
Liebe Leserinnen und Leser,
seitdem am Freitag bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz die AfD jetzt als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, haben uns Hunderte Fragen von Ihnen erreicht: Welche Konsequenzen hat das für die Partei, was geschieht als Nächstes?
Unsere AfD-Verbotsverfahren-Reporterin Marie Bröckling ist auf die Suche gegangen – gemeinsam mit unserer neuen SPOTLIGHT-Reporterin Samira Joy Frauwallner. Im Thema des Tages beantworten wir die Fragen, die Sie am häufigsten gestellt haben.
Wir von CORRECTIV haben heute auch noch ein größeres Paket zu diesem Thema geschnürt:
- Reporterin Frauwallner hat die Fernsehsender gefragt, ob sie jetzt einen anderen Umgang mit AfD-Politikern als Talkshow-Gästen planen. Das Ergebnis lesen Sie hier.
- Von Marie Bröckling gibt es außerdem eine neue Analyse: Was spricht rein theoretisch für und was gegen ein AfD-Verbot?
- Und unsere Reporter Marcus Bensmann und Jean Peters beschreiben in diesem Text, dass nach dem neuen Gutachten ein Richtungsstreit in der AfD entbrannt ist: Während die einen meinen, die Partei solle sich noch stärker auf ihre völkische Ideologie konzentrieren, warnen die anderen: Man müsse sich nun besser in Zurückhaltung üben.

Nun noch mal zu Friedrich Merz: Seit gestern Abend haben mich über 100 E-Mails von Ihnen erreicht, vielen Dank für Ihre Meinung!
Ich habe alle gelesen: Der weit überwiegende Teil von Ihnen findet es gut, dass Merz im ersten Wahlgang einen Denkzettel bekommen hat – dann aber, im Sinne einer stabilen Bürokratie, doch zum Bundeskanzler gewählt wurde. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend – und schreiben Sie mir wie immer gern: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Antworten auf Ihre Fragen zur AfD
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Denkanstoß: „Migrationswende?“ Nur unter Vorbehalt
Faktencheck: Robert F. Kennedy Jr. gewann keinen Corona-Prozess am Obersten Gerichtshof
Die am häufigsten gestellten Fragen unserer Leserinnen und Leser zur Frage, welche Auswirkungen die neue Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz hat – und kurze, knackige Antworten darauf.
Was passiert jetzt mit Beamten, die Mitglied bei der AfD sind – also Lehrer, Richter und Polizisten?
Dürfen sie vielleicht bald nicht mehr im Staatsdienst tätig sein?
Nein. Es gibt keine pauschale Regelung für alle AfD-Mitglieder. Die Sicherheitsbehörden prüfen ohnehin schon jeden Beamten bei seinem Eintritt in den Beamtenstatus darauf ab, ob sie oder er einen extremistischen Hintergrund hat. Das machen sie weiterhin und entscheiden im Einzelfall, ob jemand bedenkliche verfassungsfeindliche Motive hat oder nicht.
Was würde mit den Abgeordneten der AfD passieren, falls die Partei verboten werden würde? Müssten sie den Bundestag bzw. Landtag verlassen?
Ja. Die AfD-Abgeordneten müssten in diesem Fall wohl ihre Mandate abgeben. Genauer lässt sich das in diesem Dokument des Bundestags nachlesen.
Juristisch umstritten ist allerdings die Frage, ob man bei jedem Abgeordneten einzeln prüfen müsste, ob er oder sie sich verfassungswidrig verhalten habe.
Würde bei einem AfD-Verbot nicht einfach eine neue Partei mit gleichem Inhalt und anderem Namen gegründet werden?
Nein.
Diesen Fall hat der Gesetzgeber schon mitgedacht: Eine Ersatzpartei, die die Bestrebungen der AfD „an deren Stelle weiter verfolgt oder fortführt“ würde ebenfalls verboten. Das steht in diesem Paragrafen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz.
Würde die Partei verboten, müsste es dann Neuwahlen geben?
Nein. Es gibt unseres Wissens kein Gesetz, das dies vorsieht. Die AfD-Mandate würden also ersatzlos verloren gehen, wie in diesem offiziellen Bundestags-Dokument nachzulesen ist.
Allerdings könnte sich das Parlament natürlich selbst für Neuwahlen entscheiden und ein entsprechendes Gesetz erlassen.
Marie Bröckling beantwortet die Fragen auch in diesem Kurzvideo.
Konflikt zwischen Indien und Pakistan spitzt sich weiter zu
Pakistan meldete zahlreiche Opfer nach indischen Militärschlägen in der Nacht – und erwägt weitere Angriffe als Reaktion. Hintergrund der Eskalation war ein Anschlag mit zahlreichen Toten im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs, den beide Länder für sich beanspruchen.
deutschlandfunk.de
Spionagesoftware-Entwickler muss eine große Strafe an Meta zahlen
Die israelische Firma NSO hat zahlreiche WhatsApp-Nutzer ausspioniert. Die Software war dazu imstande, unbemerkt auf Kameras, Mikrofone oder Textnachrichten zuzugreifen. Der Entwickler der Spionagesoftware muss nun 168 Millionen Dollar Strafe an Meta zahlen, dem Konzern hinter WhatsApp.
zeit.de
Essen: Taxifahrer protestieren gegen Uber
Der Preiskampf von Taxifahren in Essen hat seinen Höhepunkt erreicht. 120 Taxifahrer protestierten heute mit Hilfe einer Straßenblockade in der Essener Innenstadt. Sie fordern von der Stadt Essen einen Mindestfahrpreis für Fahrdienstleiter wie Uber festzulegen.
wdr.de / radioessen.de
CORRECTIV-Recherche: Nach Spionage-Vorwürfen werden härtere Ausschlusskriterien bei China-Kooperationen gefordert
Führende Innenpolitiker und Experten bemängeln einen sorglosen Umgang mit chinesischen Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Nach einer CORRECTIV-Recherche zu Auffälligkeiten an der TU München fordern sie härtere Ausschlusskriterien und Zugangsbeschränkungen für chinesische Studenten und Gastprofessoren.
correctiv.org
Wenn Friedrich Merz ein Tier wäre, dann wäre er ein Silberrücken-Gorilla. Das sagt zumindest die KI, wenn man sie fragt. Denn Merz ist stolz, autoritär, entscheidungsfreudig. Und nicht besonders kooperativ. Das zeigte sich gestern beim Chaos zu seiner Wahl im Bundestag. Und das zeigt sich auch beim Thema Migration.
Jetzt ist Merz Kanzler. Und schon am ersten Tag sollte es losgehen: Mehr Grenzkontrollen, mehr Zurückweisungen, die AfD „wegregieren“. Wegen der turbulenten Wahl im Bundestag war auch die Bundespolizei kurz verwirrt. Aber jetzt werden sie kommen, die Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze.
Man muss vergessen machen, was im Januar im Bundestag passierte: Als Merz mit seinen Zurückweisungs-Gesetzesplänen krachend scheiterte. Im Stich gelassen auch von seinen eigenen Abgeordneten. In den Ohren den höhnischen Applaus der AfD.
Die pauschalen Zurückweisungen waren zuerst eine Idee der AfD, die mit dem Vorschlag im Juni 2024 voranpreschte. Im Oktober hatte die CDU/CSU die Forderung übernommen. In dem Fall hieß „die AfD wegregieren“ offenbar: Ihre Forderungen zu übernehmen.
Prestigeprojekt verstößt gegen EU-Recht
CDU-Kanzler und CSU-Innenminister haben jetzt erst einmal freie Hand. Sie wollen starke Zeichen setzen. Bevor die Gerichte sie stoppen. Das Prestigeprojekt der Union, die Zurückweisungen von Asylsuchenden, hat nämlich ein Problem: Es ist EU-rechtswidrig, so die Meinung der meisten Experten. Auch ein internes Gutachten des Bundeskanzleramts kam zu diesem Schluss.
Asylsuchende ohne Prüfung an den Grenzen abzuweisen, verstößt unter anderem gegen die Dublin-Regeln. Dass die Dublin-Überstellungen in andere EU-Länder fast immer scheitern, reicht nicht, damit dadurch Zurückweisungen an deutschen Grenzen rechtmäßig wären. Auch wenn die Union das gerne hätte.
Deutschland muss zumindest prüfen, welcher andere Staat für einen Asylantrag zuständig ist. Schon das dauert mindestens einige Wochen. Sobald das klar ist, hat Deutschland sechs Monate Zeit für die „Abschiebung“. Wenn das nicht klappt, wie in den meisten Fällen, muss es das Asylverfahren übernehmen.
Merz bleibt nicht viel Zeit
Das eine ist die Rechtslage. Das andere ist die politische Machbarkeit. Auch hier sieht es schlecht aus. Der Koalitionspartner SPD ist gegen „generelle Zurückweisungen“. Und auch die Nachbarländer in Form von Polen, Österreich sind es, und auch Griechenland.
Allerdings öffnet sich jetzt ein Möglichkeitenfenster: Denn auch wenn das Projekt höchstwahrscheinlich rechtswidrig ist – bis die Gerichte das endgültig feststellen, bleibt laut Experten mindestens ein Jahr. So lange hat Merz, damit die Zahlen der Asylsuchenden genügend zurückgegangen sind. Danach kann er still und heimlich die Zurückweisungen wieder abräumen. So wie die Schuldenbremse.
Und die Zeit spielt für ihn. Die Zahl der Asylanträge sinken seit anderthalb Jahren. Zeitgleich mit den Zurückweisungen der Ampel-Regierung haben auch die Westbalkanstaaten, besonders Serbien und Italien, ihren Grenzschutz verschärft. Und was die Zahlen weiter drückt, ist der Sturz des Assad-Regimes in Syrien im Dezember.
Wenn die Zahlen weiter zurückgehen, kann Merz behaupten, dass seine strenge Grenzpolitik gewirkt hat, auch wenn das eher äußere Gründe haben dürfte. Merz sollte deshalb den Moment lieber nutzen, um sich weiter von der rechtsextremen AfD zu distanzieren. Dann hat die Migrationspolitik eine Chance, wieder glaubwürdig und rechtskonform zu werden. Das wäre eine echte Migrationswende.

Faktencheck

Online macht ein Kettenbrief über eine angeblich erfolgreiche Klage des US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Junior die Runde: Demnach soll der Oberste Gerichtshof bestätigt haben, dass Covid-19-Impfstoffe irreparable Schäden auslösen. Das stimmt nicht.
correctiv.org
Endlich verständlich
Haben Sie schon mal von defensiver Architektur gehört? Diese Art, öffentliche Plätze zu gestalten, fällt uns meistens gar nicht auf. Aber: Viele obdachlose Menschen werden dadurch diskriminiert. Zum Beispiel Spikes auf dem Boden, Bänke mit Armlehnen in der Mitte, oder Sitzflächen, die einfach zu kurz sind, um sich hinzulegen – sie sollen obdachlose Menschen fernhalten. Wie weitere Formen von defensiver Architektur aussehen, zeigt unsere Jugendredaktion Salon5.
Salon5 (Instagram)
So geht’s auch
In Berlin wächst die Zahl barrierefreier Taxis. Schon fast 150 sogenannter Inklusionstaxis für Menschen mit Behinderungen fahren durch die Hauptstadt.
rbb24.de
Fundstück
Es hätte der verwirrendste Wahlkampf aller Zeiten werden können – wären statt der Spitzenkandidaten von Union und SPD Armin Laschet (CDU) und Boris Pistorius (SPD) in den Ring gestiegen. Die optische Ähnlichkeit beider Politiker amüsierte auch am gestrigen Tag viele Internetnutzer, die eine Szene von beiden im Gespräch im Bundestag teilten. „Armin Laschet im Selbstgespräch“, war etwa eine der Bemerkungen. Doch was im Netz für Scherze gut ist, stellt selbst Sicherheitsbehörden vor Herausforderungen. Denn auch diese verwechseln die beiden gelegentlich:
tagesspiegel.de

Sorge, Unsicherheit und Blutvergießen bestimmen derzeit die Lage in Indien und Pakistan: In der Nacht zum 7. Mai startete Indien die Militäroperation „Sindoor“ und führte Raketenangriffe auf neun Ziele in Pakistan und dem pakistanisch verwalteten Kaschmir durch. Laut indischer Regierung wurden dort Stellungen „terroristischer Infrastruktur“ beschossen. Kurz darauf meldete Pakistan den Abschuss von fünf indischen Kampfjets sowie Vergeltungsangriffe.
Auslöser der aktuellen Eskalation war ein Terroranschlag am 22. April im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs: Auf einer Bergwiese bei Pahalgam wurden 26 Menschen getötet – überwiegend hinduistische Touristen. Indien macht Pakistan für den Angriff verantwortlich, was die pakistanische Regierung jedoch zurückweist.
Als jemand, der aus Bangladesch stammt, beobachte ich diesen Konflikt nicht nur als Journalistin, sondern auch mit persönlicher Verbindung. Unsere Generation – und die Generationen davor seit 1947 – wissen: Eine Eskalation in Kaschmir oder zwischen Indien und Pakistan endet meist blutig und fordert zahlreiche zivile Opfer.
Kaschmir ist eine zwischen Indien und Pakistan umstrittene Region im Himalaya, die seit der Teilung Britisch-Indiens 1947 immer wieder Anlass für Kriege war. Beide Länder beanspruchen das Gebiet vollständig, kontrollieren jedoch jeweils nur einen Teil.
Indien und Pakistan haben bereits zwei große Kriege um Kaschmir geführt – insgesamt vier Kriege – jeder davon hat tiefe Wunden hinterlassen.
Pakistan berichtet, dass bei den indischen Angriffen mindestens 26 Menschen getötet wurden, darunter ein dreijähriges Mädchen, sowie mindestens 46 weitere verletzt. Auch auf indischer Seite wurden acht Tote gemeldet.
Gerade jetzt, wo westliche Länder – darunter Deutschland – versuchen, Indien als strategischen Partner im Wettbewerb mit China zu positionieren, droht diese Instabilität das geopolitische Gleichgewicht zu erschüttern: China oder Russland könnten versuchen, sich als Vermittler zu inszenieren. Oder schlicht davon profitieren, dass der Fokus des Westens erneut woanders liegt.
Die Menschen in Südasien verdienen Frieden, keine endlosen Zyklen von Gewalt und Schuldzuweisungen. Ich hoffe, dass diesmal Vernunft und Diplomatie lauter sprechen als Waffen.

Morgen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland zum 80. Mal. Es ist zugleich der Tag der Befreiung von der NS-Diktatur. Doch immer wieder gibt es Forderungen nach einem Schlussstrich in Deutschland. Wie unsere Grafik des Tages zeigt, sind diese Forderungen allerdings älter als die Aufarbeitung der NS-Verbrechen selbst.
Doch viele rechte Kräfte fordern inzwischen weit mehr, sie versuchen, die NS-Diktatur zu verharmlosen. Die parlamentarische Speerspitze bildet hier die AfD-Führung (Stichworte „Vogelschiss in der Geschichte“), die dabei auch auf Falschinformationen setzt – wie etwa Alice Weidel mit ihrer Behauptung, Hitler sei Kommunist gewesen (unser CORRECTIV.Faktencheck dazu hier). Doch auch die sozialen Netzwerke sind voll von NS-relativierender Desinformation. Und die richtet sich etwa in Form von Memes besonders an junge Menschen, wie eine lesenswerte Studie der Bildungsstätte Anne Frank zeigt.
bs-anne-frank.de
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.
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