
Vielleicht wirkten der eine oder andere Aufruf zum Tag der Pressefreiheit etwas pflichtschuldig in den vergangenen Jahren.
Dieses Mal ist es anders.
Es gab Zeiten, da weitete sich die Pressefreiheit, auch global. Jetzt gehen gerade viele Fenster zu. Auch bei uns. Gerade deshalb ist dieser Tag so wichtig.
Weltweit werden weiterhin Menschen dafür ermordet, dass sie über Missstände berichten, die einem Regime nicht passen. Gerade erst wurde bekannt, dass die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna in einem der russisch besetzten Gebiete verschleppt, gefoltert und getötet wurde.
In den USA werden Medienschaffende nicht mit dem Tod bedroht, aber auch dort gehen Fenster zu. Es sind Nadelstiche, die unliebsame Recherchen verhindern sollen. In den USA wird ein Fernsehsender von Donald Trump auf eine Milliardensumme verklagt. Was folgte: Der Chef der Sendung „60 Minutes“ nahm seinen Hut, weil sein Sender wegen der Klage in die redaktionelle Unabhängigkeit eingreift. Aus Angst vor Repressionen.
Auch wir haben im vergangenen Jahr einiges an Bedrohungen erlebt, was wir für Sie hier nochmal dokumentiert haben. Ein perfides Werkzeug sind auch in Deutschland Klagen, die gar nicht darauf aus sind, unbedingt recht zu bekommen, sondern die Zweifel säen sollen. Allein dass es die Klage gibt, ermuntert zu der Schlussfolgerung, dass irgendetwas an einer Recherche unseriös sein muss. In dieser Doku sagt ein Kläger, der gegen uns bisher weitgehend erfolglos war, ganz offen, dass es ihm vor allem darum gegangen sei, mit seiner Klage „eine Gegenerzählung in die Öffentlichkeit zu bekommen“.
Dazu gestern die Meldung: Der Verfassungsschutz stuft die AfD auf Bundesebene als gesichert rechtsextrem ein – in der Begründung des Verfassungsschutz heißt es: „Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.“ Über diese völkische Ideologie haben wir berichtet und werden wegen dieser Recherchen angegriffen.
Das passiert nicht nur uns. Meine Kollegin Sanaz Saleh-Ebrahimi ist freie Journalistin und macht Wissenschafts-Dokus. Sie erzählt weiter unten im Spotlight, wie sie für Ihre Recherche über eine Firma, die Produkte mit Zuckerersatzstoffen verkauft, angegriffen wird. Ja, das genügt, um eine Reihe von Klagen in Gang zu setzen, die zwar alle entkräftet werden konnten. Die aber irrsinnig viel Zeit, Nerven und Geld kosten.
Ich habe aus Anlass dieses Tages die Chefin von Reporter ohne Grenzen gefragt, welche Beobachtungen sie derzeit macht. Die Antworten finden Sie weiter unten im Newsletter. Sie nimmt die weltweiten Entwicklungen, aber auch die bei uns im Land mit großer Sorge zur Kenntnis.
Bei dem Thema geht es auch um den Ton in der Öffentlichkeit, der gesetzt wird. Aus den USA erleben wir eine feindselige Tendenz gegenüber Medien, die sich schon in der Sprache niederschlägt. Abfällig geht es um „Mainstream-Medien“ oder um Medien als „NGOs“, um die Abwertung von Faktencheckern oder um Medienschaffende, die als „Verräter“ bezeichnet werden. Da wird ein Teppich ausgerollt, nicht um Pressefreiheit aktiv einzuschränken, sondern um ein feindseliges Klima gegenüber Journalismus zu schaffen.
Gegen all das stehen wir mit unserer Arbeit. Mit Transparenz, mit faktenbasierten Texten, mit dem Anspruch, Medienbildung zu vermitteln, mit dem Ziel, dass Menschen informierte Entscheidungen treffen können. Wir streiten uns auch gern, wenn es unterschiedliche Ansichten zu einem Thema gibt, aber mit gegenseitigem Respekt und dem Willen, dass Streit zu einer besseren Erkenntnis führt.
Deshalb ist dieser Spotlight ein Newsletter für die Pressefreiheit, dafür, dass sich Fenster der Freiheit wieder öffnen!
Wir haben heute ein paar Empfehlungen für Sie. Ich freue mich aber umso mehr, wenn Sie auch die Einschätzung von Anja Osterhaus von Reporter ohne Grenzen sowie den Bericht meiner Kollegin Sanaz lesen und vielleicht heute auch mit Freunden teilen wollen.
Ihr
Die letzte Recherche der Wiktorija Roschtschyna
Die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna suchte nach der Wahrheit über die tausenden verschwundenen Zivilisten in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine – und geriet 2023 selbst in Gefangenschaft. Im September 2024 wurde ihr Leichnam gefunden. Ihre letzte Recherche zeigt das System von Folter und Willkür in Russland. Im „Wiktorija-Projekt“ führen 45 Journalisten aus internationalen Medien ihre Arbeit weiter.
Russische Foltergefängnisse (derstandard.at)
So sieht es in Putins Foltergefängnis aus (spiegel.de, €)
Undercover bei jugendlichen Neonazis
Ein Team von RTL und Stern hat monatelang undercover recherchiert. Ihnen ist es gelungen, eine Reporterin in eine Neo-Nazi-Jugendgruppierung zu schleusen. Es geht um die rechtsextreme Jugendgruppe „Junge Nationalisten“ und wie sie gezielt junge Frauen über soziale Medien anwirbt und auf einem abgeschotteten Gelände indoktriniert. Die Zusammenkünfte erinnern stark an die Jugendorganisationen aus dem Dritten Reich. Hier entsteht nicht nur Propaganda – die Organisation bildet die zukünftigen rechtsextremen Kader aus.
Reporterin eingeschleust bei jugendlichen Neonazis (youtube.com, Video)
Pressefreiheit weltweit gefährdet
Die Pressefreiheit weltweit hat einen historischen Tiefpunkt erreicht. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen gilt die Lage in 90 von 180 Ländern als „schwierig“ oder „sehr ernst“. Deutschland fällt in der aktuellen Rangliste von Platz zehn auf Platz elf zurück. Hauptursachen für das Zurückfallen seien ein feindlicheres Arbeitsumfeld für Journalisten, vor allem durch rechtsextreme Angriffe, sowie wirtschaftliche Probleme der Medienhäuser. Europa führt zwar weiterhin bei der Pressefreiheit, doch nur sieben Länder erreichen ein „gutes“ Niveau.
Lage der Pressefreiheit erneut verschlechtert (deutschlandfunk.de)
Heute am internationalen Tag Pressefreiheit, möchte ich Ihnen passend dazu eine Geschichte erzählen, die zeigt, wie hart Journalisten und Journalistinnen selbst bei vergleichsweise alltäglichen Themen inzwischen angegriffen werden. Im November 2024 habe ich einen kritischen Artikel über den Süßstoff Sucralose veröffentlicht. Sucralose ist, wenn sie erhitzt wird, potentiell krebserregend. Trotzdem wirbt die bekannte Fitnessmarke More Nutrition seit Jahren dafür, mit ihren sucralosehaltigen Produkten zu backen. Nachdem ich für Zeit Online und auf meinem Instagram-Kanal darüber berichtet hatte, griff mich der Mitgründer der Firma, Christian Wolf, in insgesamt fünf Videos an. In seinen Videos verdrehte er meine Argumente und machte mich lächerlich.
Aus einem Video kann man den Schluss ziehen, ich sei von der Zuckerlobby finanziert worden. In einem anderen stellt er in den Raum, dass ich für meine Verteidigung gesammelte Spendengelder möglicherweise für andere Zwecke einsetzen würde. Es ist so absurd, wie es klingt, aber gleichzeitig ein großes Problem für mich, weil die Videos von Millionen Menschen gesehen und tausendfach kommentiert werden. Christian Wolf hat meine Reputation offenbar gezielt angegriffen. Über Wochen habe ich deshalb zahlreiche Hassnachrichten bekommen.
In den Weihnachtsferien entscheide ich mich, ihm das nicht durchgehen zu lassen. Und gehe gegen seine falschen Unterstellungen vor. Ich nehme mir auf eigene Kosten die Kanzlei KM8 und schicke ihm Abmahnungen. Inzwischen gibt es mehrere gerichtliche Beschlüsse gegen Wolf, die Videos zum Zucker und zu den Spenden hat er wieder gelöscht. Ich habe Strafanzeige wegen Verleumdung gegen ihn gestellt und werde ihn auf Geldentschädigung verklagen.
Ich konnte in dieser Zeit kaum arbeiten und musste mich wochenlang gegen diese Angriffe wehren. Aber ich finde, dass es wichtig ist, genau das zu tun: Für die eigene Berichterstattung einzustehen. Denn solche Art von Angriffen bedrohen die Pressefreiheit. Sie können dazu führen, dass sich Journalisten und Journalistinnen zu bestimmten Firmen oder Menschen nicht mehr kritisch äußern. Menschen mit viel Macht, viel Geld oder vielen Fans versuchen, andere Menschen fertig zu machen, die ihnen mit ihren Recherchen, Informationen oder Perspektiven gefährlich werden – koste es, was es wolle. Die Folge ist, dass Menschen keine informierten Entscheidungen mehr treffen können. Das müssen wir verhindern.

Weltweit verwenden Politiker feindliche, gewalttätige Sprache, um Journalistinnen und Journalisten zu entmenschlichen und zu bedrohen. Damit untergraben sie die Demokratie und versuchen, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Wir von CORRECTIV.Exile haben die im Exil lebenden Kolleginnen und Kollegen unseres Netzwerkes gebeten, uns aus ihren Heimatländern zu berichten. Das sind die erschreckenden Ergebnisse.

Anja Osterhaus ist Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen, die sich vor allem um Medienschaffende in Ländern kümmern, in denen Journalismus starken Repressionen ausgesetzt ist. Wir konnten mit ihr kurz zur aktuellen Lage um die Pressefreiheit weltweit sprechen:
Was fällt Ihnen dieses Jahr besonders auf mit Blick auf den Schutz der Pressefreiheit weltweit?
Zum ersten Mal seit Bestehen der Rangliste stuft Reporter ohne Grenzen die weltweite Lage der Pressefreiheit überwiegend als „schwierig“ ein. Wir beobachten, dass neben Gewalt und staatlicher Repression besonders der wirtschaftliche Druck zu einer systematischen Schwächung unabhängiger Berichterstattung führt. Medienhäuser weltweit geraten zwischen die Fronten von finanzieller Not und dem Anspruch auf redaktionelle Unabhängigkeit – mit gravierenden Folgen für Informationsvielfalt und journalistische Qualität.
Gibt es Entwicklungen in Deutschland, die Ihnen Sorgen bereiten?
Auch in Deutschland hat sich die wirtschaftliche Lage vieler Medienhäuser verschlechtert, gerade im Lokalen. Gleichzeitig erleben Journalistinnen und Journalisten viel zu häufig digitale Gewalt und pressefeindliche Arbeitsumfelder, insbesondere wenn sie über Rechtsextremismus oder auch den Nahostkonflikt berichten. Besorgniserregend ist auch der erschwerte Zugang zu amtlichen Informationen – ein Transparenzgesetz lässt weiter auf sich warten. Pressefreiheit ist kein Selbstläufer. Sie muss aktiv geschützt, finanziell gesichert und rechtlich gestärkt werden.
CORRECTIV wird zunehmend attackiert – mit Drohungen, Diffamierungen und gezielten juristischen Angriffen. Es reicht nicht mehr, unsere Recherchen nicht zu mögen. Es geht darum, uns Angst zu machen und zu diskreditieren.
Zum Tag der Pressefreiheit gibt unsere Redaktion Einblick in den Arbeitsalltag.
Medien brauchen mehr denn je Rückhalt aus der Gesellschaft. Was uns Kraft gibt, ist die Solidarität von außen – Menschen wie Sie, die zeigen: Wir stehen hinter einer freien Presse. Stärken Sie heute mit Ihrer Spende Journalisten und ihre Recherchen.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Sebastian Haupt, Finn Schöneck und Valentin Zick.