willkommenskultur.
Selbst der prominente evangelikale Prediger Ulrich Parzany streitet zum Beispiel in seinen Predigten für die angeblich genaue Wortauslegung der Bibel. Er ist zwar entschieden gegen die Segnung der Homoehe durch evangelische Pfarrer und unterstützt auch die Abtreibungsdemo in Berlin. „Wir dürfen nicht schweigend hinnehmen, dass massenhaft ungeborene Kinder getötet werden“, schreibt er in einem Grusswort.
Aber im Flüchtlingszuzug sieht Parzany eine Chance. „Wir haben die einmalige Möglichkeit mit denen, die zu uns kommen, über den Glauben zu reden“, sagt Parzany. Jesus selbst sei ein Flüchtlingskind gewesen. Der christliche Glaube sei von Nächstenliebe geprägt, sagt der Prediger. Parzany und seine Frau haben zudem zwei Söhne adoptiert, deren leibliche Väter Schwarze waren. „Unsere Jungs haben alltäglichen Rassismus erleben müssen“, sagt Parzany, „das will ich nicht in diesem Land, hier ist meine Grenze.“
Flüchtlinge missionieren – oder bekämpfen?
Während für Christen wie Parzany grundsätzlich alle Menschen gleich, und selbst Moslems zu missionieren sind, wendet sich der völkische Flügel der AfD gegen zu viel Fremde. So beschwört Höcke immer wieder das Ende des „deutschen Volkes“ durch „Multikulturalisierung“. Frauke Petry, Bundessprecherin der AfD, will den Begriff „völkisch“ rehabilitieren und Beatrix von Storch nutzt auch gern mal den völkischen Kampfbegriff des „Bevölkerungsaustauschs“, wenn sie twittert.
Unter dem Banner des Schutzes für das ungeborene Leben werden diese Differenzen allerdings gern vergessen.
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