Angebliches Koks-Video und Fake-Webseite: Merz im Visier russischer Desinformation
Kurz nach der Wahl zum Kanzler wird Friedrich Merz zum Ziel von Desinformation. Eine gefälschte Webseite schreibt ihm eine erfundene Aussage über ukrainische Geflüchtete zu, ein virales Video soll vermeintlich Drogenkonsum belegen. Verbreitet wurden die Falschbehauptungen von bekannten pro-russischen Profilen.

Sitzen drei Politiker im Zug. Was wie ein Witz beginnt, war nach einer Kiew-Reise von europäischen Spitzenpolitikern der Anlass für eine breit angelegte Empörungswelle in der Welt der Desinformation. Weil Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Fototermin mit Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz und Großbritanniens Premier Keir Starmer noch rasch ein weißes Objekt vom Tisch räumt, verbreiteten sich daraufhin Behauptungen und Gerüchte, es gehe dabei um ein Päckchen Koks.
Das suggerierte etwa Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums. Ein Video des US-amerikanischen Radiomoderators Alex Jones dazu erreichte mehr als 20 Millionen Aufrufe – Jones wurde in der Vergangenheit bereits wegen des Verbreitens von Falschinformationen verurteilt. Schnell machten Behauptungen und Mutmaßungen dazu auch auf Deutsch die Runde.
Die Empörungswelle ist wohl kein Zufall. Einiges deutet darauf hin, dass eine Propaganda-Kampagne, die dem Kreml zugeschrieben wird, eine Rolle in der Verbreitung spielt. Das wiederum folgt einem inhaltlichen Muster: Es ist nicht die erste Falschbehauptung, die von russischer Seite über Merz verbreitet wurde und auch nicht die erste Meldung zu Drogenkonsum, die Russland zu einem Politiker streut.

Frankreich dementiert mit Meme: Keine Drogen, sondern Taschentuch
Zunächst: Was ist dran an der Behauptung, die Fotos und Videos würden einen Drogenkonsum belegen? Macron, Merz und Starmer waren mit einem Sonderzug auf dem Weg nach Kiew, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Auch Polens Präsident Donald Tusk war mit dabei. Die Aufnahmen aus dem Zug vom 9. Mai sind authentisch und wurden von verschiedenen Nachrichtenagenturen veröffentlicht. Der angebliche „Beutel mit weißem Pulver“ sieht bei genauerer Betrachtung von Pressefotos aber aus wie ein zerknülltes Objekt.

Die Beteiligten wiesen die Behauptung später in Sozialen Netzwerken zurück: „Wenn die europäische Einheit unbequem wird, geht die Desinformation so weit, dass ein einfaches Taschentuch als Drogen dargestellt wird,“ erklärte das französische Präsidialamt in einem X-Beitrag. Und teilte dazu eine Nahaufnahme mit der Aufschrift „Das ist ein Taschentuch“. Auch die CDU schreibt auf X von einem Taschentuch.

Und der angebliche „Koks-Löffel“, von dem in einigen Beiträgen die Rede ist? Der sieht bei näherer Betrachtung vielmehr aus wie ein Bambusspieß, wie er etwa für Häppchen oder Getränke verwendet wird.
Auch verschiedene Medien und Faktencheck-Redaktionen widerlegten den Fake bereits.

Merz im Visier russischer Desinformation
Auffällig ist, dass die Behauptung zu dem Treffen von Merz und den anderen Regierungschefs von vielen pro-russischen Profilen und in russischer Sprache verbreitet wurde. Analysten, die sich mit russischer Desinformation befassen, schreiben diese Accounts einer bekannten Propaganda-Kampagne des Kremls namens Matryoshka zu. Die anonyme Freiwilligengruppe, Antibot4Navalny, die pro-russische Desinformation auf X verfolgt, geht davon aus, dass das Narrativ zunächst von authentischen Nutzerinnen und Nutzern verbreitet und erst später von Kreml-nahen Telegram-Kanälen und Online-Medien aufgegriffen und verstärkt wurde. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Kampagne des Kreml versucht, Staatsoberhäupter als Drogenkonsumenten darzustellen. In der Vergangenheit zielten solche Fakes vor allem auf Selenskyj ab.
Offenbar gerät Merz seit der Kanzlerwahl zunehmend ins Visier russischer Desinformation: Wenige Tage vorher verbreitete sich eine gefälschte Webseite des neuen Bundeskanzlers. Angeblich sollen neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine „mehr Geldleistung“ erhalten, heißt es dort. Das ist erfunden, wie die DPA recherchierte. Die CDU gab inzwischen bekannt, sie plane Anzeige zu erstatten.
Die Fake-Webseite gehört nach Einschätzung des Online-Rechercheprojekts Gnida vermutlich zu der russischen Einflusskampagne „Storm-1516“. CORRECTIV berichtete im Januar 2025, wie sich die Kampagne mit verschiedenen Fakes in den deutschen Bundestagswahlkampf einmischte. Auch damals wurde Merz bereits zum Ziel.
Das französische Außenministerium hatte die Kampagne zuletzt scharf kritisiert und dem „Informationskrieg“ der russischen Regierung zugeschrieben. „Angesichts der von dieser Gruppierung ausgehenden Bedrohung für die digitale öffentliche Debatte in Frankreich und Europa, verurteilt Frankreich entschlossen die destabilisierenden Aktivitäten Russlands,“ hieß es in der Mitteilung.
Weder Merz Sprecher, noch die CDU-Pressestelle oder das Bundesinnenministerium antworteten bis Veröffentlichung auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck dazu. Die gefälschte Webseite ist weiterhin online (Stand 12. Mai 2025).
Wie die russische Kampagne „Storm-1516“ Desinformation rund um die Bundestagswahl verbreitete, erklären wir in diesem Video:
Redigatur: Gabriele Scherndl, Sophie Timmermann