Hannelore Kraft und die Beschäftigten im Ruhrgebiet
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat in unserem Faktencheck vor einiger Zeit drei von fünf Pinocchios bekommen. Sie hatte in Interviews behauptet, im Ruhrgebiet gebe es mit 2,3 Millionen Menschen wieder genau so viele Beschäftigte, wie zu Hochzeiten von Kohle und Stahl. Wir fanden die Zahl übertrieben. Die CDU im Landtag hat nachgefragt. Kraft lässt sich rausreden.
Die Aussage von Hannelore Kraft im Interview mit der WAZ war kein Zufall. „Wir haben heute im Ruhrgebiet mit 2,3 Millionen wieder genau so viele Beschäftigte wie zu den Hochzeiten von Kohle und Stahl.“ (WAZ vom 12. August 2016) Hannelore Kraft will NRW nicht schlecht reden. Deswegen redet sie es schön. Das hat sie in allen ihren Sommerinterviews gemacht. Das ist bislang ihr erstes erkennbares Grundthema im Landtagswahlkampf. Die anderen reden NRW schlecht. Dabei ist es nicht schlecht. Ich rede es schön. So schön, wie es ist. Im Juli sagte sie in einem Interview mit dem General-Anzeiger in Bonn „Und trotz dieser Langzeitarbeitslosigkeit haben wir auch im Ruhrgebiet mit 2,3 Millionen heute genauso viele Beschäftigte wie zu besten Zeiten von Kohle und Stahl.“
Musik im NRW-Wahlkampf
Wir haben die Melodie des Wahlkampfthemas aufgegriffen und uns die Zahl angeschaut. 2,3 Millionen Beschäftigte im Ruhrgebiet. Das klingt so, als gebe es 2,3 Millionen Arbeiter im Ruhrgebiet. Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Das klingt nach Vollbeschäftigung und Stahl und Erde und Ehrlichkeit.
Nur stimmt diese Zahl so nicht. Auf die Zahl von 2,3 Millionen kommt man nur, wenn man alle nicht sozialversicherungspflichtig tätigen Menschen zu den Beschäftigten hinzuzählt. Dann kommt sie auf die Zahl der Erwerbstätigen, die im Mikrozensus des Jahres 2014 auf die Zahl von 2,3 Millionen Menschen geschätzt wurden.
In einer Antwort auf eine Anfrage der CDU im Landtag NRW versuchen nun die Angestellten von Hannelore Kraft ihre Chefin herauszureden.
Was dabei herauskommt, ist ganz interessant. Zum einen gibt der Chef der Staatskanzlei Franz-Josef Lersch-Mense zu, dass man auf die Zahl von 2,3 Millionen nur kommt, wenn man im Ruhrgebiet Mann und Maus zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hinzuzählt. Mense sagt, diese Menschen nehmen ja am „Erwerbsleben teil“ – das ist seine Umschreibung für „Erwerbstätige.“ Von Beschäftigten will der Chef der Staatskanzlei im Namen seiner Chefin nicht reden: „Frau Ministerpräsidentin hat den Begriff ‚Beschäftigte‘ in diesen beiden Interviewsituationen nicht im juristisch-technischen Sinne (…) verwandt.“
Ein falscher Begriff. Absicht oder Zufall?
Aha. Sie hat den Begriff „Beschäftigte“ also falsch verwandt. Der Punkt ist jedoch ein anderer: Hat sie den Begriff bewusst oder unbewusst falsch verwandt hat, um einen falschen Eindruck zu erwecken? Einen Eindruck nämlich, der zur Melodie im Wahlkampfthema wird; den Eindruck, dass es unter ihrer Regierung einen Wandel zum Besseren gab – dass es in ihrer Regierungszeit „wieder genau so viele Beschäftigte wie zu den Hochzeiten von Kohle und Stahl“ gibt.
Schauen wir uns die Zahlen mal genauer an:
Zunächst die Zahl der sozialversichert Beschäftigten. Da legt die Staatskanzlei leider nur Zahlen ab 1980 vor. Also Zahlen aus einer Zeit lange nach der „Hochzeit von Kohle und Stahl“. Davor sagt Staatskanzlei, sei keine Auswertung der Daten der Beschäftigtenstatistik möglich.
Die Fakten
Gut, nehmen wir also die Zahlen von 1980. Damals gab es laut Staatskanzlei, 1.765.766 Beschäftigte im Ruhrgebiet. 2015 gab es demnach 1.647.105 Beschäftigte. Dazwischen ging die Zahl mal rauf und runter. Den niedrigsten Stand hatte die Zahl 2006 mit 1.473.281 Beschäftigten. Danach ging es in 20.000 Schritten beständig und langsam nach oben. Zur Erinnerung von 2005 bis 2010 gab es in NRW eine Koalition aus CDU und FDP und seit 2010 eine rot-grüne Regierung. Insgesamt kann man also sagen, es tut sich wenig bei der Zahl. Zu wenig für eine Boomzeit. NRW liegt im Wirtschaftswachstum in Deutschland abgeschlagen hinten.
Dann schauen wir uns die Zahl an, auf die sich Hannelore Kraft bezieht. Also nicht auf die Zahl der sozialversichert beschäftigten Menschen, sondern auf die Menschen, die irgendwie im Ruhrgebiet Geld verdienen.
Da gab es im Jahr 1961 laut Staatskanzlei 2.307.576 erwerbstätige Menschen. Das waren viele Menschen, die erwerbstätig waren. Vor allem, wenn man daran denkt, dass damals Frauen in der Regel zu Hause blieben. Allerdings war 1961 auch nicht die „Hochzeit von Kohle und Stahl“. Im Gegenteil. Der Beginn der großen Kohlekrise lag im Jahr 1957. Menschen wurden entlassen, Zechen dicht gemacht. Den Höhepunkt erreichte diese Kohlekrise im Jahr 1963, als dreizehn Zechen nahezu gleichzeitig geschlossen wurden. Entsprechend gehen die Zahlen auch von da an runter bis auf den Tiefstand von 2.065.803 erwerbstätige Menschen im Jahr 1987. Danach erholte sich die Zahl wieder und liegt seit dem Jahr 2000 mit einer leichten Delle zwischen 2001 und 2006 wieder über 2,3 Millionen erwerbstätigen Menschen.
Anders ausgedrückt: In der Regierungszeit von Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin von NRW hat sich weder bei den Zahlen der sozialversichert Beschäftigen noch bei den Zahlen der Erwerbstätigen viel getan.
Ihre Melodie stimmt nicht.
Wir bleiben deswegen bei unserer Wertung: Drei von Fünf Pinocchios für Hannelore Kraft