Gewalt im Sport

1. FC Nürnberg möchte als erster Bundesligaverein den Safe-Sport-Code in die Vereinssatzung aufnehmen

Der 1. FC Nürnberg könnte zum Vorreiter für stärkere Maßnahmen gegen Gewalt im Fußball werden. Der Club plant den Safe-Sport-Code einzuführen, der Vergehen unterhalb der Strafrechtsschwelle ahndet. Auch der DFB arbeitet an einer Umsetzung.

von Finn Schöneck , Miriam Lenz

1.FC Nürnberg
Möglicher Vorreiter für besseren Präventionsschutz interpersonaler Gewalt im Fußball: der 1. FC Nürnberg. Foto: picture alliance / Wagner | Ulrich Wagner

Vor fünf Monaten verabschiedete der deutsche Sport ein Regelwerk gegen Gewalt: Auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) stimmten die Spitzensportverbände für die schrittweise Implementierung des Safe-Sport-Codes. Das neue Regelwerk sieht vor, auch gewalttätiges Verhalten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu ahnden. Zum Beispiel bei sexualisierten Sprüchen. Oder wenn ein Trainer die Spieler permanent anschreit.

Der größte Sportverband, der Deutsche Fußball-Bund (DFB), stimmte bei der Tagung im Dezember 2024 mehreren Beschlussvorlagen zum Safe-Sport-Code zu, aber als einziger Spitzenverband gegen eine verbindliche Einführung bis Ende 2028. Das sei erst möglich, wenn eine finale Fassung des Schutz-Kodex vorliegen würde, argumentierte der DFB.

Seitdem stellt sich die Frage, wie ernst der Fußballverband mit seinen Millionen Kinder- und Jugendfußballern den Präventionsschutz nimmt. Wird eine Kultur für sicheren Sport ausreichend gelebt? Sieht der DFB keine Dringlichkeit für stärkeren Präventionsschutz? Und wie geht der DFB mit Spielerberatern um, die ihre Freiheit im Fußballsystem für Übergriffe ausnutzen?

Nun bewegt sich etwas, sowohl beim DFB als auch bei prominenten Fußballvereinen.

DFB kündigt an, den Safe-Sport-Code im Fußball umsetzen zu wollen

Der DFB arbeite gemeinsam „mit den relevanten Stakeholdern“ daran, eine tragfähige und verbindliche Umsetzung des Safe-Sport-Code im deutschen Fußball zu erreichen, schreibt die DFB-Presseabteilung an CORRECTIV.Lokal und 11FREUNDE. Bereits Anfang April hat der Fußballverband an einem vom DOSB organisierten Austausch mit mehr als 50 Sportverbänden teilgenommen.

Und der Fußballverband schreibt noch etwas: „Der DFB begrüßt es ausdrücklich, wenn sich Vereine frühzeitig und eigenständig mit den Inhalten des Safe Sport Code auseinandersetzen und mögliche Wege zur Implementierung prüfen.“

Nach Informationen von CORRECTIV.Lokal und 11FREUNDE gibt es tatsächlich einige Vereine, die dies aktuell tun. Die Redaktionen haben alle 36 Vereine aus der 1. und 2. Bundesliga zum Safe-Sport-Code befragt.

Mit dem 1. FC Nürnberg, aktuell in der 2. Bundesliga, kündigt einer der traditionsreichsten Fußballvereine in Deutschland an, den Safe-Sport-Code in die Vereinssatzung aufnehmen zu wollen. „Der 1. FC Nürnberg plant, den Antrag in die Vereinssatzung bei der nächsten Mitgliederversammlung im November 2025 auf die Agenda zu setzen“, schreibt eine Sprecherin des Vereins auf eine Anfrage von CORRECTIV.Lokal und 11FREUNDE. Die Mitglieder entscheiden im November, ob der Verein den Code zur Ahndung interpersonaler Gewalt implementiert.

Der Club könnte der erste Bundesligaverein in Deutschland werden, der den Schutz-Kodex des DOSB eigenständig einführt und nicht auf einen langatmigen, vom DFB gesteuerten Top-down-Prozess über die Verbandsebenen wartet. Weitere Vereine könnten folgen. Neben dem 1. Nürnberg sagen neun weitere Vereine, dass sie die Einführung des Regelwerks prüfen wollen. Darunter der FC Bayern München.

„Die Verabschiedung des Safe-Sport-Codes durch die Mitgliederversammlung des DOSB begrüßen wir und prüfen, wie wir diesen ergänzend zu unseren bestehenden Regelungen und Maßnahmen sinnvoll und zielführend in unsere Arbeit integrieren können“, antwortet die Presseabteilung des FC Bayern München auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal und 11FREUNDE. Auch der FC St. Pauli und der SV Werder Bremen kündigen Prüfungen an.

Holstein Kiel und 1. FC Union wollen Safe-Sport-Code nicht einführen

Einzig die SV Elversberg antwortete nicht auf die Presseanfragen. Mit dem 1. FC Union Berlin und Holstein Kiel schreiben zwei Bundesligisten, dass sie den Safe-Sport-Code zum jetzigen Zeitpunkt nicht einführen wollen.

Holstein Kiel verweist auf bereits bestehende Schutzkonzepte zu interpersonaler Gewalt und begründet die Entscheidung gegen den Safe-Sport-Code mit praktischen Bedenken an der Umsetzung: Die Regelungen könnten dazu führen, „dass die Arbeit dieser Personen erheblich erschwert und eingeengt wird, was in letzter Konsequenz dafür sorgen kann, dass sich weniger Ehrenamtliche oder Eltern finden, die die Arbeit in den Sportvereinen unterstützen“, schreibt ein Sprecher des Vereins. Außerdem sei die Fassung des Safe-Sport-Codes widersprüchlich zu den Regelungen des DFB-Rechtssystems.

Diese Einwände kann Caroline Bechtel nur bedingt nachvollziehen. Sie ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln. Gemeinsam mit Ihrem Kollegen Martin Nolte hat sie den 56-seitigen Schutzkodex verfasst. „Prinzipiell gilt, jeder Verein und jeder Verband kann den Safe-Sport-Code für sich einführen, unabhängig von irgendwelchen Vorgaben der Verbände“, sagt Bechtel.

Die Vereinsautonomie gibt jedem Verein das Recht, eigene Satzungen und Ordnungen zu erlassen, die für ihre Mitglieder verbindlich sind. Einen Konflikt mit dem DFB-Rechtssystem sieht Bechtel nicht: „Die Regelungen des Safe-Sport-Code gehen weiter als die des DFB und bieten damit einen viel umfassenderen Schutz vor interpersonaler Gewalt.“

Prävention von Gewalt im Fokus

In Zukunft solle mehr darauf geachtet werden, dass interpersonale Gewalt nicht geschehe. Ob sich dadurch weniger Ehrenamtliche oder Eltern finden, kann Bechtel nicht beurteilen. Sie glaube, die Eltern überlegen sich eher, ob sie dann ihre Kinder in einen Verein geben würden, der entsprechende Schutzmaßnahmen nicht vorhält.

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Vor einem Monat haben CORRECTIV.Lokal und 11FREUNDE mit Lokalmedien ein Schwerpunktprojekt zu Gewalt im Jugendfußball gestartet. Die bisherigen Berichte behandeln zahlreiche Übergriffe, die neben einer strafrechtlichen Bewertung auch sportrechtliche Sanktionen und mangelnde Präventionsarbeit betreffen.

In einer Umfrage (Teilnahme ist bis zum 18. Mai möglich) durch die Redaktionen haben bereits mehr als 370 ehemalige und aktive Fußballerinnen und Fußballer ihre Erfahrungen geteilt. Darunter finden sich zahlreiche Vorwürfe zu Trainern und anderen Funktionsträgern aus dem Fußball, die womöglich ihre Macht missbraucht und Gewalt ausgeübt haben. Die Antworten werden nun redaktionell ausgewertet. Die Berichte machen jetzt schon deutlich, dass eine größere Debatte zu Strukturen für sicheren Sport in Fußballvereinen notwendig ist.

Redaktion: Jonathan Sachse, Alina Bach
Faktencheck: Pia Siber
Mitarbeit: Johann Nilius (11FREUNDE), Theo Borde (11FREUNDE)